Zur Sexismusdebatte im Ersten in der sonntagabendlichen Jauch-Runde



Claudia Schulmerich



Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Eigentlich wollten wir uns raushalten, weil der Anlaß eigentlich zu geringfügig und die Problematik des alltäglichen Sexismus, dem Frauen nach wie vor ausgesetzt sind, proportional eigentlich zu groß ist. Aber nach dieser Sendung müssen wir mitdiskutieren.

 

Wie überhaupt irgendjemand, der mit wachen Augen und reinem Herzen in der Bundesrepublik lebt davon ausgehen kann, es gäbe diesen alltäglichen und permanenten Sexismus in unserer Gesellschaft bei unseren Männern nicht, das kann man sowieso nicht verstehen. Schon eher, warum dies normalerweise kein Thema ist. Denn die Anlässe sind oft privater Natur und bestehen selten aus Ungeheuerlichkeiten – Psychoterror und erst gar Vergewaltigungen - , sondern haben sich in so einer Grauzone angesiedelt, wo zudem wenig Öffentlichkeit ist und meist nur zwei Menschen daran beteiligt sind: ein Mann und eine Frau. Stimmt, meist hat der Mann die höhere Position und die Frau ist beruflich oder privat von ihm abhängig.



Wir sind Tatortgucker. Das ist sozusagen das einzige, was wir als gesellschaftliche Gemeinsamkeit uns per Fernsehen hineinziehen. Und nicht nur der Kommissare und der Fälle wegen, sondern auch aus kulturhistorischem Interesse. Denn in der Tat bilden nach und nach die Tatorte alle die Ereignisse ab, die in der öffentlichen Diskussion eine Rolle spielten. Wir warten also dann mit der notwendigen zeitlichen Verzögerung auf einen Tatort, der den alltäglichen Sexismus in eine schärfere Form bringt, denn Mord muß es schon sein, damit auch so was öffentlich zur Kenntnis genommen wird.



Hätten wir angenommen. Weil aber an einem eher geringfügigen und peinlich dummdreisten Spruch und Verhalten des designierten FDP-Heroen Rainer Brüderle die Debatte ansetzte, weil mit nur zum Teil verständlicher Verspätung – Brüderle war vorher keine große Nummer, als er als Minister gefeuert wurde, schickt sich eine solche Berichterstattung auch nicht - eine junge Journalistin über eine nächtliche Begegnung an der Hotelbar berichtete. Wir hatten uns den Schluß des wunderbaren Films DIE FÄLSCHER und die Dokumentation darüber angeschaut, und kamen zufällig ins Erste zurück, weil wir die Politikerrunden bei Jauch langweilig und öde finden.



Nun aber hörten wir eine junge Frau sprechen, Anne Wizorek, die so selbstverständlich ihre Gefühle und Gedanken zum Sexismus hierzulande vortrug und eine Streitkultur vorlegte, die gar nichts mit Streit am Hut hatte, sondern sehr sachlich und höflich ihre Meinung ohne Wenn und Aber vorbrachte. Schon das war das Hinschauen wert, weil man als kampferprobte Frau viel zu sehr eine andere verbale Überzeugungsstrategie gewohnt ist. Anne Wizorek, die als Initiatorin des Twitter-Aufschreis in die Mediengeschichte eingehen wird, hat über all das gesprochen, was wir ein Leben lang selbst erlebten und bei anderen mitanhören mußten.



Wir sehen uns selber öfter in der Rolle der Alice Schwarzer, die uns allerdings inzwischen oft zu „verbrüderlet“ ist und mit amtsmüder Nonchalance so manches durchgehen läßt, an diesem Abend leichte Karten hatte, denn sie hatte grundsätzlich recht, denn die anbiedernde oder herrische Anmache von Männern an Frauen ist kein Gespenst, das durch Deutschland vegetiert, sondern tägliche Praxis. Allerorten, aber nicht die Praxis aller Männer! Dafür konnte man eine derart dümmliche Argumentation von Wibke Bruhns erleben, daß man diese ehemalige erste Tagesschausprecherin und politische Korrespondentin am liebsten zurück auf Los geschickt hätte mit einem Schweigegebot für die nächste Stunde. Was hat die Frau für einen Unsinn verzapft. So seien halt die Männer, Frauen und Männer seien verschiedene Spezies und den Männern könne man das Mannsein nicht austreiben, Frauen könnten sich ja wehren, wenn sie das nicht wollten. Sie auf jeden Fall hat nichts gegen solchen Sexismus, den sie ja auch nicht als solchen empfindet.

Komisch genug, daß Alice Schwarzer ihr vorhalten mußte, auch Männer seien doch immerhin Menschen, was im Vordergrund stehe und Lernfähigkeit mit einschließe. Die Runde war geteilt: Links von Jauch – also auf dem Bildschirm rechts – saßen drei Frauen: Anne Wizorek, Silvana Koch-Mehrin (FDP) und Alice Schwarzer und auf der anderen Seite der plappernde und unpassende Ratschläge gebende Hellmuth Karasek, als Frauenversteher der Chefredakteur des Stern, Thomas Osterkorn, denn seine Journalistin Laura Himmelreich hatte nicht kommen wollen. Und daneben dann die peinliche Wibke Bruhns.



