christian schubert gesprachKundenservice der WELT zu Corona vom letzten Freitag, Serie: 38. 2

WELT Corona-Update

Hamburg (Weltexpresso) - Der Mediziner Christian Schubert hat im Gespräch mit unserer Autorin Anna Kröning darüber geklagt, dass Kinder durch Corona-Lockdowns nachhaltig traumatisiert worden seien. Bis jetzt sei nur ein Bruchteil der erlittenen Schäden sichtbar. Einigen werde es in der Zukunft Lebensjahre kosten, so der Psychoneuroimmunologie, der die Wechselwirkungen zwischen Gehirn, Psyche und Immunsystem erforscht.

WELT: Herr Professor Schubert, Sie haben schon im April 2020 Kritik an den Kontaktsperren geäußert und wenige Monate später die Rücknahme der Corona-Maßnahmen gefordert. Warum?

Schubert: Der Mensch als soziales Wesen wurde und wird in dieser Pandemie nicht berücksichtigt. Der Fokus lag in den vergangenen zwei, drei Jahren auf dem Virus, nicht auf dem Menschen. Es handelte sich um rein mechanistische Aktionen, bei denen Menschen voneinander getrennt und zur Distanz zu ihren Mitmenschen gezwungen wurden. Das macht Menschen depressiv und ängstlich. Angst reduziert im Körper die Aktivität, die er braucht, um mit dem Virus umzugehen. Aus virologischer Sicht mag es richtig sein, Menschen auf Distanz zu bringen, um sie vor dem Virus zu schützen. Aus menschlicher Sicht ist es falsch und nicht zielführend. Der Mensch braucht Nähe und soziale Beziehungen, um sein Immunsystem zu stärken. Das Virus mit sozialer Distanz bekämpfen zu wollen, funktioniert nicht. Es ist ein Nullsummenspiel.

WELT: Wie meinen Sie das konkret?

Schubert: Der Versuch, das Virus einzudämmen, wurde zeitgleich damit unterlaufen, dass parallel so viel Stress bei der Bevölkerung ausgelöst wurde. Angst und Panik dürften das Immunsystem vieler Menschen so beeinträchtigt haben, dass schon kleinste virale Konfrontationen zu Infektionen führten. Darum sind meiner Ansicht nach die Inzidenzen auch nicht gesunken, indem man härter vorging, das zeigt Bayern. Je mehr man Menschen auf Distanz hielt, desto höher war die Inzidenz. Das schien ein Paradoxon zu sein. Ich finde das wenig verwunderlich.

WELT: Sie sagen, die Maßnahmen schaden unter dem Strich der Gesundheit mehr, als sie nutzen. Inwiefern haben sich Ihrer Ansicht nach Angst oder Stress auf Ansteckungsgefahr, Morbidität und Mortalität ausgewirkt?

Schubert: Ich verweise hier immer gerne auf die Erfahrungen der Adverse-Childhood-Experiences, kurz ACE-Studie aus den USA mit fast 27.000 Erwachsenen. Hier zeigt sich, wie sich Traumatisierung in den ersten 18 Lebensjahren auswirken. Wir reden von Misshandlungen, Missbrauch, wir reden von Alkoholismus in der Familie, Drogenkonsum, Tod eines Elternteils oder Verlust der Arbeit eines Elternteils. Diese Erfahrungen verringern die Lebenserwartung. Mit jeder dieser schweren Belastungen, die Kinder mitmachen, verlieren sie einige Jahre ihres Lebens. Wenn jemand sechs und mehr solcher schweren Belastungen in den ersten 18 Jahren Lebensjahren mitmacht, kann er bis zu 20 Jahre Lebenszeit verlieren. In der psychoneuroimmunolgischen Forschung weiß man, dass diese Traumatisierungen zu Störungen der Entwicklung des Immunsystems und der Stressverarbeitungsmechanismen führen können. Diese sind mit erhöhten Entzündungsparametern im Blut verbunden, und zwar langfristig. Und das ist dann der Beginn von schweren Erkrankungen, die viel früher auftreten als man sie eigentlich erwarten würde. Dadurch steigt auch die Mortalität.

WELT: Halten Sie diese Traumatisierungen, welche die Teilnehmer der ACE-Studie von 1999 machten, für vergleichbar mit den Erfahrungen, die Kinder in der Corona-Zeit erlebt haben?

Schubert: Das, was hier im Lockdown passiert ist, sind Traumatisierungen. Kinder erlebten Verluste von Freundschaften durch die Schulen, Spaltungen innerhalb der Familie, Trennungen der Eltern infolge von unterschiedlichen Meinungen über Impfungen. Ihre Entwicklung wurde gravierend behindert, sie mussten Bildungsverluste hinnehmen. Eine amerikanische Modellrechnung aus dem Jahr 2020 zeigt, dass 24,2 Millionen Fünf- bis Elfjährige, die in der Grundschule in Amerika zwei Monate Schulschließungen durchmachen mussten, sie dies 13,8 Millionen Lebensjahre kostet, im Schnitt 0,6 Jahre pro Kind. In Amerika lässt sich Bildung schwer aufholen, da nimmt niemand Rücksicht. Es wird also mit hoher Wahrscheinlichkeit zum sozialen Abstieg kommen, und das bedeutet, Lebensjahre einzubüßen. Das ist nur ein Hinweis darauf, was passieren kann. Und hier reden wir von Bildungsverlust und noch nicht einmal von den Traumatisierungen, die hinter den verschlossenen Türen der Familien stattgefunden haben.

