„Echnaton“ von Philipp Glass in Heidelberg
Hanswerner Kruse
Heidelberg (Weltexpresso) - Mit der Inszenierung der Oper „Echnaton“ von Philipp Glass schuf die Choreografin Nanine Linning zum Ende ihrer zweiten Spielzeit in Heidelberg ein großartiges Gesamtkunstwerk aus Musik, Gesang, Bewegung, Licht und Video.
Die Abendsonne scheint heiß in die Altstadt, durch riesige Fenster des Theateranbaus kann man der Tanz Compagnie beim Aufwärmen zusehen. Wenig später bewegt sich die Tanztruppe, aber auch der Chor, als dunkle Figuren auf der grell-weiß beleuchteten Bühne. Im Rhythmus der repetitiven, sich minimal verändernden Tonfolgen, kommen und gehen die Gestalten durch schmale Luken im Bühnenboden. Schon während der Ouvertüre (musikalische Leitung Dietger Holm) wird die Minimal Musik von Glass durch das Tanz- und Opernensemble sichtbar gemacht: Regisseurin Linning illustriert nicht die, eigentlich wenig bildhafte Oper, sondern verwandelt zunächst Töne, später auch die Gesänge in lebende Bilder, in denen auch der Chor immer in Bewegung ist.
Selbst die Abendsonne ist bald als ägyptischer Gott auf der Theaterbühne präsent: Pharao Echnaton erhob vor mehr als 3000 Jahren den Gott Aton, die „Sonnenscheibe“, zum obersten göttlichen Wesen und wollte die anderen Götter überflüssig machen. Ein Erzähler (Dominik Breuer) berichtet von den monotheistischen Maßnahmen Echnatons, der seiner Zeit weit voraus war und letztlich scheiterte.
Sonnenpriester Echnaton (Countertenor Artem Krutko) und Nofretete (Amélie Saadia) sind im Dienste Atons und glücklich verliebt. Staatstragend steif singen sie ihr Liebesduett, „Ich atme den süßen Atem, der deinem entspringt“. Zugleich wird ihre Leidenschaft durch ein tanzendes Paar ausgedrückt, das kein Theater spielt, sondern innere Bewegung ausdrückt. Dann schweben vom Himmel seltsame menschliche Wesen in transparenten Tüchern und begegnen für Momente den Irdischen auf der Bühne. Später symbolisieren Tanzende mit schlichten Strohpuppen die Kinder des Pharaopaares, während bereits die monotheistische Herrschaft zusammenbricht.
„Echnaton“ hat eine komplexere Handlung als hier skizziert. Aber es sind vor allem die von Linning inszenierten starken Bilder, das letztlich opernhafte Bildertheater wie bei Robert Wilson oder Jan Fabre, das im Gedächtnis bleibt und die Besucher berührt. Diese bewegte und bewegende Regiearbeit ist der Höhepunkt ihres Schaffens in Heidelberg, bei dem sie bisher „den Tanz“ sehr ausgeweitet und ihm viele Elemente aus anderen Kunstbereichen hinzugefügt hat. In „Requiem“ schwamm eine Tänzerin im Aquarium, weiß gekalkte Tänzer bildeten abstruse Skulpturen, die das Publikum wie in einer Galerie betrachten konnte. In „Endless“ paraphrasierten riesige Videoprojektionen die Gefühle der Tanzenden.
Es ist kein Zufall, dass man dem Ensemble vor dem Beginn der Oper bei den Übungen zusehen konnte. Von Anfang an hat Linning Wert auf die Transparenz der Arbeit ihrer Compagnie, weit über die Theaterpädagogik hinaus, gelegt. Vor zwei Jahren wurde die Tanzsparte in Heidelberg wiederbelebt, während sie anderswo abgeschafft oder, wie jetzt in Wiesbaden und Darmstadt, fusioniert wird. Linnings Stücke sind keine leichte Kost und wenig gefällig, doch die Vorstellungen sind immer ausverkauft. Ihre Inszenierungen gehören zum Innovativsten und Interessantesten, was derzeit in Mitteleuropa im Tanztheater zu erleben ist – man wird noch viel von ihr hören. Linning sieht sich im kleinen Heidelberg nicht auf dem Sprungbrett, sondern fördert die Vernetzung von Tanzinitiativen und freien Gruppen der Region oder lädt bekannte Compagnien zur Heidelberger Tanz-Biennale ein.
Die Vorstellungen von „Echnaton“ sind bis zur Sommerpause ausverkauft. Es ist jetzt schon möglich, Karten für den Herbst zu bestellen.
Foto: Ein Tanzpaar paraphrasiert die gesungenen Gefühle Echnatons und Nofretetes © Florian Merdes