1. August 1914: Wie die Stadt den Ausbruch des Ersten Weltkriegs erlebte, Serie 1. Weltkrieg, Teil 16
Henning Roet de Rouet und Siegrid Püschel
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Am 23. Juli hatten wir über die Vorkriegsbegeisterung in Frankfurt berichtet. Am 7. August 1914 zogen die Frankfurter Regimenter ins Feld. Es scheint, als hätten nicht nur die Soldaten, sondern auch die Bürger diesen Tag geradezu herbeigesehnt. Dass der Erste Weltkrieg brutaler werden sollte als alles bisher erlebte, ahnte an diesem Tag kaum jemand.
Ende Juli 1914 befanden sich die meisten Soldaten des in der Gutleutstraße stationierten Infanterie-Regiments auf einem Truppenübungsplatz in der Nähe von Bad Orb, um sich auf eine Besichtigung durch die Armeeführung und das traditionelle Herbstmanöver vorzubereiten. Als das Regiment wieder in Frankfurt angekommen war, warteten die Soldaten gespannt auf die Reaktion des Kaisers auf die Mobilmachung Russlands und die erfolglosen Neutralitätsforderung an England und Frankreich. Die Offiziere der Reserve blieben bei ihren aktiven Kameraden, sie ahnten – keineswegs mit Unbehagen – was kommen sollte.
Am Mittag des 1. August gab ein Ordonnanz-Leutnant im Offizierskasino bekannt, dass der Kaiser den Zustand drohender Kriegsgefahr angeordnet habe, eine Vorstufe zur Mobilmachung. Um 18.15 Uhr herrschte Gewissheit: Die Mobilmachung war befohlen worden. Auf dem Kasernenhof jubelten die Soldaten, vor den Toren jubelten die Zivilisten, die sich schon seit dem Vortag in die Nähe der Frankfurter Kasernen begeben hatten, um zu erkunden, ob Maßnahmen einer Mobilmachung zu sehen waren.
Die SPD übte Kritik
Doch nicht überall war Euphorie an der Tagesordnung. Die SPD hielt, wie auch in anderen Städten, eine Kundgebung gegen den Krieg ab. Hauptredner war Max Quarck, der die Anwesenden dazu aufrief, sich aktiv für den Frieden einzusetzen, denn dann „wird in der Sozialdemokratie eine Macht entstehen, die den Herrschenden beweist, dass kein Krieg sich führen lässt ohne Hand und Kopf der schaffenden Massen.“ Die Frankfurter Sozialdemokraten konnten sich jedoch durch den Krieg in ihrer Politik bestärkt fühlen, denn schon Jahre vorher bewiesen sie ein gutes Gespür für den Lauf der Geschichte.
„Aber zu verlangen, dass Deutschland gewaltige Rüstungsopfer auf sich lädt, nur um der Wiener Hofburg weiterhin eine törichte Politik zu ermöglichen, die eine südslawische Gefahr erst künstlich schafft, heißt nicht mehr Bundestreue, sondern Wahnwitz!“ Die Kritik der SPD am Krieg jedoch konnte der Kriegsbegeisterung der Stadt nichts anhaben. „Ganz Deutschland und mit ihm Frankfurt ist von einer patriotischen Welle überflutet, wie sie seit Jahrzehnten, vielleicht seit dem großen Einigungskriege, nicht mehr erlebt worden ist“, so beschrieben die „Frankfurter Nachrichten“ die Situation.
Blumenschmuck für die Soldaten
Vor dem alten Polizeipräsidium zwischen Klapperfeldstraße und Klingerstraße schlug der Patriotismus mehrmals täglich hohe Wellen. Große Menschenaufläufe warteten dort auf eine Ansprache des Polizeipräsidenten. Tränen der Begeisterung flossen und die Kaiserhymne „Heil Dir im Siegerkranz“ tönte aus jeder Ecke. Genauso sah es vor der Infanterie-Kaserne in der Gutleutstraße und vor der Artillerie-Kaserne in Bockenheim aus. Frankfurter jeglichen Alters standen dicht an dicht vor den Toren, schauten den Soldaten bei den Vorbereitungen für die Front zu und trieben hin und wieder Handel mit den Kriegern. Jeder neue Reservist wurde in der fünf Tage dauernden Mobilisierung mit „Hurra“ und „Hoch“ begrüßt. Oft kamen sie bereits mit Blumen geschmückt in die Kaserne, ganz so, als ob sie den Krieg bereits gewonnen hätten.
Öffentliche Gebäude und vaterländische Denkmäler wurden mit Blumen- und Fahnenschmuck versehen und auch Schaufenster wurden mit dem Schwarz, Weiß und Rot des Kaiserreiches dekoriert. Kaum jemand konnte es sich leisten, nicht vor Begeisterung zu glühen, schließlich galt man schnell als unpatriotisch oder undeutsch – und das wollte niemand auf sich sitzen lassen.
Gottesdienst vor dem Feldzug
Bevor das Regiment am 7. August ins Feld zog, fand um 6 Uhr morgens ein Gottesdienst auf dem Kasernenhof statt. Die prominenten Teilnehmer belegen die enge Bindung des Hauses Hessen an das Regiment: Prinz Friedrich Carl von Hessen samt Prinzessin Margarete, Landgräfin von Hessen und ihre Schwester, die Königin Sophie von Griechenland, waren zu Gast, um mit den Soldaten zu beten und sie zu verabschieden. Der Hessische Prinz wohnte nur wenige Meter entfernt am Untermainkai und konnte von seinem Balkon aus die jubelnden Menschen rund um das Regiment auf ihrem Weg durch die Straßen beobachten.
Als es dann mit der Regiments-Kapelle an der Spitze die kurze Strecke zum Hauptbahnhof ging, standen wieder zahlreiche jubelnde Menschen und Angehörige der Soldaten, die auch Tränen vergossen, am Wegesrand. Wieder wurden Blumen geworfen und aufmunternde, wie auch patriotische Parolen gerufen.
Das Warten der Reservisten
Wesentlich hektischer und weniger fröhlich ging es auf den großen Plätzen zu, welche zur Verteilung und Ausstattung von Reservisten der nicht in Frankfurt stationierten Regimenter genutzt wurden. Die einberufenen Männer hatten allesamt eine große Schachtel in der Hand, um ihre zivilen Kleider an die Familie schicken zu können. Oft mussten sie mehrere Tage hintereinander erscheinen, um dann unverrichteter Dinge wieder zu gehen, da die Schreibstuben überlastet waren. Langeweile trat an die Stelle anfänglicher Begeisterung: Diese vermochte lediglich das Essen auszulösen. Viel Fleisch und deftige Küche, Rippchen und Kassler, Sauerkraut und Kartoffeln, brachten so manchen auf die Idee, der Krieg könne gar nicht so schlimm sein, wenn es stets eine solche Verpflegung gäbe. Wie sehr sie sich getäuscht hatten, sollte ihnen indes nur allzu schnell klar werden.
Die ersten Wochen verliefen zumindest für die beiden Frankfurter Regimenter der Infanterie aus dem Gutleutviertel und der Artillerie aus Bockenheim aber noch durchaus nahrhaft. Die Einwohner der Stadt hatten „ihre“ Soldaten nicht vergessen. Zahlreiche Spenden in Form von Wollwaren, Zigarren und Süßigkeiten erreichten die Regimenter im Feld. Jede Spende wurde mit einer Danksagung in den Frankfurter Zeitungen gewürdigt. Die Bevölkerung fühlte sich eng verbunden mit den Soldaten.