Roswitha Cousin
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Es gibt keine Zufälle, heißt es doch. Während im Historischen Museum die sechstündige Pressekonferenz mit OB Peter Feldmann und Kulturdezernentin Ina Hartwig zu den drei Ausstellungen stattfand, die endlich aufdecken, daß die doch so liberale, weltmännische alte freie Reichsstadt mit ihren direkt dem Kaiser unterstellten Kaiserjuden in Wahrheit schon vor 1933 ein brauner Sumpf war und in diesem Zusammenhang in der Ausstellung auch Gustav Gerst und das Kaufhaus Tietz eine Rolle spielen, wurde für den selben Gustav Gerst und seine Frau, die die eigentliche Kaufhauserbin war, Stolpersteine verlegt! Bis zum vergangenen Jahr hat in Frankfurt kaum jemand etwas über Gustav Gerst, den Stifter des Goetheturms, gewusst.
Jetzt erinnern an den Kaufmann und seine Frau blank polierte Messingquader, „Stolpersteine“, im Pflaster vor ihrem früheren Haus an der Niederräder Landstraße 10, heute Hausnummer 36. „Wir können nicht wieder gut machen, was Gustav und Ella Gerst in der Zeit des Nationalsozialismus angetan wurde“, sagte Umweltdezernentin Rosemarie Heilig bei der Verlegung der Steine am Montag, 6. Dezember.
„Ihnen wurde nicht nur ihr Besitz genommen, sie wurden aus der Gesellschaft ausgeschlossen, gedemütigt, verfolgt und ihrer Heimat beraubt. Hier haben Gustav und Ella Gerst, geborene Tietz – sie stammte aus der gleichnamigen großen Kaufhausfamilie – bis zu der erzwungenen Versteigerung ihres Hauses, 1935, gelebt. Ich bin sehr dankbar, dass unsere Recherchen zum Schicksal des einstigen Stifters des Goetheturms und seiner Familie auf so viel Interesse stoßen und auch nun dazu geführt haben, dass diese Steine der Erinnerung verlegt wurden. Durch die ‚Stolpersteine‘ werden beide nie wieder in Vergessenheit geraten. Sie sollen uns Mahnung sein", betonte Stadträtin Heilig.
Die „Stolpersteine“ für das Ehepaar Gerst mit ihren Namen, dem Todesdatum und -ort sind zwei von insgesamt 27 Erinnerungssteinen, welche die Initiative Stolpersteine in Frankfurt am Main jetzt durch den Initiator der Aktion, dem Künstler Gunter Demnig, verlegen ließ. Damit erinnern in Frankfurt nun nahezu 1700 Stolpersteine an ihren letzten frei gewählten Wohnorten an die Frankfurter Opfer des Nationalsozialismus. „Auf Gerst wurde durch die Medienberichte ein Mitglied unserer Initiative aufmerksam, die sofort alles in Gang setzte, was für eine Verlegung der Stolpersteine erforderlich ist“, sagte Hartmut Schmidt, Vorsitzender der Initiative Stolpersteine in Frankfurt am Main. „Die Stolpersteine sind ein wichtiges Stück Erinnerungskultur in der Stadt. Darum ist es uns wichtig, dass Patinnen und Paten aus der Bürgerschaft die Steine finanzieren und nicht die Nachkommen der Opfer. Es soll ein bürgerschaftliches Engagement sein.“ Auch die Steine für Gustav und Ella Gerst haben bereits Paten.
Im Sommer 2020 hatte Umweltdezernentin Heilig den Filmemacher Thomas Claus beauftragt, eine Dokumentation über den Wiederaufbau des Goetheturms zu drehen. Dabei war der Filmemacher auf den Stifter des 1931 errichteten Turmes im Frankfurter Stadtforst gestoßen. Aus dem Film zum Wiederaufbau wurde so auch eine Dokumentation über das Leben des Kaufhausbesitzers. Über seine Rolle in der Frankfurter Gesellschaft, seine Verfolgung als Jude, der Verlust seine Besitzes – darunter auch eine wertvolle Kunstsammlung, deren Verbleib noch ungeklärt ist – und seine Flucht nach Schweden. Im Rahmen der mittlerweile weltweiten Recherchen hatte das Umweltdezernat im September zu einem Expertenkolloquium geladen. Die Suche nach Spuren des Kaufmanns und Warenhausbesitzers ist damit nicht beendet. Demnächst sollen Interviews mit Gustav Gersts Neffen In den USA geführt werden. Dorthin waren auch Gustav und Ella Gerst nach Kriegsende völlig mittellos gezogen. 1948 verstarb er 77-jährig in New York.
Foto:
Warenhaus Kaufhaus Tietz, später Hertie, ehemals Herman Tietz, auch Kaufhof
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