FRIEDRICH KIESLER. Eine Ausstellung über den sozialutopistischen Architekten im MAK Wien bis 2. Oktober, Teil 2/2

Anna von Stillmark

Wien (Weltexpresso) -Ein Modell für die Stadt der Zukunft legte Friedrich Kiesler mit der Raumstadt (1925) vor, die er auf Einladung von Josef Hoffmann für die österreichische Theatersektion der Exposition internationale des Arts décoratifs et industriels modernes in Paris ent-wickelte. Eine Rekonstruktion dieses futuristischen Modells einer im Raum schwebenden Stadt wird als zentrales Objekt der Ausstellung FRIEDRICH KIESLER. Lebenswelten im Zentrum der MAK-Ausstellungshalle in einem durch schwarze Vorhänge abgedunkelten Raum in Originalgröße inszeniert.


Gestaltung dient der Förderung der Gesundheit und dadurch dem Wohlbefinden der Gesellschaft, machte Kiesler in seinem Essay „On Correalism and Biotechnique. A Def-inition and Test of a New Approach to Building Design“ (1939) seine ästhetischen In-tentionen deutlich. Exemplarisch entwickelte Friedrich Kiesler die Vision des Endless House, die er als „Nucleus“ (gleichsam eine gestalterische „Stammzelle“) einer auf den Menschen bezogenen Gebäudeplanung betrachtet.

Die praktische Umsetzung der correalistischen Theorie („Biotechnique“) findet in den späten 1930er und frühen 1940er Jahren im Rahmen des von Kiesler an der Columbia University in New York gegründeten Laboratory of Design Correlation ihre Fortsetzung. Mit dem ebenfalls in der MAK-Ausstellung präsentierten Konzept der Vision Machine, das zwischen 1938 und 1942 entstand, visualisierte Kiesler den Prozess der Wahrnehmung von Kunst. „Die Vision Machine“, erklärte Kiesler, „wird es uns ermöglichen, die bildenden Schöpfungen des Menschen einzuordnen. Da die Vision Machine versucht, die unterschiedlichen Komponenten des Sehens und Vorstellens zu demonstrieren, sollte sie die Analyse und das Verständnis der verschiedenen physischen und psychischen Quellen, die den Ursprung der bildenden Kunst darstellen, erleichtern.“ (lebbeuswoods.wordpress.com)


Die bereits 1924 von Theo van Doesburg in Wien beschworene, für Kiesler charakteristische „Vereinigung der Künste“ erreicht 1947 im Totalambiente der Salle de Superstition [Raum des Aberglaubens] in der von ihm in der Pariser Galerie Maeght inszenierten Ausstellung Le Surréalisme en 1947 ihren Höhepunkt. Dort gewinnen aber auch Aspekte des „Magischen“ eine bis dahin in Kieslers Werk unbekannte Dimension.


Seine Vision einer Beziehung zwischen Kunstwerk, Raum und BetrachterIn wird in FRIEDRICH KIESLER. Lebenswelten nicht zuletzt durch die Galaxies deutlich, mit denen er den Umraum in die Bildkomposition miteinbezog. Kiesler schuf mit dieser in den 1950er und 1960er Jahren entstandenen Werkgruppe eine ebenfalls auf den Pri-zipien des Correalismus basierende Synthese von Malerei, Bildhauerei und Architektur. In ihrer Gesamtheit gleichen sie der Struktur von Planeten- und Sternensystemen, weshalb Kiesler sie als Galaxies bezeichnete.


Seine künstlerischen und theoretischen Überlegungen bilden eine vielfältige Inspirati-on für zeitgenössische Interpretationen durch die bildende Kunst. An verschiedenen Nahtstellen im Rahmen der Ausstellung treten Leonor Antunes, Céline Condorelli, Verena Dengler, Lili Reynaud-Dewar, Apolonija Šušteršič und Rirkrit Tiravanija mit Kiesler in einen zeitgenössischen Dialog. Lili Reynaud-Dewar tanzt in der Rolle des Endless House um das Modell für eine Stadt der Zukunft. Die Inszenierung übersetzt das Prinzip des Endless House in eine Sphäre aus einfachen Linien und Flächen der Raumstadt. Verena Dengler entwickelte mit Janina Audick und Sachiko Hara als Black Widows die performative Szenerie Die Geburt des Bucephalus – nach einer unvollendeten Skulptur Kieslers. Versatzstücke aus Kunst- und Theaterwelten werden frei nach Kiesler zu einer situativen Einheit zusammengefügt.

Im imaginären Rhythmus von handwerklichen Materialien, Texturen und Formen entwickelte Leonor Antunes in der permanenten MAK-Schausammlung Wien 1900 nach einer Gestaltung Kieslers für das New Yorker Kaufhaus Saks Fifth Avenue das Modell eines Schaufensters – das seinen Zugang zur Moderne verdeutlicht.


Céline Condorelli reagierte auf vorhandene Strukturen und lässt The Swindelier (2015) agieren – eine Skulptur, die im Zeichen des Zusammenspiels von Akustik, Form und Ästhetik atmosphärische Elemente modelliert.


Auf Einladung von Rirkrit Tiravanija wird Karl Holmqvist in der Rolle des Protagonisten Kiesler aus theoretischen Schriften lesen. In Anspielung auf Kieslers Selbstdarstellungen wählten die Künstler die Floor & Wall Galaxy (1952) als Bühne.


