Serie zur Wiedereröffnung und neuen Dauerausstellung des Landesmuseum Württemberg, Teil 3/4
Claudia Schulmerich und Hans Weißhaar
Stuttgart (Weltexpresso) – Die neue und wirklich spektakuläre Schausammlung im Alten Schloß ist zwar auf Württembergs Geschichte und Kulturgeschichte bezogen und bringt die Objekte ans Licht, die dort gefunden, produziert oder verkauft wurden, aber mit dem ganzheitlichen Ansatz, ein Archäologisches Museum, ein Museum Angewandter Kunst und ein Kunstmuseum in einem zu sein, ist diese Sammlung auch beispielgebend für die Kulturgeschichte Mitteleuropas und von daher für jeden Europäer, der die Ausstellung besucht, Abbild seiner eigenen Geschichte.
Es gibt in Deutschland nur noch wenige Museen, die diesen ganzheitlichen Anspruch vertreten können – das Landesmuseum Darmstadt ist eines davon und beinhaltet darüber hinaus sogar eine naturwissenschaftliche Abteilung. Die ehemaligen Museen für Vor- und Frühgeschichte nennen sich nach und nach in Archäologische Museen um und die Kunstgewerbemuseen in die der Angewandter Kunst. Die Kunstmuseen waren die ersten die sich als eigenständig 'emanzipierten', alle aber sind hervorgegangen aus den Kunst- und Wunderkammern seit der Renaissance, wo meistens ein Hof sich solch ein Raritätenkabinett anlegte, in dem das Schöne wie auch das Seltsame und Seltene gesammelt und ausgestellt wurde.
Von dem ganzheitlichen Hintergrund dieser Sammlung des Landesmuseums im Alten Schloß muß man wissen, wenn man in Stuttgart vom Travertinblock aus Bad Cannstadt begrüßt wird, in dem sich die Spuren eines vor 240 000 Jahren von den Vorfahren des Neandertalers erlegten Hirschs finden, sein Geweih und die Schlachterutensilien, beides versteinert, und kurz um die Ecke die HENKELMÄNNER bestaunen kann, mit denen Arbeiter von ihren Frauen und Kindern mit Essen versorgt wurden, dann aber auch mit dem TALHEIMER ALTAR ein exquisites spätgotisches Kunstwerk anschauen darf, weil uns heute Kunst ist, was damals Kult war, und wenig später das TAFELSILBER des Regiments „Königin Olga“ glitzern sieht, was mal gerade vier Objekte der über tausend ausgestellten sind.
Über die erwähnten sieben Epochen hinweg können wir also konzentriert und kondensiert die Geschichte unserer Welt und des heutigen Menschen an Gegenständen miterleben, was den Ausstellungsmachern hervorragend gelungen ist, denn die Fundstücke sind teilweise sensationell und die Ausstellungsstücke gut ausgewählt und belegt. Erstaunlich die VENUS von vor 40 000 Jahren, als wohl älteste Menschendarstellung der Welt, die hier kopflos, aber mit ihren Fruchtbarkeitsdeutungen: nackt, wie schwanger, überbetontes Gesäß, riesige Brüste und Vulva eindeutig zu erkennen ist, wo doch die weltbekannte Venus von Willendorf – mit Kopf, aber wahrlich eine Verwandte– 'erst' 25 000 Jahre alt ist.
Uns geht es regelmäßig so, daß wir an den ältesten Gegenständen am längsten kleben bleiben, auch weil wir uns in diesen fernen Zeiten am wenigsten auskennen, aber eben auch, weil diese Gegenstände eine Aura haben, der man sich aussetzen muß und seine Phantasie schweifen lassen darf, wie das so war, damals in der Steinzeit, deren Entwicklung in die Bronze- und Eisenzeit anhand des Materials wir dann Schritt für Schritt näherkommen. Schmuck ist wohl das überzeugendste Erscheinungsbild für das, was Menschen durchgehend ästhetische, habituell und ohne größere Innovation über alle Kulturen verbindet, denkt man bei den Perlen und dem Goldgeschmeide, was auch daran liegt, daß schon der ganz frühe Schmuck so vollendet ist. Aber auch die Werkzeuge haben ähnliche Formen und gar die Töpfe und Tiegel! Als ob es eine genetische Disposition für Formen im Menschen gäbe.
