TheologischeImpulse87Theologische Impulse (87)

Thorsten Latzel

Rheinland (Weltexpresso) - Kuchen spielten in meinem Leben eine wichtige Rolle. Verschiedene Zeiten hatten ihr je eigenes Gebäck. Und ich verbinde die Erinnerung an bestimmte Menschen mit ihren Backwerken.

Als Kind und Jugendlicher liebte ich leidenschaftlich den Stachelbeerboden meiner Mutter. Es musste der Mürbeteig nach ihrem besonderen Rezept sein und die haarigen Beeren aus unserem Garten. Den Kuchen habe ich als „Gesamtkunstwerk“ angesehen und entsprechend verzehrt. Aufteilen hielt nur auf. Bei großen Feiern gab es dann Schwarzwälder-Kirschtorte. Das waren eher nicht-entschärfte Kalorienbomben aus der Nachkriegszeit. Ein kulinarisches Echo aus den Jahren, in denen meine Großeltern und ihre Kinder als Vertriebene nicht viel hatten. Eine solche Torte reichte, um einen Trupp Waldarbeiter durch einen kalten Wintertag zu bringen. Später lernte ich dann mit meiner Frau auch die Donauwelle meiner Schwiegermutter kennen. Glasur, Kirschen, Schoko, Creme, Teig – exakt arrangiert und blechweise produziert für das halbe Dorf. Ihre Donauwellen waren wie auch ihre Christstollen Statements handwerklicher Kunstfertigkeit. Eine Form von sozialem Beziehungskapital in dem kleinen mittelhessischen Dorf. Kulinarische Kryptowährung: Ich backe, damit du backst. Meine Mutter und meine Schwiegermutter haben die Latte der Kuchenkunst für mich ordentlich hochgelegt. Heute backen beide nicht mehr.

Es brauchte Zeit, bis meine Frau und ich aus dem Schatten dieser Backwerke getreten sind. Wir hatten im Studium einen ebenso charakterstarken wie windschiefen alten Backofen. Entsprechend sahen auch unsere ersten Gugelhupf-Produkte aus. Theologisch betrachtet, waren sie die Kuchen gewordene Gestalt der Rechtfertigung „allein aus Gnade“. Sie schmeckten gar nicht schlecht und waren für Bergfeste mit entsprechender Hanglage auch bestens geeignet. Das „Scheppe“ wurde später zum Markenzeichen, auch als wir längst einen richtigen Herd besaßen. Für unsere Kinder muss jeder Geburtstags-Gugelhupf irgendeine ästhetische Macke haben, sonst stimmt etwas nicht. Die Rezepte und Werke meiner Frau haben sich seitdem erheblich weiterentwickelt, sehr zu empfehlen vor allem ihr Käsekuchen und die Nussecken. Meine eigenen Backkünste haben dagegen den Charme der ersten Tage bewahrt.

Kuchen. Das ist eine kulinarische Kommunikation von Wertschätzung und Liebe. Kultivierter Genuss. In der Bibel spielt Kuchen nur am Rande eine Rolle. Bei dem Besuch Gottes in dreifacher Gestalt im Hain Mamre etwa fordert Abraham Sara – auch hier ist es wieder die Frau – auf: „Eile, knete Teig und backe Kuchen.“ (1. Mose 18,6) Man gibt sowohl dem Gast als auch Gott vom Feinsten, was man hat. Bei den Propheten wird es entsprechend kritisiert, wenn die Israeliten fremden Göttern wie der „Himmelskönigin“ Kuchen backen (Jer 7,18). Und sie bezeichnen das in die Irre gehende Volk selbst als einen missglückten Kuchen, „den niemand umwendet“ (Hos 7,8). Eine interessante Perspektive am Rande der biblischen Texte: Was sagt es über mich und mein Leben aus, für wen und für was ich den Ofen anwerfe? Was ist mir so wichtig, dass ich dafür eile, knete und backe?

