Serie: SAMMELN! Die Kunstkammer des Kaisers in Wien in den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim, Teil 2/2

 

Hans Weißhaar und Anna von Stillmark

 

Mannheim (Weltexpresso) – Fangen wir noch einmal von vorne an. Heute gibt es die nach allen Gebieten unterteilten Museen, die in dieser Spezifizierung ein Produkt des 19. Jahrhunderts sind. Kunst ist ein Begriff, der sich erst im Spätmittelalter entwickelte, wenngleich alle Hochkulturen auf Schönheit und Ehrwürdigkeit ihrer Kultgegenstände Wert legten. Auch die Katholische Kirche, die in Europa im Mittelalter zusammen mit den aufstrebenden Höfen die Maler und Bildhauer beschäftigten. Das nobilitierte Bürgertum oder aufgestiegener Adel in den italienischen Städten wie den niederländischen, dann deutschen, fingen zunehmend an, sich Bilder an die Wand zu hängen.

Porträts, wie der Adel, oder Seestücke und Naturwiedergaben, später Genreszenen, die sich alle aus den kirchlichen Gemälde als eigene Gattung entwickelten. Das waren die Bilder und die Skulpturen, die Gold-, Silber- und Messingschätze sowie exotische Kleinode wurde schon immer in den Schatzkammern gehortet wie auch Insignien der Macht. Schon immer hatte man auch Seltsamkeiten der Natur aufbewahrt. Das waren die Kuriositätenkabinette. Neu in der Renaissance kam dann das aufgrund der Verwissenschaftlichung entstehende Systematisierungsprinzip in Spezialsammlungen, was die in den italienischen Fürstenhöfen noch ganzheitlichen Kunstkammern zu sprengen anfingen.

 

Während also zunehmen Bilder aus den Kunstkammern in eigene Galerien überführt wurden, wuchs die Anzahl der Stücke, die über das Leben auf Erden Auskunft geben konnte. Je seltener, desto besser. Der Mensch drückte dieser Natur noch seinen Stempel auf, indem besondere Naturformen wie Muscheln durch Goldschmiedekunst in Gebrauchsgegenstände verwandelt wurden, von Humpen über kostbarste Glasgefäße, die aber samt und sonders doch nur als Ausstellungsstücke firmierten. Der, der als erster solch eine Kunstkammer seiner Preziosen im großen Stil in Wien errichtete, war der Bruder Karl V., der nach seiner Abdankung als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation 1556 seinen Titel und diesen 'deutschen' Raum seinem Bruder Ferdinand, als Kaiser Ferdinand I., übergab. Die Geschichte der Sammlung ist hochinteressant, weil vor allem durch Erbteilung auch Innsbruck – Schloß Ambras – sowie Graz ins Spiel kommen, wo insbesondere Naturalien und Naturphänomene durch Erzherzog Ferdinand II. gesammelt wurden, die dadurch zur „Kunst und Wunderkammer“ mutierten. Schluß zur spannenden Geschichte der Sammlung als Wissen der Welt, deren Entwicklung angemessen in der Ausstellung selbst eine Rolle spielt, damit wenigstens diese Ausstellung in den Grundzügen geschildert werden kann.

 

Rund 140 Meisterwerke sind glitzernd und prunkend in den Vitrinen oder als schwere Tapisserie an den Wänden ausgestellt. Wir sind – das muß man sich sagen – vor dem 19. Jahrhundert, das die zuvor integrierten Sammlungen aus allen Bereichen zugunsten der Bildenden Kunst in Nebenmuseen abschoben und die bis heute arrogante Unterteilung von Kunst und Angewandter Kunst zum Leitsatz erhoben, wobei die Angewandte Kunst die Dienerin ist. Hier nun in Mannheim darf sie Herrscherin sein, es dürfen die Goldgefäße, Bergkristalle, Halbedelsteine, Straußeneier, filigran Uhren und astronomischen Meßgeräte, die Statuetten aus Bronze und Elfenbein, die kunstvoll montierten Kokosnüsse, die vielfachen Muscheln zu Trinkgefäßen nobilitiert sich im Verbund mit Gemälden, die heute in Wien in der Gemäldegalerie hängen und Objekten, die heute in der Hofjagd- und Rüstkammer zu Hause sind, ein Stelldichein geben und zur Hauptsache werden.

 

Der Schätze sind so viele, daß wir jetzt nur denjenigen herausheben, der nicht da ist und aus gutem Grund erst ab der Neueröffnung in Wien zu sehen sein wird: Die Saliera des Benvenuto Cellini. Dieses kleine Meisterwerk, ein Salzfaß also, aber was für eines, wurde vor Jahren aus dem Kunsthistorischen Museum gestohlen, ausgerechnet, als Gerüste den Einstieg leicht machten. Jahrelang verschollen, wurde es in der Erde aufgefunden, ein Krimi sondergleichen und wir vermuten einmal, daß es der Saliera so geht wie den Throninsignien des Heiligen Römischen Reiches. Diese dürfen, nachdem Hitler sie nach Nürnberg geholt hatte und sie nach dem Krieg den Österreichern zurückgegeben wurden, nie wieder Wien verlassen. Das sehen wir in beiden Fällen ein und sind glücklich, was auch außerhalb dieser Preziosen sich nun in Mannheim als Schatz aus Wien angesammelt hat. Es lebe das Sammeln!

 

Bis 2. September 2012

 

Katalog:

Sammeln! Die Kunstkammer des Kaisers in Wien, hrsg. Von Sabine Haag und Alfried Wieczorek, Prestel Verlag 2012. Ein gelinde Überraschung auch der Katalog bei Prestel, ansonsten nicht einer der bevorzugten rem-Katalog-Produzenten. Man beginnt sinnvollerweise von hinten. Im Anhang ist nämlich die Stammtafel des Hauses Habsburg, bzw. Habsburg-Lothringen verzeichnet. Wir haben eine Lupe genommen, weil wir es genau wissen wollten. Auf zwei Seiten alle Habsburger darzustellen, fordert eben Opfer in der Schriftgröße. Aha, hier klärt sich auch, was wir in der Ausstellung nicht so verstanden, daß nämlich die fettgedruckten die Kaiser sind und die gelb markierten die Blutlinie der Habsburger bedeuten, was wichtig bei Maria Theresia wird, die zwar die Blutlinie repräsentierte, deren Ehemann Franz I. von Lothringen aber der Kaiser war.

 

Der Katalog gibt nicht nur die Geschichte dieser speziellen Sammlung wieder, sondern öffnet den Blick für das, was sich in den Jahrhunderten an Ideen und Prinzipien zum Sammeln entwickelt hat. Wir stehen heute an einem Endpunkt, wo das Leben und die Kunst so parzelliert ist, daß längst wieder eine Sehnsucht nach Integration besteht, so daß man den Weg zur Spezialisierung und und vereinzelten Generalisierung gut beobachten kann. Entscheidend für den Leser sind die Abbildungen und Texte zu den in Mannheim ausgestellten Objekten, die nichts zu wünschen übrig lassen.