Aber dann ist auch wieder alles ganz anders. Warum haben die Kelten so seltsame Figuren, wie hier die doppelgesichtige überlebensgroße Stele aus Holzgerlingen mit der sogenannte Blattkrone, die schon als 'Ohrenauswuchs' den hessischen 'Fürsten von Glauberg' ziert. Janusfiguren haben immer einen rituellen Hintergrund. Aber welchen? Dabei sind diese Kelten mit dem 4. bis 2. Jahrhundert vor Chr. noch verhältnismäßig nahe an unsere Zeit. Solche Figuren fand man im Acker oder eben auch in den Gräbern, von woher die meisten Fundstücke stammen. Da hätten künftige Archäologen mit den heutigen Zeiten und Gräbern wenig Aussagemöglichkeiten, denn Grabbeigaben gibt es in unserem Kulturkreis nicht mehr, um so interessanter, was man den Toten auf ihrem Weg – wohin? - mitgab. Fortsetzung folgt.
Katalog zur neuen Dauerausstellung: LegendäreMeisterWerke. Kulturgeschichte(n) aus Württemberg, hrsg. Vom Landesmuseum Württemberg, Stuttgart 2012, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart, wobei dies eine limitierte Vorabausgabe zum Vorzugspreis ist, der im Juni 2012 die Originalausgabe folgt. In dieser Ausgabe werden dann die sieben Altarfalze mit den Panoramaabbildungen der neu konzipierten Ausstellungsräume enthalten sein. Schlägt man den gut 270 Seiten fassenden Begleitband auf, auf dessen Titel sich zehn der rund 1000 Ausstellungsexponate über die Jahrhunderte hinweg auf edlem Schwarz farbig zeigen, so fällt einem – ebenfalls auf Schwarz, wie fast alle fotografierten Objekte hinterfangen sind – die Württembergische Königskrone in die Augen. Schön sieht sie aus und im Kapitel: „Württemberg ist Königreich“ auf den Seiten 209-241 wird auch die Krone ausführlich gewürdigt.
Wirklich irritierend ist dann aber die nächste Seite, auf der ein Gegenstand abgebildet ist, der zur Sorte der Objekte gehört, wie sie seit dem Kultfilm von 1968 „2001: Odyssee im Weltall“ in ihrer Abstraktion und edlen Ästhetik von der tiefsten Vergangenheit bis in die fernste Zukunft zugehörig erscheinen. Keine Ahnung, was das ist. Beim Nachlesen entschlüsselt sich: „Goldgriff: Spatha aus Sindelfingen, Detail“ und auf den angegebenen Seiten 122 und 137 kann man nachlesen, daß solche doppelschneidigen Hiebschwerter, die es nur in der fränkisch-alamannischen Zeit ab dem 5. Jahrhundert n. Chr. gab, wohl nur der Repräsentation dienten und vor allem Grabbeigaben waren.
Machen Sie es mit diesem Kunst-Geschichts-Kulturband fürs Leben wie wir: Schlagen Sie ihn einfach auf und lassen Sie sich von den herrlich fotografierten Objekten motivieren, ihre Entstehung, ihre Funktion, ihre Verwandtschaften und historische Einordnung nachzulesen. Und dann, durchaus auch ein andermal, nehmen Sie sich diesen opulenten Band systematisch vor und fangen mit der Steinzeit an, dem die anderen sechs Stationen der Ausstellung adäquat folgen, wobei die drei Türme, in denen Macht, Glauben und Identitäten gesondert eine Rolle spielen, ebenfalls vorgestellt werden. Darüber hinaus werden Überlegungen zur Ausstellungsgestaltung, dem Einbezug von Kindern und Jugendlichen sowie die Restaurierungswerkstätten behandelt. Perfekt.
Audioguides gibt es auf Deutsch, Englisch – und auf Schwäbisch und sind im Eintrittspreis enthalten.
Das reichhaltige Programm von Führungen, Veranstaltungen etc. entnehmen Sie bitte der Webseite.
www.landesmuseum-stuttgart.de