Serie: Jubiläumsausstellung in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden, Teil 3

 

Claudia Schulmerich

 

Dresden (Weltexpresso) – Eine der großen Überraschungen in der Ausstellung zum 500sten Geburtstag der Sixtina sind nicht so sehr die russischen Täfelchen in der Beschriftung der Bilder – gleichwohl für Westler ungewöhnlich –, sondern eben auch die Vielzahl der Besucher aus Rußland, was man hört und sieht, was dennoch nur ein Bruchteil der nationalen Verehrung ist, die seit jeher die russische Seele der Vision dieser Madonna entgegenbringt.

 

Ausgangspunkt bleiben im Ausstellungskatalog unter der Kapitelüberschrift PRÄSENZ IM VERBORGENEN von Thomas Rudert ab Seite 113 die Jahre von 1939 bis 1955, in denen die Raffaels Madonna in Dresden nicht zu sehen war. Rudert beschreibt detailliert die Jahre, die dem 11. September 1939 folgten, als die Sixtina aus ihrem Rahmen genommen wurde und sie die stationsreiche Reise von einem Versteck zum nächsten bombensicheren Platz begann. „Sie wurde mit der Bildträgerseite nach unten in einer paßgenauen Sperrholzkiste verwahrt, die bereits ein Jahr zuvor anläßlich der 'Sudentenkrise' angefertigt worden war“. So blieb sie erst in den Kellern, kam dann auf die Albrechtsburg nach Meißen. „Während ihres vierjährigen Aufenthalts an diesem Standort bis zum 15. Dezember 1943 wurde die Sixtina regelmäßig auf ihren Zustand hin begutachtet, durchweg mit befriedigendem Resultat.“

 

Dennoch war weder die Bombensicherheit noch die Einhaltung der Klimawerte gesichert, vor allem war der Aufenthaltsort der Sixtina und 426 weiterer Kunstwerke aus Dresden in der Meißener Bevölkerung allzu bekannt. Deshalb wurde das Kultbild in einen Tunnel acht Meter unter der Erdoberfläche zum Steinbruch Lohmgrund gebracht. „Der heikle Transport erfolgte am 15. Dezember 1943 mit einem Möbelwagen der Firma Seidel und unter Begleitung einer Motorradstreife der Polizei... Als in der abendlichen Dämmerung des 8. Mai 1945 der erste sowjetische Panzer auf der Straße Pirna-Königstein gut hörbar am Tunnel vorbeirollten, beendete die Gendameriewache ihre Tätigkeit.“

 

Der Tunnel wurde erst einmal von den Sowjets nicht entdeckt, dann aber in der Nachfrage eines Generals der Roten Armee nach den Aufbewahrungsorten der Kunstwerke zusammen mit anderen benannt. Was dann detailliert im Artikel geschildert wird, gleicht einem Krimi mit dem vorläufigen Ende der Reise am 30. Juli Mai 1945 in Moskau, wo die Madonna am 10. August im Puschkin-Museum ankam, das generell als sowjetisches Beutekunstdepot diente. In Deutschland bedauerte man den Verlust, aber in diesen Tagen nach dem Krieg waren andere Probleme vordringlicher. Bei der ersten Ausstellung der Dresdner Gemäldegalerie nach dem Krieg im Juli 1946 wurde die Madonna allerdings sehr vermißt.

 

Dennoch wissen die Dresdner bis heute nicht aus eigener Kenntnis, was mit der Madonna in den rund zehn russischen Jahren geschehen war, bevor sie am 2. Mai 1955 für dreieinhalb Monate an der Rückseite der Haupttreppe im Puschkin-Museum öffentlich ausgestellt wurde, damit sie vor dem Rücktransport in die DDR allen Russen sichtbar wurde. Das nutzten immerhin rund 1, 2 Millionen Russen, was wiederum nur möglich war, weil die Öffnungszeiten des Museums auf 16 Stunden erhöht wurden. Verbunden war die Ausstellung mit der Mär, daß die Russen die Raffaelsche Madonna vor den Kriegswirren und ihrer Verwahrlosung gerettet hätten und sie durch aufwendige Restaurierung nun wieder in altem Glanz erstrahle. Warum wurde ein Teil der Beutekunst – noch heute befinden sich wertvolle deutsche Museumsschätze in Rußland – überhaupt zurückgegeben?

 

 

Dies hat sicherlich mit der Gründung des Warschauer Paktes am 14. Mai 1955 zu tun, der nicht nur eine sozialistische Antwort auf die Nato, sondern auch die Rolle der friedliebenden Sowjetunion dokumentieren sollte, wurde doch einen Tag später das bis dahin von den vier Siegermächten besetzte Österreich am 15. Mai 1955 ein freier souveräner Staat. Da war es aus politischen Gründen günstig, sich auch der Akzeptanz der DDR- Bevölkerung durch die Rückgabe der Madonna nach Dresden zu versichern, was sich auf die Weltmeinung auswirken sollte.

 

Als sich die UdSSR also zur Rückgabe des Bildes nach Dresden bereit erklärt hatte, wurde dies mit dröhnender Propaganda begleitet. In der jetzigen Ausstellung hängt ein Bild, das von Mikhail Kornetsky (1926 – 2005) erst 1984/85 gemalt wurde und so die Rettungslegende in ein Bild gießt. Man sieht im Hintergrund die Sixtina, davor sitzt auf einfacher Holzkiste eine Restauratorin, auf jeden Fall eine Gemäldesachverständige mit der Lupe, die auf das Gemälde gerichtet ist. Auf der rechten ein andächtiger Soldat mit kurzem Gewehr und und auf der Linken ein Kriegsveteran mit dem langen Gewehr, der eher wie ein Wachposten für die Madonna aussieht.

