STURM FRAUEN. Künstlerinnen der Avantgarde in Berlin 1910-1932, Schirn Frankfurt, Teil 2

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Künstlerinnen der Avantgarde zwischen 1910 und 1932 sind in der STURM-Zeitschrift mit dem Künstlerinnensturm und was aus ihm quoll, periodisch mitvertreten - werden dort vorgestellt und liefern in Abständen auch selbst für die Frontseiten Beiträge ab.

 

Der STURM war vor allem auf der Galerieplattform Waldens ein Treibhaus für Kommunikation über die Länder- und Gattungsgrenzen hinweg und war nicht nur paradigmatisch für die Kunst, sondern auch beispielhaft für eine humanisierte Gesellschaft der Zukunft, der die Nazis ein vorläufiges Ende bereiteten. Die versachlichte Kommunikation in der Kunst ist die Blaupause für das Fortschreiten der Menschheit. So geht es besser als mit Politik, in der nur blinde Interessen die Oberhand bekommen. Despoten wissen intuitiv, was sie an ihren KünstlerInnen haben...

 

Kunst korrespondiert immer auch mit Lebensverhältnissen, mit eigenen oder fremden. Die Kunst ist mit den Entwicklungsbiographien der an ihr Beteiligten vermengt. Dennoch ist die Autonomie der Kunstwerke das zentrale Moment.

 

Von Gabriele Münter (1877-1962) finden sich dem Genre nach: das Stillleben mit 'Äpfel auf Blau',1908; das Interieur: 'Kandinsky mit Emma Bossi am Tisch',1908/10 und das Landschaftsbild mit 'Garten in Murnau', ca.1910. Diese entstammen der gemeinsamen Zeit mit Wassily Kandinski. Sie lebte auch in Schweden und Dänemark, wo sie 1918 mit einer Retrospektive große Erfolge hatte. Sie porträtierte ihre Malerkollegin Marianne von Werefkin eindrucksvoll mit dem 'Bildnis Marianne von Werefkin',1909.

 

Marianne Werfekin (1860-1938)steht für den Symbolismus, z.B mit 'Stadt in Litauen',1913/14 oder 'Steilküste bei Ehrenshoop',1911 und 'Steingrube',1907. Es sind dies Bilder, die mit einer beklemmenden Gestimmtheit einhergehen. Sie zeigen Situationen, die mit unangenehmen Konstanten der Lebenswelt verbunden sind, etwa mit schwer verarbeitbaren Erfahrungen und Eindrücken, z.B. auf kindlichen Gängen, die scheinbar irgendwohin führen. Von ihr stammt auch 'Der Lumpensammler',1917, apokalyptisch im Sinne der späten Kriegsjahre wirkend. Sie wird mit Herwarth Walden, dem immer zur Debatte aufgelegten, als gleichgesinnt betrachtet, diskutierte gerne mit Artverwandten über Konzepte und Ausdrucksformen.

 

Jacoba van Heemskerck (1876-1923) beschäftigte sich 'Mit Welten des Geistes', abstrakten Welten hinter Glasfensterentwürfen. Freie Farb- und Formwahl waren ihr selbstverständlich. Das symbolträchtige Bild 'Landschaft (Bild I)',1914 ist ihr Werk. Sie war oft mit Holzschnitten für das Titelblatt der meinungsprägenden STURM-Zeitschrift vertreten.

 

Else Lasker-Schüler (1869-1945) arbeitete mit einem gleichsam beschworenen Alter Ego, mit Jussuf, dem 'Prinz von Theben' in Zeichnungen, die wie Ikonen der Moderne erscheinen, aber trotz allem sich im Postkartenformat halten. Ägyptische Kunst und Kultur war ihr zentrale Anregung. Sie war eng geistesverwandt zu den Künstlern des Blauen Reiter. Die Ausstellung zeigt auch eine selbstgezeichnete Postkarte an Franz Marc. Die Zeichnung erschien ihr als parallel geltend zum geschriebenen Wort.

 

SONIA DELAUNAY (1885-1979) steht für 'simultane Farbflächenmalerei'. Sie transportierte diese in 'selbstentworfene Kleidung' und 'kunsthandwerkliche Arbeiten wie Bucheinbände, Plakate, Lampenschirme oder Schalen'. Ihr 'Portugiesischer Markt',1915 'lässt sich als Teil mehrerer Serien verstehen, in denen sie im Zusammenspiel von Abstraktion und Figuration und der Dynamik der Simultankontraste folgend, das portugisische Markttreiben festhält'. Sie entwarf auch Kostüme und Bühnenausstattungen, u.a. für „Kleopatra“, ca. 1918 und ein „Kostüm der Amneris für 'Aida'“,1920.

 

Nell Walden (1887-1975), von 1912 bis 1924 verheiratet mit Herwarth Walden, gesellschaftliches Herz des STURM, kam erst über ihren Mann und die STURM-KünstlerInnen zur Malerei. Die Ausstellung offenbart, dass sie sehr schnell gelernt haben muss, um diese hochrangig entwickelte Malerei zu schaffen.'Wie viele STURM-Künstler interessierte sich Nell Walden für die spirituellen, mystischen und kosmischen Dimensionen von Kunst und Leben', wobei man allerdings hinzufügen darf: immer transformiert in das Medium der Kunst, wodurch die Gedanken in künstlerische Autonomie überführt werden. Sie verwendete in der Hinterglasmalerei auch Silber und Gold.

 

Von Emmy Klinker (1891-1969) sind reizvoll, wenn auch beklemmend: 'Verhängnis', ca. 1929, 'Feierabend', ca.1921 und 'Spaziergang/Promenade',1920, 'Feierabend', ca. 1921 und 'Interieur', undatiert. Sie vermitteln etwas von der einschnürenden Wiederholung des Alltäglichen im Rahmen des Gebanntseins in ein enges Leben.