Die Dreierriege der Frauen waren diejenigen, die immer wieder versuchten vom Fallbeispiel Brüderle wegzukommen, um das eigentliche gesellschaftliche Problem und auch das, was man machen könnte, zu diskutieren - was Günter Jauch, den wir selten so schwach sahen, irgendwie nicht schnallte und nicht nur immer wieder auf Brüderle kam, sondern dann noch einen drauf gab, in dem er hinzufügte, dieser sei doch irgendwie nicht der deutsche Dominique Strauss-Kahn. Und weil das so ist, hätte es vor allem Jauch gut angestanden, die Situation zu analysieren, in der auf einmal zehntausende von Frauen sich halböffentlich in Internetbezügen zum täglichen und alltäglichen Sexismus äußern. Wem an diesem Abend nicht aufgegangen ist, was schon zuvor klar war, daß es hier nicht um die FDP und auch nicht um Brüderle, sondern um das Problem, wie Männer immer noch mit Frauen immer wieder umgehen, der sollte sich zurückziehen und nur noch zuhören.



Denn, was die Stern-Journalistin mit Adresse Brüderle formuliert hatte, stellte sich als die Spitze des Eisbergs dar, der so breit und so tief ins Wasser ragt, daß man mit Brecht sagen könnte: Unsichtbar macht sich der Sexismus, in dem er ungeheuer große Ausmaße annimmt. Deshalb hilft nur eines. Daß sich die Frauen, die solche Situationen erlebten, in denen sie von Männern angegrabscht, entwürdigend betrachtet und angeredet, auf ihre Geschlechtlichkeit permanent verwiesen werden, wo ein „Nein, danke“ bei Einladungen oder sonstiger Anmache nicht hilft, indem sie darüber so schnell wie es geht eine Öffentlichkeit herstellen.



Das ist nicht immer leicht. Denn die Grauzone ist genau der Tatsache geschuldet, daß in der Regel der anzügliche Mann, der was von der Frau will, auch noch ihre Chef oder auf jeden Fall in der Hierarchie höher eingruppiert ist, als der begossene Pudel, als der sich die Frau oft fühlt. Da hätte also der neue Frauen-Vordermann, Stern-Chefredakteur Osterkorn nun viel zu tun, und könnte all diesen Frauen ein Forum bieten, über ihre die Seele und den Körper beleidigenden Anmachen zu berichten und Strategien anzubieten, wie man von vorneherein solches Gewäsch und solches Angefaßtwerden verhindern kann, zumindest zu verhindern versuchen kann. Denn die Angst, bei einer Gegenwehr – den Arm um die Taille runterzunehmen, dem Kuß auf die Wange durch Wegspringen zu entgehen, eine verbale Zurückweisung starten – liegt meist darin begründet, daß man um seinen Arbeitsplatz und den Arbeitsplatzfrieden fürchtet.



Günter Jauch hatte einen schlechten Tag. Einen schlechten Abend. Obwohl die Frauen immer wieder auf das allgemeine gesellschaftliche Problem verwiesen, blieb er eng und irgendwie diffus mental in Grenzen, weil er es war, der auf jeden vernünftigen Gesprächshinweis hin, zurückkam auf den konkreten Anlaß und sich selbst immer wieder – als Provokateur? Denn daß er so borniert ist, will man einfach nicht glauben - im Kreis drehte, wo die Frauen ihm doch eine intelligente Vorlage nach der anderen lieferten.



Das gilt auch für Silvana Koch-Mehrin, der wir irgendwie Abbitte leisteten, denn sie sprach außerordentlich vernünftig und deutlich und wir dachten dann bei uns, ob die öffentliche Schelte an ihrer Person ob ihrer Arbeit in Brüssel vielleicht doch eher mit ihrer unabhängigen Position, ja souveränem Auftreten zu tun hat, als mit ihrer angeblichen Faulheit in mangelnder Sitzungswahrnehmung. Auf jeden Fall ist von jungen Frauen ein Thema angeschlagen worden, das nun vor sich hinbrodelt und auf jeden Fall für diejenigen, die sich jetzt durch Worte wehren, auch für künftige Anlässe auf Abwehrmechanismen hoffen lassen.



Wie heute das Männerbild bestimmt wird durch den modernen Manager, der dünn und sporttreibend einerseits, aber auch im Ton freundlich zu seinen Mitarbeitern ist, könnte sich andererseits als Vorzeigemodell ein Chef etablieren, der seine Mitarbeiter unabhängig vom Geschlecht fördert und Sexismen am Arbeitsplatz als degoutant ahnt. Damit sind noch nicht die alltäglichen Sprüche und Übertretungen in der Öffentlichkeit – die U-Bahn und Bahnsteige sind ein besonderes Revier – erledigt, aber ein Anfang wäre gemacht.