Serie: FLÜCHTLINGSGESPRÄCHE; Teil 2
Hanswerner Kruse
Schlüchtern/Hessen (Weltexpresso) - „Der Paß ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Paß niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird!“ schrieb Bert Brecht in seinen „Flüchtlingsgesprächen“.
Das ist von großer Aktualität, denn viele Fremde, die zu uns kommen, sind hier nicht erwünscht oder werden, wenn sie in Not sind, nicht als Flüchtlinge anerkannt. Nach Eva aus Somalia wollen wir heute Dehab aus Eritrea vorstellen, die lange warten und bangen musste, um den begehrten blauen Asylpass zu bekommen. In unregelmäßigen Abständen werden wir weiter Menschen, die ihrer Heimat entfliehen mußten, vorstellen.
In ihrem Wohnzimmer in einer Siedlung in der osthessischen Kleinstadt Schlüchtern hat Dehab Kifleysus (42) die „Kaffeezeremonie“ aufgebaut. Über einem Gaskocher röstet die allein erziehende Mutter dreier Kinder helle Kaffeebohnen, während sie von ihrer Flucht aus Eritrea und dem Leben als Flüchtlingsfamilie erzählt.
In diesen Tagen ist bei ihr eine eritreische Freundin aus Dreieich zu Besuch. Die beiden Frauen haben sich vor 10 Jahren im Lager in Gießen kennen gelernt. „Ich bekam meinen ‚Blaupass’ schon nach drei, Meryem nach fünf Jahren“, sagt Dehab. Ihre Anerkennung als Flüchtlinge ist mit den blauen Dokumenten amtlich, sie dürfen arbeiten oder in andere Bundesländer reisen.
Dehab mahlt die gerösteten Bohnen aus ihrer Heimat, fügt Ingwer hinzu und erhitzt die Ingredienzien mit Wasser in einem Tongefäß über der Flamme. Dann bietet sie den süß-höllisch-scharfen Mokka zu selbstgebackenen Keksen an. Fast vier Jahre wohnte die katholische Dehab in einem Flüchtlingsheim am Stadtrand von Schlüchtern, in dem einst noch Menschen aus vielen unterschiedlichen Nationen zusammen lebten. Mittlerweile hat sich die Situation geändert, weil der Main-Kinzig-Kreis dort bevorzugt Flüchtlinge aus den „Nachbarländern“ Eritrea, Äthiopien und Somalia unterbringt.
Es riecht wunderbar nach frisch geröstetem Kaffee, Dehab macht einen zweiten Aufguss und erzählt von ihren bescheidenen Wünschen: „Ich möchte gerne was lernen, aber der Hauptschulabschluss vor ein paar Jahren ging nicht. Ich konnte nicht nach Frankfurt zur Schule fahren, halbtags arbeiten und die drei Kinder betreuen.“ Die älteste Tochter (19) lernt jetzt Köchin, der Sohn (17) und die andere Tochter (12) besuchen die Realschule. Die Mutter hat bis Februar einen Schneiderkurs gemacht. Anschließend durfte sie dort nicht länger lernen, warum weiß sie nicht, denn es gibt eigentlich weitere Möglichkeiten zur Ausbildung. Dehab konnte schon gut nähen, als sie aus Eritrea floh und würde gerne als Näherin arbeiten, findet aber keinen Job.
Dann geht sie sich umziehen und führt ein selbst genähtes Kleid im afro-europäischen Stil vor. Ein junger Eritreer mit einer Beinverletzung ruft an, er braucht Dehabs Unterstützung im Krankenhaus. Sie ist eine viel gefragte, inoffizielle Dolmetscherin für ihre Landsleute bei medizinischen und rechtlichen Fragen - und sie hilft ihnen, sich in der deutschen Kultur zurechtzufinden. Mittlerweile würde sie auch gerne Deutsche werden, doch dazu braucht sie eine Arbeit.
Bei der teuren Flucht aus Eritrea über den Sudan hatten die „Schlepper“ entschieden, sie käme in die Bundesrepublik. Sie fürchtete sich, denn sie hatte nur von Hitler und seinen Gräueltaten gehört - und war überrascht, wie zivilisiert und demokratisch es hier zugeht. Immer noch staunt sie, wie viele Flüchtlinge, über die herrschenden und meist eingehaltenen Regeln, auch wenn die nicht immer nachvollziehbar sind: So bekam sie, beispielsweise, für die Fahrten zur Schneiderausbildung nur Geld für öffentliche Verkehrsmittel, nicht aber Benzingeld in gleicher Höhe. Deshalb war sie drei Stunden täglich unterwegs. Nach einer Bandscheiben-OP ist sie jetzt in der Reha.
Bei der Frage nach ihrer Familie im Heimatland weint sie, der Besucher drängelt nicht. „Meine Kinder haben deutsche Freunde, dies ist ihr Heimatland“, erklärt sie, doch sie würde gerne wieder zurück nach Hause, obwohl sie sich hier wohl fühlt - wenn in Eritrea Frieden und Sicherheit herrschen würde, die Militärdiktatur und der jahrzehntelange Krieg mit Äthiopien beendet wäre.
Zum Abschied macht Dehab noch einen dritten Aufguss ihres Ingwer-Kaffees.
FOTO von Hanswerner Kruse
Dehab Kifleysus führt ihr selbst genähtes Kleid vor und erklärt auf der Tafel die Buchstaben der eritreischen Sprache Tigrinya
HINTERGRUNDINFO:
Fluchtgründe
Auf die Frage, welche Gründe sie zur Flucht veranlasst habe, antwortet Dehab lediglich mit „Politik“. Zum Hintergrund: Die Sonderberichterstatterin zur Situation der Menschenrechte für Eritrea der Vereinten Nationen geißelt schwerwiegende Verletzungen der Menschenrechte (willkürliche Tötungen und Verhaftungen, Verschwinden von Menschen, Folter, fehlende Meinungs-, Religions- und Versammlungsfreiheit). Auf der Rangliste der Pressefreiheit nimmt das Land im Jahr 2013 wiederholt den letzten, 179. Platz ein. Amnesty International zufolge werden Regierungskritiker, Deserteure und zurück gekehrte Flüchtlinge inhaftiert (nach Wikipedia). In der Regel sind zudem Frauen in besonderer Weise ungeschützt.