Apolonija Šušteršič initiierte mit Hild Borchgrevink, Nina Krogh, Linn Lervik und Ida Uvaas, Studentinnen an der Kunsthøgskolen i Oslo (KHiO, Kunsthochschule Oslo), die Aktionsgruppe Stefi Kiesler. Im Zentrum steht eine Kalendernotiz über ein Treffen anlässlich der später nicht ausgeführten Magic Show.

 

Foto: © 2016 Österreichische Friedrich und Lillian Kiesler-Privatstiftung, Wien; Foto: Lena Deinhardstein

 

Info:

Begleitend zur Ausstellung FRIEDRICH KIESLER. Lebenswelten erscheint im Birkhäuser Verlag eine gleichnamige Publikation (herausgegeben von Christoph Thun-Hohenstein, Dieter Bogner, Maria Lind und Bärbel Vischer, Deutsch/Englisch, 224 Seiten mit zahlreichen Farbabbildungen, MAK Wien/Birkhäuser Verlag, Basel 2016.
Erhältlich im MAK Design Shop und unter MAKdesignshop.at um € 39,95.) mit Beiträgen von Dieter Bogner, Peter Bogner, Almut Grunewald, Barbara Lesák, Maria Lind, Megan R. Luke, Vanessa Joan Müller, Spyros Papapetros, Hani Rashid, Christoph Thun-Hohenstein, Bärbel Vischer und Gerd Zillner.


Als Teil des Vermittlungsprogramms startete das MAK innovative und auf Partizipation beruhende Projekte mit Wiener SchülerInnen, die ihr Verhältnis zu ihren Lebenswelten und ihre Wahrnehmung von Raum als aktiv veränderbare Umwelt thematisieren. Die Jugendlichen setzten sich intensiv mit Friedrich Kiesler auseinander und gestalteten Beiträge, die im Kontext der MAK-Ausstellung gezeigt werden. Die Idee dazu basiert auf der Ausstellung Frederick Kiesler: Visions at Work Annotated by Céline Condorelli and Six Student Groups (11. Februar – 3. Mai 2015) der Tensta Konsthall, Stockholm.


Das im Rahmen von „Programm K3 – Kulturvermittlung mit Lehrlingen“ als Kooperation des MAK mit KulturKontakt Austria initiierte Projekt einer Integrationsklasse der Berufsschule für Frisur, Maske und Perücke wurde vom Vermittlerinnen-Team toikoi konzipiert und umgesetzt. KulturKontakt Austria (Initiative „culture connected“ des BMBF – Bundesministerium für Bildung und Frauen) förderte den Beitrag einer Klasse des Bundesgymnasiums Wien 9 (Wasagasse 10, 1090 Wien). Eine Klasse des BORG für Musik und Kunst (Hegelgasse 12, 1010 Wien) realisierte ein durch die Aktion „Schul-kulturbudget für Bundesschulen 2015/16“ gefördertes Projekt.


RAHMENPROGRAMM ZUR AUSSTELLUNG
FÜHRUNGEN
Sa, 14:00 Uhr
So, 15:00 Uhr
KURATORiNNENFÜHRUNGEN
Do, 7.7. und 8.9.2016, jeweils 16:00 Uhr, mit MAK-Kuratorin Bärbel Vischer Di, 6.9.2016, 16:00 Uhr, mit Gastkurator Dieter Bogner
ARTISTS' TOUR durch die Ausstellung (in English) Mi, 15.6.2016, 11:00 Uhr, MAK-Ausstellungshalle
mit Gastkuratorin Maria Lind, MAK-Kuratorin Bärbel Vischer und den KünstlerInnen
PODIUMSDISKUSSION Mi, 15.6.2016, 16:00 Uhr, MAK-Vortragssaal Frederick Kiesler: The Open Future (in English) mit Dieter Bogner (Moderation), Beatriz Colomina, Maria Lind, Hani Rashid und Benedetta Tagliabue
VORTRÄGE
Di, 12.7.2016, 19:00 Uhr, MAK-Säulenhalle Meant To Be Lived In Dieter Bogner, Gastkurator
Do, 1.9.2016, 16:00 Uhr, MAK-Säulenhalle
Stefi Kiesler: Künstlerfrau, Bibliothekarin, Netzwerkerin
Jill Meißner
So, 4.9.2016, 16:00 Uhr, MAK-Säulenhalle Frederick Kiesler’s Magic Architecture (in English) Spyros Papapetros
So, 11.9.2016, 16:00 Uhr, MAK-Säulenhalle Friedrich Kieslers Endless House. Eine unendliche Geschichte Gerd Zillner
Do, 15.9.2016, 16:00 Uhr, MAK-Säulenhalle Friedrich Kiesler und die architektonische Erneuerung des Theaters: von der Raumbühne zum Endless Theatre Barbara Lesák

Workshop für die ganze Familie (ab 4 Jahren) Materialbeitrag: € 2 pro Kind Eintritt für Begleitpersonen: € 7,50 Bitte um Anmeldung unter: T +43 1 711 36-298, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Eröffnung
Dienstag, 14. Juni 2016, 19:00 Uhr
Ausstellungsort
MAK-Ausstellungshalle
MAK, Stubenring 5, 1010 Wien
Ausstellungsdauer
15. Juni – 2. Oktober 2016
Öffnungszeiten
Di 10:00–22:00 Uhr, Mi–So 10:00–18:00 Uhr
Jeden Dienstag 18:00–22:00 Uhr Eintritt frei