Zum Tod des Schauspielers Rolf Boysen mit 94 Jahren

 

von Helmut Marrat

 

Weltexpresso (Hamburg) Rolf Boysen stammte aus Flensburg. Doch im Gegensatz zu dem fünf Jahre jüngeren Heinz Reincke machte er kein besonders großes Aufhebens davon. Reincke, ein herrlicher Komödiant und Schauspieler, hatte sein Herkommen geradezu kultiviert. Seine Erläuterung, er stamme nicht aus Hamburg, sondern nur aus dem "Arsch von Hamburg", zeigt dies deutlich.

 

Beide gehörten zur selben Generation, die ihre Kindheit und Jugend in Jahren erlebte, die zu den schwersten gehörten, die sich vorstellen lassen: verlorener Krieg, Hungerjahre, Hyperinflation, Depression, Hitler, 2. Weltkrieg, Gefangenschaft - heißen die Stichworte.

 

Beide gingen ans Theater. Reincke spielte lange bei Gustaf Gründgens in Hamburg, wechselte nach dessen Tod enttäuscht ans Wiener Burgtheater. Boysen war - bis auf seine wichtigen Jahre in Hamburg bis Mitte der 1970er Jahre - überwiegend in München engagiert. Und hier vor allem an den Münchner Kammerspielen, einem fast unversehrten Jugendstiltheater. Intendant war dort der aus Leipzig gebürtige Dieter Dorn. Und als dann der damalige Münchner Kulturreferent Nida-Rümelin (der spätere Kulturstaatsminister unter Gerhard Schröder) Dorn den Vertrag nicht mehr verlängern mochte, wechselte fast die gesamte Mannschaft ins nahe Residenztheater.

 

Das ist eine Besonderheit in München. Während die Kammerspiele Stadttheater sind, ist das Residenztheater Staatsschauspiel des Freistaates Bayern. Das war 2001. Boysen war da immerhin schon Mitte siebzig. Aber immer noch einer der stillen Stars des Hauses. Und sein häufiges Gegenüber war der wunderbare Thomas Holtzmann, seines Zeichens Münchner, und von Ausnahmen abgesehen, stets an den Bühnen seiner Heimatstadt beschäftigt.

 

Anfang der 1970er Jahre lebte Boysen mit seiner Familie zufällig im selben Hamburger Vorort wie ich. Eines Tages stieß ich mit meinem Fahrrad mit einem seiner Söhne, der ebenfalls Fahrrad fuhr, zusammen. Es war Peer, der jüngere der beiden. Ich war auf dem Weg zur Volksschule, also dem, was heute Grundschule heißen muss, und Boysens wohnten dort in der Nähe. Ich erzähle das, weil Rolf Boysen damals an meinen Vater einen Brief schrieb. Es ging um die Reparatur des kaputten Fahrrades meines "Unfallgegners". Wir haben den Brief bis heute aufgehoben. Denn er war nicht nur von einem berühmten Mann verfasst, sondern zudem in einer sehr schönen Sprache.

 

Jahre später, ich lebte längst in West-Berlin, waren erneut die Münchner Kammerspiele zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Deren Aufführungen galten seinerzeit als einer der Höhepunkte des Treffens, und jetzt brachten die Münchner "Troilus und Cressida" von William Shakespeare, ein selten gespieltes Stück. Es geht um den Trojanischen Krieg, in dem eine Art 'Romeo-und-Julia-Schicksal' thematisiert wird, also die Begegnung zweier Liebender aus feindlichen Lagern. Beide müssen sich mit ihrer Liebe behaupten. Ein aufwendiges Stück! Es verlangt eine Menge an Darstellern. Beinah das gesamte Kammerspiel- Ensemble spielte mit. Die Münchner Kammerspiele sind ein, der Name deutet darauf hin, mittelgroßes Haus. Das Schillertheater war und ist ein großes, mit einer sehr großen Bühne. Das bedeutet, es sind plötzlich andere Schritte, beziehungsweise Anschlüsse, vonnöten, und das ist schwieriger, als es klingt.

 

 

Ich weiß nicht, wie sehr bei Rolf Boysen Bewegung von Sprache abhing oder umgekehrt. Bei uns wirkte es zunächst so, als durchleide jener gerühmte Schauspieler einen "Texthänger" nach dem anderen. Jedenfalls kam er, - er spielte den griechischen Heerführer Ulisses (Odysseus) -, gewissermaßen nicht in Fahrt. Und als es ihm dann glückte, kam spontan Applaus auf! Auch der allgemeine Jubel am Schluß dieser so hervorragenden Aufführung erhielt bei ihm, wie mir schien, noch den zusätzlichen Dank, den Kampf gewagt und für sich entschieden zu haben.

 

 

Info:

 

Rolf Boysen lebte von 1920 bis 2014. Er starb am 16.Mai in München.

 

Heinz Reincke lebte von 1925 bis 2013. Er starb in Purkersdorf bei Wien

 

Thomas Holtzmann lebte von 1927 bis 2013. Er starb in seiner Heimatstadt München.

 

Dieter Dorn ist Jahrgang 1935 und lebt in München.