Ausstellung der Internationalen Tage Ingelheim: ‚Emil Nolde, Die Grotesken‘ - zu sehen im Museum Wiesbaden Teil 1/2
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - ‚Die Grotesken‘ ist doppeldeutig. Es meint die Lebewesen wie die Werkstücke. Die Annäherung an das Werk Emil Noldes untersteht dem Wandel. Nolde hat selbst zwei Hälften ach in seiner Brust. Einerseits die Neigung zum stillen Leben, die in Portraits und Stillleben ihren Niederschlag findet, andererseits zeigt es den Voyeurismus, ein Leben zu beschauen, das zum bürgerlichen querliegt – und es drängt ihn dazu, dieses phantastisch andere Leben eines Burlesk-Grotesken auch selbst aus der überschäumenden Phantasie zu erzeugen.
Die Bergwelt wird ihm zum Urerlebnis
Dem Phantastischen gab er Ausdruck mit seinem ersten Gemälde, benannt ‚Bergriesen‘, 1895/96. Zu dessen Hervorbringung warf er - der Neigung seiner Kindheit entsprechend – den weiten Blick gen Monte-Rosa-Massiv, eine Dreiergruppe von Bergriesen und schälte aus diesen Menschenköpfe heraus, so wie Kinder dazu neigen, aus knorrigen Stellen alter Hölzer Figuren kauziger Art hinein- und heraus zu interpretieren. Hieraus datiert die Postkartenzeit (1895-1897), in der er ‚den Gesteinsformationen der Alpen menschliche Physiognomien gibt‘, die zur Erheiterung Anlass geben.
1897 lässt er in einer ersten Serie 30 farbige Bergpostkarten auf eigene Rechnung drucken, die ein außerordentlicher, zumal finanzieller Erfolg für ihn werden und seiner Laufbahn Schub geben. Indessen wurde das Bergriesenbild von der Akademie noch abgelehnt und gekündigt wurde ihm auch als Zeichenlehrer in St. Gallen.
Diese Neigung zu den Grotesken mit den seltsam andersgearteten Menschen und zu Zwitter- und Fabelwesen, hat ihn zu einem gemacht, den die Nazis später nicht in ihren Reihen wissen wollten, während er sich ihnen in einem Akt des nicht ganz nachzuvollziehenden Selbstmissverständnisses weltanschaulich anzudienen versuchte. Was Nolde von sich gab, gegen Juden und Kollegen, war nicht harmlos. Er sah seine Kunst in der schwülstigen Tradition einer deutsch-völkischen Idee, die aus alter Zeit herrührte.
Noldes Spielart des Expressionismus ist ein kryptisches Schwergewicht, er richtet an den Sehsinn kein schönfärbend Schmeichlerisches, verschont die Spießer nicht vor dem ihnen womöglich widrig und unangenehm Erscheinenden. In einer schleswig-holsteinischen Kneipe begab es sich mal, dass einer einen Band mit Fotos schleswig-holsteinischer Landschaften (‚Noldes Landschaften‘) mit einem Kunstband Noldescher Werke verwechselte. ‚Endlich nicht geschmiert‘, so ließ es sich vom Nebentisch hören. Vor einem kunstfeindlichen Hintergrund war Nolde den Nationalsozialisten unerwünscht. 1941 bekam er Berufsverbot. In dieser Zeit entstanden zu gewissen Teilen die ‚Ungemalten Bilder‘.
Das Publikum aquarelliert nach ihm
Trotz unterschiedlicher und sich wandelnder, wenngleich ernst gemeinter Haltungen zu Noldes Werken: bestehen bleiben wird immer die Beziehung zu diesem auf besondere Weise von der Welt Abgeschiedenen, sich der Welt Verweigernden.
Es gibt die verschiedenartigen Bedarfe des Publikums, die etwas sehr Eigenes haben. Jeder Kopf strebt zu seinem eigenen Nolde. In der expressionistischen Gartenanlage in Seebüll versuchen sich zuweilen Amateure an selbstverfertigten Aquarellen im Geiste Noldes. Auch besteht ein Interesse den Expert*innen, ihn immer wieder noch mal anders in den Blick zu bekommen, was legitim ist. Eine Frankfurter Nolde-Ausstellung von 2014 bezog sich eher noch auf das Gefälligere des Werks – sofern dieses denn je ein solches war.
Neben der Besprechung jener Ausstellung abgedruckt wurden solche Werke, die mehr den Zügen des sich der Nordseelandschaft zurückgenommen dreingebenden Künstlers entsprachen, der Ruhe und Stille schätzt und dies in seinen Gemälden festhält. Die Grotesken, die nun mit der Ingelheimer Ausstellung in den Vordergrund rücken, übernahmen bislang eher die Rolle der Ausreißer. Dennoch lautete der Titel der damaligen Rezension: Ur, Ur, Ur. Das war ein Wendepunkt. Aber Kunsterzieher bemerkten schon immer die Doppelheit und Gebrochenheit seines Oeuvres.
So hat die Ausstellung der Internationalen Tage Ingelheim, die umständehalber wegen Sanierung und Erweiterung des Alten Rathauses Ingelheim zu Gast im Museum Wiesbaden ist, sich einen anderen, zum Teil noch weniger begriffenen Nolde vorgenommen. Dies rührt auch daher, dass die Ausstellung in Kooperation mit der Nolde Stiftung Seebüll entwickelt wurde, die über ein ungeheures Konvolut an noch nicht gezeigten Werken wacht.
Das Nolde-Haus und Museum hat es ob seiner Randlage etwas schwerer, von weiter her Publikum anzuziehen, sofern nicht mal ein ehemaliger Kunsterzieher aus dem Schleswig-Holsteinischen - der Zeit hat - sich erbarmt, einen Bus aus einem der Eiderstädter Bäder gen Museum zu begleiten und mit Hintergrund durch die Räume, besser gesagt, die Gesamtkunstwerksanlage zu führen.
Fotos: © Nolde Stiftung Seebüll
Info:
Emil Nolde, Die Grotesken. Eine Ausstellung der Internationalen Tage Ingelheim · zu Gast im Museum Wiesbaden. Museum Wiesbaden, Friedrich-Ebert-Allee 2, 65185 Wiesbaden. Dauer der Ausstellung: 30. April 2017 – 09. Juli 2017 Öffnungszeiten: Di/Do 10-20 Uhr, Mi 10-17 Uhr, Fr-So 10-17 Uhr, Mo geschlossen.
www.museum-wiesbaden.de