Sebastião Salgado in Schwarz Weiß in Frankfurt, Teil 1/3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wir hatten in einer Vorankündigung auf die Eröffnung der SALGADO-Ausstellung in der Studiengalerie 1.357 aufmerksam gemacht, die am 8. Juni mit viel Volk eröffnet wurde.
Irgendwie rührend für unsereinen, wenn sich so viele richtig junge Studentinnen – sehr viel mehr Frauen als Männer! - in und vor dem kleinen Raum tummeln, wo dann an der gegenüberliegenden Wand die 4 x 3 Fotos als Bilderwand hängen. Zu diesen zwölf Bildern kommt dann noch eines an der Eingangswand hinzu.
Erst einmal recht wenig, denkt unsereins, wenn er den Salgado im Kopf und im Herzen mit sich trägt. Die Fotografien stammen alle aus dem Museum für Moderne Kunst in Frankfurt, dem MMK, und wir wissen nicht genau, wie große die Auswahl war, die zu den nunmehr 13 Fotografien geführt hatte. Und erst einmal – das sagt auch die Einladung eindeutig – geht es um das spezielle Thema MIGRATIONS 1994 – 2000.
Das ist wichtig zu wissen, denn im letzten Sommer war Sebastião Salgado in aller Munde, als seine Foto-Ausstellung GENESIS im C/O Berlin im Amerikahaus am Bahnhof Zoo zu sehen war. Die 245 großformatigen Schwarz-Weiß-Fotografien über das vielfältige Antlitz der Erde und der auf ihr lebenden so unterschiedlichen Menschen bleiben auch in der Erinnerung eine Wucht. Und wir konnten diese konservieren, denn der ebenfalls großformatige Band GENESIS vom Verlag Taschen ist nicht nur außerordentlich attraktiv, sondern hält die Erinnerung aktiv fest. Wir blättern alle Monate in dem Band, von diesen Abbildungen kann man nie genug bekommen, weshalb wir nachher noch mehr darüber schreiben werden.
Aber erst soll das Bemühen der beiden Frankfurter Studentinnen Johanna Salomon und Lisa Voigt gelobt werden, denn es ist etwas anderes, ob ein Kuratorenteam eine große Ausstellung macht, zu der Fachleute und interessierte Laien erwartet werden, oder ob man im studentischen Umfeld sozusagen das Kuratieren durch Tun lernt. Wichtig ist, daß es sich bei MIGRATIONS um den Zyklus handelt, der vor GENESIS und vor DAS SALZ DER ERDE den Ruhm des brasilianischen Fotografen begründete.
Auch hierzu gibt es einen Bildband, der MIGRANTEN heißt und bei Zweitausendeins erschienen ist. Das aber haben wir erst im Nachhinein festgestellt und leider auch, daß der am 1. Februar veröffentlichte Band auf Deutsch damals nur 89 Euro gekostet hatte – 'nur' im Verhältnis dazu, daß er als gebraucht in sehr gutem Zustand derzeit für 311, 92 Euro verkauft wird. In der Studiengalerie lag aber der – wohl originale Band von Aperture auf Englisch - aus, der so umlagert war, daß man nur Blicke erhaschen konnte. Schade, denn der Band auf Deutsch wäre doch als Zweitexemplar sehr sinnvoll gewesen.
Daher wissen wir auch, daß die ausgewählten 13 Fotografien aus insgesamt 300 der Serie MIGRATIONS der Jahre 1994 bis 2000 bestehen, wofür Salgado in 39 Ländern verteilt über alle Erdteile unterwegs war, denn das Thema ist keines, das auf Afrika beschränkt wäre, sondern ein weltweites Thema, wo sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt höchsten die regionale Verschiebung ergibt. Die grundsätzliche Wanderungs- und Fluchtbewegung geht von Süd nach Nord und von Ost nach West.
Mehr wollen wir aber nicht mäkeln, denn es ist ja eine Tat, in einer Zeit die Fotos, die 2000 veröffentlicht wurden, nun wieder an die Wand zu hängen, wo das Thema Flucht und Flüchtlinge so dezidiert öffentliches Thema ist wie seit den Flüchtlingsbewegungen nach dem 2. Weltkrieg nicht mehr. Und da sind wir schon bei der ersten Korrektur unserer eigenen Ansichten. Denn MIGRANTEN oder MIGRATIONS klingt allzu sehr nach Einwanderern, also denen, die freiwillig wie viele Deutschen im 19. Jahrhundert in die Neue Welt oder auch nach Brasilien ausgewandert sind, weil sie sich dort bessere Lebensverhältnisse versprochen hatten – und sehr oft durch viel Fleiß auch erreichten. Nein. Hier geht es um Flucht, um Flüchtlinge. Entweder um diejenigen Menschen, die vertrieben werden aus ihrer Heimat oder um die, die so bedroht sind und vor allem das Schlimmste für ihre Kinder fürchten, daß sie 'freiwillig' die Flucht antreten, die ja immer wieder schon unterwegs zu Ende ist.