WELT: Mit welchen Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung und mit welchen Kollateralschäden rechnen Sie in Deutschland?

Schubert: Die Schäden dieser Zwangsmaßnahmen wie Lockdowns und Schulschließungen, die im Endeffekt wirkungslos blieben, werden sich innerhalb der kommenden 50 Jahre zeigen. Die aktuell steigende Zahl von psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen ist nur einen Bruchteil dessen, was noch ans Tageslicht kommen wird. Die jungen Menschen leiden irgendwann als Erwachsene unter verfrühten schweren Erkrankungen, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen oder Krebs, die in Verbindung mit Traumata stehen. Diese Traumatisierung einer ganzen Generation ist kaum aufzufangen. Eigentlich müssten wir jetzt alles tun, um diese Entmenschlichung aufzufangen, diese Generation zu schützen und ihr wieder zu helfen, aufzustehen. Doch das Gegenteil geschieht, viele Maßnahmen sollen immer weiterlaufen, als habe man nichts gelernt aus den vergangenen Jahren.

Das gesamte Gespräch von Anna Kröning mit Mediziner Schubert finden Sie hier.
https://www.welt.de/vermischtes/plus241146533/Corona-Lockdowns-Diese-Traumatisierung-einer-ganzen-Generation-ist-kaum-aufzufangen.html?sc_src=email_2917563&sc_lid=291611131&sc_uid=raKDXZXdCb&sc_llid=7586&sc_cid=2917563&cid=email.crm.redaktion.newsletter.corona&sc_eh=eaa34f92ee875df71


bidenDER BLICK AUF DIE ANDEREN

„Die Pandemie ist vorbei, aber wir haben immer noch ein Problem mit Covid“ – mit diesen Worten erklärte US-Präsident Joe Biden (im Foto) in dieser Woche die Corona-Pandemie in den USA für beendet. Biden nutzte ein TV-Interview des Senders CBS für die deutliche Ansage, die er während der Auto-Messe in Detroit aufzeichnete. „Wie Sie sehen, trägt hier niemand eine Maske. Alle scheinen in ziemlich guter Verfassung zu sein. Ich glaube also, dass sich die Situation ändert, und ich denke, dies ist ein perfektes Beispiel dafür“, sagte der US-Präsident weiter. Darauf, dass eine Pandemie eigentlich ein weltweites Phänomen ist, andernfalls sonst beispielsweise eine Endemie, ging Biden in dem Interview nicht näher ein.

Da in den USA im 7-Tage-Schnitt täglich noch immer rund 390 Menschen infolge einer Covid-19-Erkrankung sterben, folgte prompt Kritik von einigen Experten an Bidens Schritt: „Obwohl wir, wie der Präsident selbst sagte, heute viel besser dastehen als noch vor einigen Monaten, haben wir noch viel zu tun, um die Zahl der Todesfälle auf ein Niveau zu senken, mit dem wir uns wohlfühlen würden", sagte Anthony Fauci laut der „Washington Post". Fauci ist der oberste Experte für Infektionskrankheiten der Regierung. „Ich fühle mich nicht wohl bei 400 Todesfällen pro Tag". Der 81-Jährige hatte sich zuletzt mit Aussagen zurück gehalten. Im August kündigte er an, im Dezember als medizinischer Chefberater des Präsidenten und Direktor des Nationalen Instituts für Infektionskrankheiten abzutreten.

Herausfordernd dürfte für Biden nun ein anderes Unterfangen werden: Seine Regierung hat im US-Kongress rund 22 Milliarden US-Dollar an zusätzlichen Finanzmitteln für die Bekämpfung des Coronavirus beantragt. Noch sind diese Mittel nicht genehmigt. Dies dürfte nun, deutlich schwieriger werden.


md 391341DER LICHTBLICK

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD, im Foto) hat Kindern sein Versprechen gegeben, dass es im Herbst und Winter keine coronabedingen Schulschließungen mehr geben wird. „Das wird nicht mehr kommen, darunter haben viele Kinder gelitten", sagte Lauterbach in der Sat.1-Sendung „Kannste regieren?", die in dieser Woche ausgestrahlt wurde. Man benötige auch keine Schulschließungen mehr, da der Impfschutz inzwischen viel besser sei und es verbesserte Behandlungsmöglichkeiten gebe, argumentierte der Minister. Für die Sendung hatte Lauterbach 17 Schülerinnen und Schüler getroffen.

Am nächsten Freitag macht dieser Newsletter eine kleine Pause. Wir lesen uns dann im Oktober wieder.

Fotos:
Quelle: dpa/SAT.1/Claudius Pflug
Quelle: Christoph Hardt/Geisler-Fotopres/pa; Frank Hoermann/pa/SvenSimon; Montage: Infografik WELT
Quelle: Susan Walsh/dpa