Über untaugliche Versuche, eine historische Gestalt zu demontieren
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) – Wir setzen die Reihe der Nelhiebelschen Aufarbeitung der schriftlichen Aussagen zur Person und zum Werk von Fritz Bauer durch Werner Renz fort, dessen Worten schon deshalb Bedeutung zukommt, weil er als Angehöriger des Fritz Bauer Instituts gewissermaßen ex cathedra spricht. Zumindest glauben das viele. Die Redaktion.
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Ein Beitrag von Werner Renz für das 2014 erschienene Begleitbuch zu einer Ausstellung über Fritz Bauer in Frankfurt am Main1 beginnt mit den Sätzen: „Gemeinhin werden Fritz Bauer und der Frankfurter Auschwitz-Prozess in einem Atemzug genannt. Die ‚Strafsache gegen Mulka u. a.’ vor dem Landgericht Frankfurt am Main, in 20 Monaten und an 183 Verhandlungstagen gegen zuletzt 20 Angeklagte durchgeführt, fand jedoch ohne Bauer statt.“ Später erwähnt Renz in einem Halbsatz Bauers „wichtige Rolle“ in der Vorgeschichte, betont aber nochmals: „In der Hauptverhandlung kommt Bauer nicht vor.“
Dann jedoch spricht er davon, dass es neben der Erstattung zeitgeschichtlicher Gutachten in der Hauptverhandlung einen weiteren Vorgang gegeben habe, der „ganz und gar Bauers Handschrift trug“. Am Ende der Beweisaufnahme habe er „zur Überraschung des Gerichts“ seine „andere Rechtsauffassung“ in den Prozess eingebracht, und zwar habe die Anklagevertretung auf sein Drängen hin beantragt, das Gericht möge die Angeklagten darauf hinweisen, dass in ihrer Anwesenheit in Auschwitz eine „natürliche Handlungseinheit gemäß § 73 StGB“ gesehen werden könne, die sich rechtlich als Beihilfe oder Mittäterschaft zu einem einheitlichen Vernichtungsprogramm qualifiziere, und eine Verurteilung auch ohne konkreten Tatnachweis ermögliche.
Diese Rechtsauffassung hätten das Frankfurter Gericht und später auch der Bundesgerichtshof jedoch verworfen. Am Schluss des Artikels schreibt Renz, Bauers Rechtsauffassung habe 2012 eine „überraschende Renaissance“ erlebt, als das Münchner Landgericht II den ehemaligen ukrainischen Wachmann Demjanjuk wegen seiner Tätigkeit im Vernichtungslager Sobibór ohne konkreten Tatnachweis wegen Beihilfe zum Mord verurteilte.
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Mit diesem Artikel verhält es sich so, wie mit den meisten anderen. Renz stellt unstrittige Sachverhalte so dar, dass sie Fritz Bauer schlecht aussehen lassen. Im Auschwitz-Prozess kam der hessische Generalstaatsanwalt aus gutem Grund nicht vor: die Vertretung der Anklage lag in den Händen von vier Staatsanwälten, die Fritz Bauer mit dieser Aufgabe betraut hatte. Die Sache so darzustellen, als würde Fritz Bauer zu Unrecht für etwas gerühmt, mit dem er nichts zu tun hatte, ist einer der Seitenhiebe, die Renz immer wieder austeilt. Im Gegensatz zu seiner Behauptung, in der Hauptverhandlung komme Bauer nicht vor, spricht er später von zwei Vorgängen, die ganz und gar Bauers Handschrift getragen hätten. An keiner Stelle lässt Renz erkennen, wie er zu dem auf Drängen Bauers eingebrachten Antrag steht, die Angeklagten davon zu unterrichten, dass sie im Einzelfall wegen Beihilfe oder Mittäterschaft zu Verantwortung gezogen werden könnten. Auch zu seiner Haltung gegenüber der „überraschenden Renaissance“ der Bauerschen Rechtsauffassung im Fall des ukrainischen Wachmanns Demjanjukj äußert er sich nicht. Einem institutsfernen Historiker würde ich diese Distanz nachsehen, einem Mitarbeiter des Fritz Bauer Instituts nicht. Fortsetzung folgt.
Anmerkungen:
1 Werner Renz, Fritz Bauer und der Auschwitz-Prozess, in Fritz Bauer. Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht, Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York, 2014, S. 149 f.