Moritz Rinke im Renaissance-Theater Berlin

 

Helmut Marrat

 

Berlin (Weltexpresso) Auch das Theater hat Marktgesetze. 2006 landete Yasmina Reza mit „Gott des Gemetzels“ einen großen, internationalen Erfolg. Wenn man Glück hat, sieht man das Stück in Jürgen Goschs Zürcher Inszenierung, die gastweise auch am BE in Berlin gespielt wird.

- So hat sich Moritz Rinke, um sich an diesen Erfolg anzuhängen, ein eigenes Stück ausgedacht, das ebenfalls zu einer Begegnung zweier Paare und eine Weltabrechnung wird.

 

In „Gott des Gemetzels“ ist es eine fast harmlose Prügelei der beiden Kinder dieser beiden Paare, über deren Folgen sich die Eltern in eine immer tiefer und auswegloser werdende

Auseinandersetzung hineinsteigern. „Der Gott des Gemetzels“ ist zuallererst ein französisches, ein Pariser Stück, das dann rasch ins Deutsche übertragen wurde. Dort sind die Bedingungen anders.

 

Die Demographie ist zwar unser Hauptproblem, aber Kinder spielen in Deutschland trotz noch so vieler Spielplätze kaum noch eine Rolle. Also müssen die beiden Paare bei Moritz Rinke auf andere Weise in Kontakt kommen: Durch einen zeitweiligen Wohnungstausch. Das Stück (und die gute Aufführung; Regie: Torsten Fischer) spielt in der Wohnung des einen Paares; einer geräumigen, von der Architektur her Berliner Altbauwohnung (Ausstattung: Herbert Schäfer, Vasilis Triantafillopoulos) in Erwartung der Austauschpartner aus der Schweiz, genauer aus der Selbstmordstadt Zürich.

 

Und damit stößt man gleich auf eines der Probleme: Sie hat sich diesen Wohnungstausch ausgedacht und alles arrangiert; er möchte aber seine Behausung am liebsten gar nicht verlassen und erinnert sich mit Schaudern noch an den letzten Wohnungstausch nach Frankfurt am Main. Sie gibt Manager-Aufbau- und Trainingskurse für Banker. Er versucht sich als ethnologischer Schriftsteller. Das Geld, das versteht sich, bringt sie nach Hause. Sie hat ihr Leben strukturiert und von vorne bis hinten durchgeplant. Gleich noch mit für die Zukunft (also doch!): Denn die Schwangerschaft, auf die sie hofft, baut, soll innerhalb eines von ihr vorgeplanten Zeitfensters in Gang gesetzt werden. Das widerstrebt, natürlich, seinem träumerischen In-den-Tag-Schreiben. Dem entspricht auch ihr Äußeres: Sie klinisch-sauber, fast steril sauber, adrett. Er leger gekleidet, noch gar nicht richtig angezogen, als die Austauschpartner bereits vor der Tür stehen,noch in Shorts und T-Shirt; seine Koffer sind auch noch nicht gepackt. Die akkurate Planung zerschellt an ihm.

 

Das schweizer Paar entspricht ihnen. Nur umgekehrt. Sie ist die lebenslustige junge Frau; er der angestrengte (und anstrengende) Berufstätige, der von der Klarheit und Ordnung des Alls, in das er seine Satelliten hineinschießt, fasziniert ist. Dort oben herrscht jene Klarheit und Ordnung, die er im Leben und schon gar in seiner Ehe vermißt. Die Weitergabe der Daten von Klein-Satellit zu Klein-Satellit, um die Erde flächendeckend bestreichen zu können, schildert er mit großer Hingabe. Es bleiben nur noch wenige Minuten bis zur live-Übertragung des Raketenstarts: Seiner Rakete gewissermaßen, mit seiner Sonde! Diesen Start möchte er auf keinen Fall verpassen. Hier in dieser Tauschwohnung wurde die Anschlußsteckdose dafür aber gleichgültig mit Wandfarbe überrollt. Die Server-Nummer ist auch nicht auffindbar. Schließlich hilft der Nachbar von darunter aus. Der Weg ins All kann also doch genommen werden (der uns Zuschauern auch gezeigt wird). Man hat den Eindruck, daß dieser Mann zwar beruflich unter Spannung steht, aber sehr erfolgreich, ja unentbehrlich für sein Unternehmen ist, so sehr, wie er Anteil an seiner Arbeit und an dieser Technik nimmt.