Das ist deshalb wichtig festzuhalten, weil die ausgewählten Fotografien von Salgado, der als Hausfotograf bei MAGNUM die sozialkritische Fotoreportage gelernt hatte, allesamt eine Aussage haben und bei aller ästhetischen Raffinesse, die auch hier zu erkennen ist: die Lichtgestaltung, der spezielle Fokus, der mal weite, mal überhaupt nicht vorhandene Horizont, den geschundenen Menschen zum Mittelpunkt haben. Es geht um das Leid von Menschen, ihr Überleben, aber auch um ihren Tod und immer wieder um Kinder, die im Nirgendwo zu Hause scheinen.
Total spannend, den Anwesenden zuzuhören, wie sie über die Fotografien reden – und sachkundig oder auch besserwisserisch die Umstehenden belehren, woran man das Künstlerische an diesem einen Foto erkennen kann und wo bei dem anderen. Seltsam, die selbst ernannten Kunstkritikerinnen – nein, nein, wir sprechen nicht von den beiden Kuratorinnen – holen allerhand aus der Mottenkiste der Fotokritik. Dabei sind diese Kunstfotos – ja, es ist eben auch Kunst, Elend und das Leid von Menschen so darstellen zu können – von einer Einfachheit und elementarer Aussage, daß man sich nur davor stellen muß, schweigen und tief in das Bild hineinschauen sollte.
Ja, dann spricht der kleine Junge zu einem und dann verrät die verschleierte Frau ihr Geheimnis. Daß es Kriege gibt, zeigen die Fotos auch im technischen Aspekt und daß Menschen bereit sind zu Kriegstaten und Gräueln eben auch. Die ausgewählten Fotos vermögen beides: sie sind genauso neu und intensiv beim Schauen wie sie in das Bildschema passen, das in unserem kulturellen Gedächtnis für Krieg, Flucht und Flüchtlinge vorhanden ist.
Auf jeden Fall sollte eigentlich von jedem der über 40 000 an der Goethe-Uni Studierenden eine Semesterbescheinigung über den Besuch dieser kleinen feinen SALGADO-Ausstellung verlangt werden. Aber auf das Wichtige kommen die Leute ja nie!
Was wir uns für die Zukunft wünschen, das wäre, so eine kleine Fotoausstellung in den Kontext eines Gesamtwerkes zu stellen. Also irgendwo – das kann auch eine Buchhandlung sein oder die Universitätsbibliothek– die Bücher von und über Salgado einsehen zu können und vor allem diesen innigen Film von Wim Wenders über Salgado sehen zu können, so lange die Ausstellung währt. Uns auf jeden Fall hat Ausstellung und Eröffnung sofort motiviert, uns wieder gründlich mit GENESIS, dem Bildband vom Verlag Taschen und dem Film DAS SALZ DER ERDE zu beschäftigen. Fortsetzung folgt also
Ausstellung: Sebastião Salgado, MIGRATIONS, bis 15.7. 2016 in der Studiengalerie 1.357, IG-Farbenhaus, Campus Westend, Goethe-Uni Frankfurt
Bildband: Sebastião Salgado „Genesis“, gebunden, 580 Seiten mit Einlegeheft Erklärungen zu den Fotos, Taschen-Verlag, 49,99 Euro
Film/ DVD und Blu-Ray
Das Salz der Erde. Eine Reise mit Sebastião Salgado. Ein Film von Wim Wenders und Juliano Ribeiro Salgado
DVD
Ton: Dolby Digital 5.1
Sprachen: Deutsch mit französischen und portugiesischen Passagen
Untertitel: Deutsch
Bild: 16:9 (1,85:1)
Länge: 106 Min
FSK: Hauptfilm 12
Blu-Ray
Ton: DTS-HD Master Audio 5.1
Sprachen: Deutsch mit französischen und portugiesischen Passagen
Untertitel: Deutsch
Bild: 16:9 (1,85:1) / 1080p
Länge: 110 Min
FSK: Hauptfilm 12
BONUSMATERIAL
Deleted Scenes · Papu’s Song - Musik Video · Featurette Premiere in Essen & Berlin
· Kinotrailer · Erstauflage mit Postkarten-Set: 4 Motive von Sebastião Salgado
Info II: Letzjährige Artikel in Weltexpresso über Salgado:
http://weltexpresso.wurzelknoten.de/index.php/kino/5155-der-dokumentarfilm-das-salz-der-erde
http://weltexpresso.wurzelknoten.de/index.php/kunst2/5154-genesis-der-katalog
http://weltexpresso.wurzelknoten.de/index.php/kunst2/5153-seine-ausstellung-genesis