Kuchen. Ich spüre ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit, dass ich – anders als leider viele Menschen weltweit und auch hier in Deutschland – mir um „Brot“ niemals habe Sorgen machen müssen. Im Alltag droht das manchmal verloren zu gehen, das Bewusstsein dafür, ob ich mich gerade um „Kuchen“ oder „Brot“ kümmere. Es ist ein wirklicher Segen, in einem Land zu leben, in dem trotz der aktuellen Pandemie und mancher sozialer Probleme seit mehr als 75 Jahren Frieden und kein Hunger herrschen. Ein Umstand, der eben die Frage aufwirft, für wen ich mein Leben, meine Zeit, meine Freiräume einsetzen möchte. Um eben nicht selbst zu einer „Coach-Potato“ zu werden, zu einem „Kuchen, den niemand umwendet“.

Zugleich glaube ich, dass „Kuchen“ und alles, wofür sie stehen, auch zu dem gehören, worum wir im Vaterunser beten, wenn wir sprechen: „unser tägliches Brot gib uns heute“. Martin Luther drückt das im Kleinen Katechismus so aus: „Was heißt denn ‚tägliches Brot‘? Alles, was not tut für Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen, fromme und treue Oberherren, gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen.“ Zu dem, was wir elementar brauchen, gehört eben mehr als nur „Überlebensmittel“. „Kuchen“, auch wenn sie in Martin Luthers Aufzählung nicht vorkommen, stehen für den Bereich der Kultur und Kunst, für Schönes, Lebensfreude und Sinnlichkeit, für Tanz und Spiel, für die feinen, kleinen Dinge, an denen ich mich oft freue, weil in ihnen so viel Liebe steckt. So richtig es ist, Brot und Kuchen zu unterscheiden, so sehr gehören Kuchen eben auch zum „täglichen Brot“. Eben, weil Kultur kein Luxus ist, sondern ein Lebensmittel. Und gerade in der Pandemie spüren wir, wie sehr uns dieser Bereich liebevoll, ästhetisch, schön gestalteter Dinge im Alltag oft fehlt.

„Kuchen“ stehen so auch für eine Weise, wie wir als Kirche mit anderen kommunizieren. Mit Menschen und mit Gott. Liebevoll gestaltet, feinsinnig, sinnenfreudig. Zum Glauben gehört beides: „Schwarzbrot“ und „Kuchen“. Das eine nahrhaft, nachhaltig, etwas zum Beißen, das andere köstlich, eingängig, zum Genießen. Weil Kuchen eben eine kulinarische Kommunikation der Liebe ist.

„Hätt‘ ich dich heut erwartet, hätt‘ ich Kuchen da, Kuchen da [...]
Hätt'st du nur was gesagt, hätt' ich Musik bestellt, die besten Musikanten auf der Welt!“

So begrüßte Ernie seinerzeit in der Sesamstraße das überraschend erscheinende Krümelmonster und macht sich dann schnell ans Backen. Eine Umsetzung gelebter Gastfreundschaft, wie sie Sara und Abraham im Hain Mamre gegenüber Gott praktizierten. Und was für ein Bild von Kirche: ein Ort, an dem andere für mich einen Kuchen backen. Um mit mir in Ruhe über die Schwarzbrot- und Kuchen-Erfahrungen meines Lebens zu sprechen.

Das schenke uns Gott, dass wir so für einander da sind.

Kuchenfreund

Jesus war vieles,
aber kein Asket.
Seine Feinde schimpften ihn
Fresser und Weinsäufer.
„Dieser nimmt die Sünder an
und isst mit ihnen.“
Vom Himmelreich sprach er gern
als einem Festessen.
Über Früchte-Tee und trockene Kekse
wäre er entsetzt gewesen.
Und einmal werden wir
mit ihm und allen anderen speisen.
Mit Torten, Kuchen, Feingebäck
wie es sich für ein Liebesmahl gehört.

Foto:
©RitaE, Pixabay

Info:
Thorsten Latzel , früher Frankfurt, ist seit 20. März Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland
Weitere Texte: www.glauben-denken.de
Als Bücher: https://praesesblog.ekir.de/inhalt/theologische-impulse-als-buecher/