 

Was er noch nicht weiß, was aber uns bereits von seiner Ehefrau gezeigt wurde, ist die Kündigung dieser Firma. Somit ist auch klar, weshalb die beiden überhaupt ihre Wohnung tauschen: Ein Hotel wird vom Unternehmen nicht (mehr) gezahlt. Seine Frau ist Tierpsychologin. Mit ihrem Mann kann sie längst schon nicht mehr sprechen. Sie hat sich damit abgefunden, ohne deshalb ihre Lebensneugier verloren zu haben. Sie sagt sich: Es müsse eben einen König in jeder Beziehung geben; damit findet sie sich ab, ohne dieser Machtverteilung innerlich zuzustimmen. Überflüßig zu sagen, daß sie in dieser Beziehung nicht der König ist.

 

Und so ergibt sich schnell, was vielleicht vorauszusehen war, nämlich daß die beiden Schwächeren in den jeweiligen Beziehungen zuerst zueinander finden. Das bedeutet Hans-Werner Meyer als bisher erfolgloser Schriftsteller Sebastian, deren Namen sich seine Freundin nur mühsam merken kann, und Judith Rosmair als Magdalena, die Frau des Satellitentechnikers. Wenig darauf finden auch die beiden anderen Einzel-Partner: Gesine Cukrowski (die Trotz Bänderzerrung spielte) als Hannah und Tonio Arango als Weltraum-Begeisterter Roman (unvergessen auch als 'Hitler' in George Taboris „Mein Kampf“).

 

Das geht in dieser Inszenierung bis an den Partnertausch heran. Vielleicht ein bißchen zu turnerisch. Hier hätte mehr Schwebendes liegen können. Aber in sich ist die Inszenierung doch weitgehend geschlossen, auch in ihrer etwas zupackenderen Sprache. Judith Rosmair bekommt noch einen Moment gesteigerter Künstlichkeit addiert, in dem man sie als Puppe wirklich präzise gekonnt ihre ruckhaft-pendelnden Bewegungen vorführen läßt. Ein solcher Moment einer zusätzlichen Dimension von Künstlichkeit wäre für die anderen Figuren sicherlich auch zu finden und zu entwickeln gewesen. Daraus erkläre ich mir jedenfalls, daß Judith Rosmair den stärksten Applaus erhielt, obwohl alle anderen ihre Rollen ebenso engagiert spielten. Sie nur hat dieses Quentchen mehr an Umdrehungen in ihrem Bühnenleben …

 

Am Ende kommt es nicht, was immerhin möglich gewesen wäre, zu einer neuen Paarbildung über Kreuz sozusagen; sondern zu einer totalen Vereinzelung. „Jeder stirbt für sich allein“ - nicht ganz: Zunächst aber ganz sicher eine Aufspaltung in vier getrennte Wege: Ans Meer, in den Himmel, - vielleicht in Luft und Feuer hinein als einem Zerfall in unsere vier Elemente. Wohin auch immer. Es ist eine sehr sehenswerte Aufführung. Man denkt noch längere Zeit über diese Figuren nach. Und so ist Moritz Rinke ein dem „Gott des Gemetzels“ ebenbürtiges Stück gelungen, das 2012 uraufgeführt wurde und (laut Programmheft) bereits an mehr als dreißig Theatern gespielt wird. Nutzen wir also die Konjunktur und lassen uns unsere eigenen Befindlichkeiten demonstrieren.

 

 

Info:

 

Das Stück wurde im Dezember 2012 in Frankfurt am Main uraufgeführt.

Moritz Rinke wurde 1967 in Worpswede geboren.Er ist einer der meistgespielten Theaterautoren der letzten Jahre. Er lebt in Berlin.