 

Alexandra Exter (1882-1949), in der Ukraine aufgewachsen, 'wirkte als Mittlerin zwischen der osteuropäischen und westlichen Avantagarde. Sie war eine Vertreterin des Kubofuturismus (darin spiegelte sich ein 'uminterpretierter' Picasso wider). Sie ist vertreten mit: 'Kubistischer Akt', ca. 1912, einem Großformat. Sie entwarf Bühnenbilder und Kostüme u.a. für den Stummfilm 'Aelita',1924 – u.a. für eine Marsbewohnerin! Es sind Puppen zu sehen (an Fäden), die Benennungen tragen, die der Commedia dell´ Arte entstammen: 'Schwarzer Harlekin',1926 und 'Pulcinelle',1926, aber das sind noch nicht alle...

 

Maria Uhden (1892-1918) schuf historisch angelehnte Druckgrafik und Buchillustration, 'die mit dem „Almanach“ des Blauen Reiter wiederbelebt wurden'. Figuration, Fläche und Dynamik nehmen mit Holzschnitten Arbeiten des Graffiti-Künstlers Keith Haring vorweg. Sie ist eindrucksvoll vertreten mit: 'Tanz', undatiert und 'Komposition', ebenfalls undatiert. Ihre Holzschnitte sind formsicher und haben einen besonderen Weichheitseffekt. Maria Uhden starb früh.

 

Für Marcelle Cahn (1895-1981) galt: 'Streben nach Abstraktion' in der 'Vereinfachung und der Strenge der Formen'. Sie studierte bei Lehrern des Purismus, 'einer Weiterentwicklung des Kubismus'. Von ihr ist u.a. 'Blauer Kopf', 1926-27 zu sehen, ebenso 'Gitarre und Fächer',1926, 'Frau und Segel', 1926-27, dem das Hauptmotiv der Ausstellung abgenommen ist, und 'Akte in Weiß',1926. Es sind abstrakte Kompositionen, die die Tiefe, diesem Genre entsprechend, auf die Ebene zwingen.

 

Hilla von Rebay ist vertreten u.a. mit der 'Komposition Nr. 9', (1914-16). Über Kandiskys Schrift „Über das geistige in der Kunst“ gelangte sie 'zu einer rein gegenstandslosen Malerei'. Sie schuf auch Papiercollagen. Haptik war ihr bedeutsam. Nachdem sie 1926 in die USA ausgewandert war, entwickelte sie sich bald zur dauerhaften Sammlerin für die Kollektion 'gegenstandsloser' Kunst im Interesse des Museums Solomon R. Guggenheim. Sie gelangte zu einer Reihe von undatierten Bildern mit dem Zusatz 'ohne Titel', einer Abstraktion, die die Gattung auf die höchste Stufe hebt.

 

Magda Langenstrass-Uhlig (1888-1965) arbeitete in Guache, Aquarell und Litho. Sie lieferte für Magazine, für das Bauhaus und die Propylaen. Sie hatte einen Arzt geheiratet, daher kam es zum Bild 'Porträt eines Soldaten',1919 und zu Lithografien wie 'Im Lazarettgarten',1916 und 'Zwei Kameraden', 1916-18. Die Wunden, die der Krieg schlug, wurden zum Gegenstand der Kunst. Sie fertigte auch Farbübungen und Farbstudien an.

 

Marthe Donas (1885-1967) operierte frei neo-impressionstisch, arbeitete crossover. Ihr Thema: Verschmelzung der Medien. Sie hatte ein sehr eigenständiges aber souveränes Arbeitsmuster. Sie schuf abstrakte kubische Edelgemälde u.a. mit 'Stilleben 34', 1917-19, 'Frau mit Hut',1918, 'Stillleben mit Kaffeekanne', ca.1917-18.

 

Sigrid Hjertén (1885-1948) ist u.a. vertreten mit den sehr haften bleibenden Bildern 'Erntemaschinen im Stadtpark',1915, 'Der Kai',1915 und ganz besonders mit 'Vom Kornhamnstorg',1912. Sie setzt Fläche und Linie, ohne plump aufzusetzen oder aufzutragen, zur überzeugenden Aufteilung der Bildpartien ein. Innenmotive sind: 'Harlekin',1928, 'Die rote Gardine',1916 und 'Das grüne Sofa',1915.

 

Natalja Gontscharowa (1881-1962) 'gehört zu den bekanntesten Künstlerinnen der russischen Avantgarde, äußerte sich unermüdlich in Artikeln, Manifesten...zur Entwicklung der modernen Kunst'. Sie wurde von Walden umfangreich ausgestellt. Theater, Bühne und Szenografie waren ihr Betätigungsfeld. Sie kommt aber auch genremäßig mit: 'Frau mit Hut',1913 und 'Badende', 1910.

 

Lavinia Schulz (1896-1924) steht für den Körper 'als Synonym für das moderne Ich'. Sie ist vertreten mit erstaunlichen Ganzkörpermasken, die auf einer Reihe von Gestalten beruhen, die dem nordischen Sagenepos entstammen, z.B. mit Skirnir, dem blauen Ritter. Dem Varietè angehörend finden sich 'Taboggan Mann' 'und Frau', 1924. Als Theaterperformerin trat sie auch selbst tanzend auf, nach der Musik des Komponisten Hans Heinz Stuckenschmidt.

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Info:

Schirn Kunsthalle Frankfurt, 'STURM-Frauen: Künstlerinnen der Avantgarde in Berlin 1910-1932, 30. Okt. 2015 – 7. Febr. 2016, Frankfurt Römerberg, Tel. 069/2998820