1.Retrospektive auf Michael Riedel: KUNSTE ZUR TEXT in der Schirn in Frankfurt am Main
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wer mit 40 Jahren seine 1. Retrospektive ankündigt, hat noch viel vor. Finanzieren könnte sein Werk unter anderem der Verkauf seines S.. Das war nämlich sein erster Streich, als er 1998 – Meisterschüler von Hermann Nitsch – anläßlich einer Ausstellung von Städelschülern sich eine schlichte Papiertüte über den Kopf zog, auf der in Lettern MICHAEL S:RIEDEL stand und er dazu sagte: Ich bin Michael S. Riedel.
Wer so etwas unternimmt, zeigt sich in der Kunstgeschichte bewandert, in der die seit Platon thematisierte Differenz von Gegenstand und seiner Bezeichnung - spricht der Riedel oder seine Schrift auf der Tüte? Beobachten wir den Künstler als Schöpfer seiner Kunst oder beim Beobachten seiner Schöpfung – in der Kunst einen Höhepunkt mit Magritte und seiner Pfeife fand. Dazu gleich mehr. Uns interessierte das S., das seit dem Jahr 2000 verloren ging, denn in den letzten Jahren vernahm man nur noch vom Künstler Michael Riedel. Das sei richtig, beschied einen der Künstler, erstens sei das S. niemals echt gewesen, er habe nur den Vornamen Michael und zweitens habe er dies erfundene S. gewinnbringend verkauft. Allerdings nur die englische Version des S., die seitdem eine gewissen Nina zur Nina S. Beitzen macht.
Und wenn man dann weiterfragt, wie viele S. er noch zu verkaufen hat, liegt die Antwort nahe, so viele, wie es Sprachen gibt. Die werden allerdings mit abnehmender Tendenz auf der Welt noch mit 2 000 bis 8 000 angegeben. Mit einem Wort, wir haben es mit einem Schelm zu tun, der sich zufrieden zeigt, daß er nicht in Kassel auf die documenta muß, sondern in der Schirn ein Solo hinlegen darf. Das allerdings ist auch eine hohe Weihe, vor allem, weil ab nächster Woche, ein anderer Chelm – wir verkaufen jetzt auch unsere S! - die Ausstellungshalle Schirn füllen wird: Jeff Koons.
Allerdings haben die Konzepte und die Kunstprodukte beider nichts miteinander zu tun. Denn Michael Riedel ist ein strenger Vertreter der Konzeptkunst, dessen Markenzeichen nicht so sehr die einfache Kopie, sondern stärker die Anverwandlung, ja Transformierung eines Objektes in ein anderes Medium ist, was sich wiederholen kann. Direktor Max Hollein, der sich mit der Präsentation des Riedelschen Ouevres sehr zufrieden zeigte, bescheinigte ihm, „originäre Kunst in origineller Zweitverwertung“. Tatsächlich ist Riedel aber schon weiter, weil er nicht nur von A- und B-Versionen, sondern schon von C-, D-, E., F-, G- und H-Versionen spricht. Wobei man das nicht so buchstäblich nehmen darf, denn mit dem Alphabet wäre Riedels Spielraum noch lange nicht zu Ende.
Michael Riedel, Jahrgang 1972 und aus Rüsselsheim hatte im Jahr 2000 sein Studium an der Frankfurter Städelschule beendet und zusammen mit Freunden im damals noch durch Industrie geprägten, leicht schmuddeligen Osten Frankfurts, in der Oskar-von-Miller-Strasse 16 ein Haus gemietet, das alles in einem war: Aufenthaltsort, Künstleratelier und Ausstellungsraum. Seit 2004 wurde dort in der FREITAGSKÜCHE auch gekocht und gegessen. Ein Lebenskonzept, das zum Kunstkonzept wird und umgekehrt. Es gibt auf jeden Fall nichts in diesem System, was nicht das Zeug hätte, als Kunst wiederholt zu werden.
Heute gilt diese Stätte, die verlassen werden mußte, als legendär, was für die gesamte Szenerie gilt, denn nicht nur diese Straße wurde aufgehübscht, sondern zielstrebig Strukturpolitik durch Ansiedelungen ‚hochwertiger’ Firmen betrieben, deren Höhepunkt nun der gegenwärtige Umbau der alten Großmarkthalle zur neuen Europäischen Zentralbank wird. Die Freitagsküche gibt es nun in der Mainzer Landstraße, nahe dem Bahnhof, der Straße in den einst ebenfalls industriellen Westen der Stadt, die wohl auf länger leicht angeschmuddelt bleibt, bis die Boden- und Stadtspekulation hier zuschlägt.
Das Riedelsche Prinzip, Dinge oder Ereignisse, oder ganze Ausstellungen anderen Ortes mit anderen Materialien zu wiederholen, hatte im Jahr 2002 einen Höhepunkt in der Gilbert & George Ausstellung im alten Portikus, dem Ausstellungsraum hinter den klassizistischen Säulen, wo heute das Literaturhaus eingerichtet wurde. Damals ließ Riedel zwei Männer mit namens Gert und Georg hinter den beiden quasi als Doppelgänger herlaufen, die jede Bewegung nachmachten, die Gesten einschließlich der Mimik. Der Film davon wurde dann im Haus Nr. 16 gezeigt. Hier in der Schirn nun wird wiederum die Wohnung in der Oskar-von-Miller-Straße in einem Kabinett nachgebildet durch lauter in die gleichen Rahmen gesteckten graphischen Blätter, Zeichnungen, Plakate, alles in Schwarz Weiß, mit einem als einziger gelber Fleck.
Schwarz und Weiß sind die Farben des Konzeptkünstlers Riedel, was auf der Hand liegt, denn sie sind die Kennzeichen von Schrift und Graphik. Wenn die Ausstellung im viereckigen Hauptraum nun auf allen vier Seiten eine schwarz-weiße Tapete schmückt, auf der KUNSTE ZUR TEXT in verschiedenen, sich wiederholenden Variationen und graphischen Mustern erscheint, wird die Zeitschrift TEXTE ZUR KUNST – das Original – ebenfalls zweitverwertet. Der Name ist umgestellt, Träger Papier bleibt, aber aus der Zeitschrift wird eine Tapete.
Einen Jux will er sich machen, wäre auch eine schöne Überschrift gewesen. Denn immer wieder kommt einem diese Ausstellung auch vor als eine, wo ein Schlitzohr sich die Verunsicherung, denen die meisten Menschen heute unterliegen, was Leben ist und sein könnte und was Kunst ist und sein könnte, sich diese Verunsicherung also zu Nutze macht und noch eins drauf gibt in einer Welt, wo sowieso alles durch die technischen Möglichkeiten der Zeit endlos wiederholt wird und wir alle längst in diesem Sinne synthetisch leben. Nicht nur andere, sondern auch uns selbst immer wieder kopieren. Wenn schon Synthese, dann eine gewollte.
Katalog:
Michael Riedel.KUNSTE ZUR TEXT, hrsg. Von Matthias Ulrich und Max Hollein, Verlag der Buchhandlung Walther König 2012
www.schirn.de