Erste Premiere der Spielzeit 14/15 im Hamburger Ernst-Deutsch-Theater: Eine Revue aus Berlin

 

Helmut Marrat

 

Hamburg (Weltexpresso) - Ganz am Schluss ergibt sich das schönste Bild des Abends. Alle Mitwirkenden nehmen Platz auf der vorderen Show-Treppe, direkt an der Rampe. Und da sich auch die drei Musiker zu diesem Bild gesellen, von denen vor allem der Pianist zu nennen ist, singen alle gemeinsam a capella: das Lied, das dem ganzen Abend den Titel gab: "Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre" von Friedrich Hollaender.

 

 

Es ist dies ein ganz unaufwendiger, leichter Moment. Die Schlacht, sozusagen, ist geschlagen, und, wer weiß, was für Befürchtungen manch einer gehabt, ob es möglich wäre, das als schwergängig geltende Hamburger Publikum in Fahrt zu bringen. Als ein paar Lieder zuvor das fast ausschließlich ältere Auditorium dann sich locken ließ und mitsang und sogar die Hände schwang - ein wenig wie auf einer Kreuzfahrt vielleicht, war man inzwischen bei der Sonne von Wanne-Eickel gelandet. Und es schien, dass manch einer der Künstler dieses Glück nicht recht glauben mochte.

 

Inzwischen ist Ende August. Und das bedeutet in der Hansestadt, dass spätestens der Herbst beginnt, aber man sollte nicht ungerecht sein, denn der Juli brachte herrliche hochsommerliche Wochen.

 

"Offen für Neues" hat das Ernst-Deutsch-Theater als Motto für die nun neue Spielzeit gewählt, und was lag näher, als mit einer leichten Revue zu beginnen? Zumal man vom Berliner Renaissance-Theater eine Aufführung übernommen hat, und das bringt beiden Häusern Vorteile. Nicht zuletzt finanzielle. Wobei es allerdings gar nicht so einfach ist, Berliner Erfolge nach Hamburg zu holen. Denn tatsächlich sind die Berliner ein reichlich wacheres, ja, vorwitzigeres Publikum, als es die Hamburger je sein werden. Aber es ist ein treues und braves Publikum. Hier zieht man sich zum ins Theatergehen auch noch fein an. Zumindest gediegen.

 

Um mit der Bühne zu beginnen, so hat der in Australien aufgewachsene Grieche Vasilis Triantafillopoulos, ein leicht bespielbares Etablissement geschaffen. Mit Barhockern, einem Glitzervorhang aus beweglichen Lamellen nebst einer Varietéschaukel. Und drei übergroßen Pappmasché-Pin-Up-Figuren, die den Raum umstellen.

 

Auftritt der fünf Darsteller, die man sich anhand der Probenfotos zusammensuchen sollte, da, weshalb auch immer, darauf verzichtet wurde, deren Lebensläufe ins Programmheft aufzunehmen. Es sind also, das Internet ist hier hilfreich, Anke Fiedler, Anika Mauer, Andreas Bieber, Roberto Guerra und Guntbert Warns.

 

Sehr unterschiedliche Künstler treffen aufeinander, und, genau besehen, passen sie nicht ideal zueinander: Kommt der eine vom Musical, ist die zweite eine "Pflanze" einer Casting-Show; und der nächste ein hervorragender seit Jahren erfahrener Schauspieler. Das kann man machen, doch es bedürfte dann eines strengeren Rahmens oder sagen wir einer klar erzählten Geschichte. Übrigens auch eines Zeitgefühls! Kurz: Einer zupackenden Regie.

 

Letztes Jahr sahen wir in der Wiener Josefstadt einen Abend von Franz Wittenbrink, dem "Altmeister" solcher Veranstaltungen. "Forever Young". Otto Schenk war dabei und ein ebenso bunter Trupp wie in dieser Arbeit von Thorsten Fischer und Herbert Schäfer. Aber Wittenbrink baut stets eine intelligente Geschichte, in die die einzelnen Lieder gut verwoben sind.

 

Hier nun aber keine Geschichte, nur eine Idee. Und das birgt natürlich die Gefahr der Beliebigkeit. Tatsächlich werden alle möglichen Chansons gebracht, von Hollaender bis Weill, aber dann eben auch Ralph Siegel oder Udo Lindenberg mit seinem immerhin originellen "Vopo-Lied (prima: Roberto Guerra). Alle Lieder werden regelmäßig mit großem Spass dargeboten. Ohnehin muss mit Bewunderung erwähnt werden, mit welcher Freude das Quintett agiert.

 

Auftritt also der Fünf. Und einer lüpft seinen Zylinder, und es werden seine roten Teufelshörner sichtbar. Gundbert Warns gibt den Teufel, hat das seit Gründgens offenbar unvermeidliche geweißelte Gesicht, und so folgen, im Wechsel, Sätze aus dem "Vorspiel auf dem Theater" aus Goethes "Faust I". Sie sind nicht einmal alle korrekt, und eigentlich wirkt diese Idee, zumal bei dem Thema, nicht gerade originell, geschweige denn passend.

 

Man hört somit ein wenig ratlos zu und wartet. Dann bei der 14. Nummer folgt ein erster Höhepunkt. Warns bringt den "Stroganoff" von Hollaender. Seit jeher eine Herausforderung, und der Schauspieler meistert sie bravourös. Die erste Strophe dieses Liedes ist die einzige gestochen scharfe Nummer dieses Abends. Gleichzeitig zeigt sich dann aber auch die Gefahr, unter der Warns steht. Denn sobald er bemerkt, wie sehr sein Vortrag zündet, scheint die Freude stärker zu sein als die Vorsicht. Und er breitet sich aus. Wird eher zu selbstgefällig. Was schade ist, denn Warns ist ja grundsätzlich ein vorzüglicher Darsteller. Vielleicht fehlt ihm aber auch ein geeignetes Gegengewicht. Als er vor längerem eine großartige Aufführung spielte, - das war "Der letzte Vorhang", und seine Partnerin die mindestens gleichwertige, wunderbare Suzanne von Borsody -, da brachte die Borsody die nötige Melancholie und auch Erdenschwere mit. Auch wenn das hier zum Teil versucht wird, - zum Beispiel von Anika Mauer, und gar nicht mal schlecht -, keiner der Darsteller zeigt ausreichend von jener Schwermut, die ja auch zur Liebe gehört.

 

Dazu gehören auch Ruhepausen, die dieser Aufführung merklich fehlen.

 

Wenn man nochmals das letzte Lied, den Titelsong, nimmt, so wäre bei diesem Hollaender auch ein Hauch von Zweifel denkbar gewesen. Stattdessen bringen alle den Text so, als sei das Ergebnis des Chansons von vornherein klar. - Die "Schlacht" ist, wie gesagt, geschlagen. Man ist eine Spur abgekämpft; mit einer großen Menge Freude. Und Erleichterung!

 

Anke Fiedler lieferte manch starke Gesangseinlage, Andreas Bieber eine gelungene artistische Nummer an der Schaukel, Roberto Guerra kraftvolle Komik (teils in der Aufmachung der Amy Winehouse) und Anika Mauer, wie gesagt, ein bißchen von jener dunklen Seite, die unbedingt gebraucht wird.

 

Als alles vorüber war, strebte ein älteres Ehepaar zur Garderobe. Beschwingt. Sie: "Sag mal, wie hieß das eigentlich?" Und er zieht, wie zum Beweis, das Programmheft und zeigt den Titel.

 

 

Info: "Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre" läuft noch bis zum 27. Sepiember.