 

So war das auch gemeint. Denn die Sixtina war kein Raubgut, sondern wurde schnell mit der Mär verbunden, daß die UdSSR und das heißt: die Russen die Raffael Madonna gerettet hatten, selbst vor den Deutschen gerettet, die sie verkommen ließen. Nicht nur sie. Die gesamte Deportierung der Dresdner Kunstschätze in die UdSSR galt als Heldentat der Sowjetarmee, an das sich eine weitere Legende von den notwendigen und erfolgten Sanierungsarbeiten an den Gemälden anschloß.

 

Die triumphale Heimkehr in die DDR ging über Berlin nach Dresden. Die Kenntnis über diese zehn russischen Jahre der Madonna muß man allerdings aus anderen als den Dresdner Museumsquellen erschließen, wobei die Vorgeschichte der Sixtina in Rußland wichtig wird. Fortsetzung folgt.

Bild: Gemälde von Mihail Kornetsky, Die Rettung der Sixtinischen Madonna von 1984/85

 

Bis 26. August 2012

 

Katalog: Die Sixtinische Madonna. Raffaels Kultbild wird 500, Prestel Verlag 2012

Gleichnamiges Booklet in den Sprachen Deutsch, Englisch, Italienisch und Russisch.

 

Wer geglaubt hätte, er hätte durch die vorausgehende Ausstellung, den Besuchs der Raffaelschwester bei der Sixtina und den entsprechenden Katalog bei Prestel sowie den Besuch der jetzigen 500-Jahre-Feier schon alles über die Dresdner Madonna gewußt, der irrt sich gewaltig. Denn, was die Ausstellung in ihren vier Sektionen zeigt und erklärt, wird hier im Katalog in zweifacher Weise aufbereitet.

 

Wie immer gibt es auf den Seiten 156 bis 341 den eigentlichen Katalogteil mit den Abbildungen aller Austellungsexponate, nach Sektionen gegliedert, die alle eine kunsthistorisch einwandfreie Dokumentation der Herkunft, eine – bei den italienischen Briefen notwendig – Übersetzung sowie die Klärung des Zusammenhangs haben. Eingeleitet werden die vier Sektionen durch eine Einführung. Im ersten Teil sehen Sie auf Seitengröße der Sixtina Verwandten und ihre Cousinen von Lorenzo die Credi und Filippino Lippi, auch die Zeichnungen und Stiche des Marcantonio Raimondi und Marco Dente , Ugo da Carpi u.a. nach Raffael sowie Gemälde und Fotografien von Piacenza und der Kirche San Sisto.

 

Ab Seite 208 wird in der Dokumentation des Ankaufs der Katalog besonders wichtig, weil er den Briefverkehr auf Italienisch und Deutsch dokumentiert, was zu lesen einem leichter fällt, als vorneübergebeugt in der Ausstellung, wo einem die Bilder an den Wänden eh verleiten, stärker auf diese zu achten. Das haben auch wir genutzt. Die Gouache Adolph von Menzels, die dieser Sektion den Namen gibt, wird in den historischen Kontext ihrer Entstehung gerückt. Im gewissen Sinn ist die dritte Abteilung die interessanteste, weil es diejenige ist, die wir historisch oder auch heute noch selbst erfahren haben. Die Ausführungen und Dokumente sind kulturgeschichtlich spannend, weil sie zu helfen klären, weshalb die Madonna die ersten Jahrhunderte unbeachtet in Piacenza hing und daß das 19. Jahrhundert aus erklärbaren Grünen nur doch das I-Tüpfelchen zur ihrer Prominenz beitrug.

 

Das Leben der Engelchen, das überall ob ihrer eigenen Daseinsberechtigung in dieser Ausstellung betont wird, ist wirklich hinreißend dargestellt, wozu die Einzelabbildungen der gefundenen Devotionalien mit Herkunft und Erklärung für vielfaches Anschauen gut ist. Ehrlich gesagt kann man das alles im Katalog noch viel besser verfolgen, denn die vielen Gegenstände sind in der Ausstellung selbst gar nicht allesamt wahrnehmbar: von der Keksdose, über die neue Bausparförderung zum Luftspray und Angela Merkel Madonna. Herrlich.

 

Und dennoch, wie immer sind für Kunstinteressierte die Essays das Eigentliche. Ausstellungskurator Andreas Henning stellt die Ausstellung in den Kontext: KULTBILD UND BILDKULT. Bekannte Raffaelautoren vertiefen die Ausstellungsthematik, sowohl kunsthistorisch – Arnold Nesselrath über RAFFAELS KINDER, der Leiter der Gemäldegalerie Bernhard Maaz über RAFFAELS Sixtinische Madonna zwischen Religion und Realität – aber auch die gemäldetechnischen Aspekte zur Maltechnik und Restaurierungsergebnis. Uns hat besonders PRÄSENZ IM VERBORGENEN von Thomas Rudert interessiert, der DIE SIXTINISCHE MADONNA zwischen 1939 und 1955 an ihren Auslagerungsstandorten und der Mitnahme nach Rußland verfolgt. Da allerdings hätten wir uns mehr Information über die Zeit der Madonna in der UdSSR gewünscht, die ihre eigene – und schon vorher tradierte - Geschichte hat, weswegen auch heute viele Russen zu dieser Ausstellung kommen und die wir für einen Artikel weiter recherchieren wollen. In diesem Kontext wird auch die russische Beschriftung in der Ausstellung verständlich. Dieser Katalog gehört zu denen, die man fürs Leben kauft. Denn Raffael, die Sixtina und Dresden sind längst eine Symbiose.

 

 

 

www.skd.museum/sixtina

 

 

 

 

Info:

Mit freundlicher Unterstützung des MARITIM Hotel Dresden.

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