Serie: Fritz Bauer: Bücher, Filme, CDs und vor allem die Ausstellung in Frankfurt am Main, Teil 7
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - Motto: Nichts ist so fein gesponnen - Oder: Sage mir, wie du abschreibst, und ich sage dir, wer du bist. Bei der Episode, von der hier die Rede ist, handelt es sich um das Vorspiel zum Eichmannprozess in Israel. Da ist Sorgfalt geboten, auch wenn es um scheinbar Nebensächliches geht.
Der Prozess gegen Adolf Eichmann hätte bekanntlich niemals stattgefunden, wenn der hessische Generalstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer dem israelischen Geheimdienst nicht den entscheidenden Hinweis auf den Aufenthaltsort des Gesuchten gegeben hätte. Weniger bekannt ist, dass auch der Bundesnachrichtendienst (BND) beziehungsweise sein Vorgänger, die Organisation Gehlen, den Aufenthaltsort des gesuchten NS-Verbrechers kannte. Und zwar kannte er ihn lange bevor Fritz Bauer Adolf Eichmann auf die Spur kam. Im Gegensatz zu Fritz Bauer gab der deutsche Auslandsgeheimdienst sein Wissen aber nicht an die Israelis weiter.
Seit 1956 unterstand der BND dem Bundeskanzleramt und dort wiederum den Weisungen des Staatssekretärs im Kanzleramt Dr. Hans Globke. Wer mehr Angst hatte, Eichmann könnte im Falle seiner Ergreifung etwas erzählen über Globkes Verstrickung in die Ermordung von Millionen Juden – der Staatssekretär oder sein Vorgesetzter Konrad Adenauer, dessen Ansehen als erster Kanzler der Bundesrepublik Deutschland auf dem Spiel stand, darüber darf gerätselt werden.
Der Chef des BND, Reinhard Gehlen, und der Chef des Bundeskanzleramtes, Hans Globke, verstanden sich auf Anhieb. Beide entstammten der Führungsetage des untergegangenen Naziregimes. Ihre erste offizielle Begegnung im Frühjahr 1950 beschreibt Gehlen in seinen Memoiren so: „Ich fand sofort einen guten Kontakt und gewann den Eindruck, dass er die Bedeutung meiner Organisation richtig einschätzte“. Über die nach folgende Zeit schreibt Gehlen: „Meine Zusammenarbeit mit ihm bis zum Jahr 1963 war so erfreulich und für mich anregend, dass ich sie nicht missen möchte.“ Bundeskanzler Konrad Adenauer habe in Staatssekretär Dr. Globke über einen Gehilfen verfügt, „der in seiner kongenialen Mittlerrolle unübertrefflich und unersetzlich war.“ (Reinhard Gehlen, Der Dienst, Mainz-Wiesbaden 1971 , S. 178, S. 180 und S. 296).
Von ungefähr scheint Fritz Bauer sein Wissen um den Aufenthaltsort Adolf Eichmanns und um die nächtliche Spähaktion des israelischen Geheimdienstes in seinem Frankfurter Büro nicht für sich behalten zu haben. Spannend beschreibt Ronen Steinke die Szene in seinem 2013 im Piper Verlag erschienenen Buch „Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht“ als Anfang:
„Die schwere Eichentür in der Frankfurter Gerichtsstraße gibt kaum einen Laut von sich, als der 27jährige Michael Maor sie öffnet und unbemerkt in das dunkle Gebäude hineinschlüpft. Den Weg haben sie ihm vorher genau aufgezeichnet. Rechts die steinerne Treppe hinauf, bis zum zweiten Stock…Du kannst es gar nicht verfehlen, haben sie ihm gesagt…
Der Auftrag des israelischen Ex-Fallschirmspringers: Fotografiere die Akte, die links auf dem Tisch liegt. Der Tisch steht im Büro des Frankfurter Generalstaatsanwalts Fritz Bauer.“ (Seite 13)
Über dieselbe Szene war 18 Jahre davor unter der Überschrift „Feindliches Ausland“ im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ zu lesen:
„Wie geplant, war die Eichentür des Gebäudes in der Frankfurter Gerichtsstraße leicht zu öffnen. Michael Maor schlich durch die Vorhalle und gleich rechts die mächtige Steintreppe hoch, über den Flur im ersten Stock. Es war dunkel, niemand war zu hören oder zu sehen, weiter tappte er die nächste Treppe hoch. Dann, im zweiten Stock – ‚Du kannst es gar nicht verfehlen’, hatten sie ihm gesagt – lag gegenüber dem Treppenabsatz das Büro.
Der Israeli Maor könnte den Weg durch das Frankfurter Justizgebäude heute noch mit geschlossenen Augen gehen bis zu der Tür, vor der er vor 35 Jahren stehen blieb. Sein Auftrag: ‚Fotografier die Akte, die links auf dem Schreibtisch liegt.’ . . . Der Raum, in den Maor im Frühjahr 1960 heimlich eindrang, war das Dienstzimmer des damaligen hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer . . .“ (Nr. 31 vom 31. Juli 1995).
Zitat Steinke:
„Es riecht nach Zigarren, die langen Gardinen sind zugezogen, an den Wänden hängt moderne Kunst. Und links auf dem Schreibtisch, von allen anderen Papieren säuberlich getrennt, liegt ein Stapel. ‚Das waren NS-Unterlagen, Tätigkeitsberichte, auch Fotos’, erinnert sich Maor, ‚und überall Hakenkreuze.’
Es ist die Akte Adolf Eichmanns . . .“ (Seite 13)
Zitat „Der Spiegel“:
„Im Büro des Generalstaatsanwalts fand er alles wie besprochen vor. Die Gardinen waren zugezogen, es roch nach Zigarren, und links auf dem Schreibtisch, von allen anderen Papieren deutlich isoliert, lag ein Stapel. ‚Das waren NS-Unterlagen, Tätigkeitsberichte, auch Fotos’, erzählt Maor, ‚und überall Hakenkreuze.’ . . . Maor ist sich sicher, dass nur der Ermittler die Akte Eichmann derart offensichtlich auf dem Schreibtisch plaziert haben konnte.“
Zitat Seinke:
„Gerade hat der israelische Agent in Fritz Bauers dunklem Büro seine Fotoausrüstung aufgebaut, da zuckt er zusammen: ‚Plötzlich hörte ich Schritte, und Licht fiel durch den Türritz.’ Michael Maor versteckte sich eilig hinter dem Schreibtisch, der Mensch auf dem grünen Linoleum draußen näherte sich mit langsamen, seltsam schlurfenden Schritten. Es scheint, als ziehe er irgendetwas hinter sich über den Boden.
Maor verharrt – bis ihm klar wird, dass es die Putzfrau sein muss. ‚Offenbar war sie ein bißchen schlampig’, glaubt er, denn die Frau erspart sich die Arbeit im verqualmten 60-Quadratmeter-Büro des Generalstaatsanwalts und schlurft weiter.“ (Seite 15)
Zitat „Der Spiegel“:
„Er hatte gerade alles vorbereitet, da wurde er gestört: ‚Plötzlich hörte ich Schritte, und Licht fiel durch den Türritz.’ Schnell löschte Maor die Repro-Lampe und versteckte sich hinter dem Schreibtisch.
Er konzentriert sich auf die seltsam schlurfenden Schritte, die näher kamen. Der Mensch, so erkannte Maor, zog irgend etwas auf dem Boden hinter sich her. Dann wurde ihm klar, dass es sich nur um die Putzfrau mit ihrem Schrubber handeln könne. ’Offenbar war sie ein bisschen schlampig’, sagt Maor. Die Frau ersparte sich die Arbeit in Bauers Zimmer und schlurfte weiter, nachdem sie kurz vor der Tür verharrt hatte.“
FAZIT:
Wer Steinkes Schilderung liest, - sie steht gleich zu Beginn seiner Bauer-Biografie - staunt über die Detailkenntnis des Autors. Dass der promovierte Jurist eine Vorlage benutzt hat, erfährt der Leser zunächst nicht. Ein Hinweis an Ort und Stelle auf die Anmerkungen am Schluss des Buches hätte der Reputation des Verfassers nicht geschadet. Aber selbst dort heißt es nur: „ ‚Das waren NS-Unterlagen’ und folgende Zitate Maors: ‚Feindliches Ausland’, Der Spiegel, 31. Juli 1995“. Der knappe Satz erweckt den Anschein, als stamme der Text vor dem erwähnten Zitat aus eigener Quelle. Aber auch der ist – wie gesehen - abgekupfert und schon dort stehen ohne Kennzeichnung zwei wörtliche Zitate. ( „Du kannst es gar nicht verfehlen“ und „Fotografiere die Akte, die links auf dem Schreibtisch liegt“; bei Steinke heißt es, leicht abgewandelt: „…die links auf dem Tisch liegt.“
So viel Lässigkeit im Umgang mit dem Gedankengut anderer sollte man sich nicht erlauben, erst recht nicht, wenn man dem Nazigegner Fritz Bauer, der sich nicht mehr wehren kann, unter Berufung auf eine Nazipublikation unterstellt, er habe 1933 ein Treuebekenntnis gegenüber der Naziführung abgelegt. Doch das ist ein Kapitel für sich. Und was die angebliche Homosexualität Fritz Bauers betrifft, über die sich Ronen Steinke in seinem Buch als erster öffentlich ausgelassen hat, so liegen im BND-Archiv nach Angaben der Forschungs- und Arbeitsgruppe zur Geschichte des Bundesnachrichtendienstes keine Unterlagen vor, die das belegen könnten. Fortsetzung folgt.
Info:
Fritz Bauer. Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht
Ausstellung im Jüdischen Museum in Frankfurt
bis 7. September 2014
Im Thüringer Landtag, Erfurt vom 9. Dezember 2014 bis 1. Februar 2015
Es gibt ein umfangreiches und qualitativ hochwertiges Rahmenprogramm.
Katalog: Fritz Bauer. Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht, hrsg. von Fritz Backhaus, Monika Boll und Raphael Gross im Auftrag des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt, Campus Verlag 2014
Biographien:
Irmtrud Wojak, „Fritz Bauer 1903-1968. Eine Biographie“, Verlag C.H.Beck, München 2009
Ronen Steinke, „Fritz Bauer: Oder Auschwitz vor Gericht. Biografie mit einem Vorwort von Andreas Voßkuhle, Piper Verlag, München 2013
Film/DVD
Ilona Ziok, Fritz Bauer - Tod auf Raten, Deutschland 2012,97 Minuten
DVD
Fritz Bauer: Gespräche, Interviews und Reden aus den Fernseharchiven 1961-1968, Hrsg.:Fritz Bauer Institut, Frankfurt, Redaktion: Bettina Schulte Strathaus, 2 DVD,s/w, ca. 300 Minuten, absolut Medien Berlin