Serie, Teil 7: WOANDERS GELESEN, hier Hessische Lehrerzeitung (HLZ) 7/8 2014: LERNORT MUSEUM

 

Hendrik Harteman

 

Wiesbaden (Weltexpresso) – Seit nunmehr 25 Jahren sammelt, bewahrt und präsentiert das Aktive Museum Spiegelgasse in Wiesbaden die jüdische Geschichte Wiesbadens. In ehrenamtlichen Arbeitsgruppen werden Ausstellungen entwickelt, Stolpersteine verlegt, eine Fachbibliothek unterhalten und Zeitzeugengespräche geführt. Viele Schulen in der Umgebung sind in den letzten Jahren mit dem Aktiven Museum als prägnantem außerschulischem Lernort in Kontakt gekommen.

 

 

Das Museum Spiegelgasse in Wiesbaden

 

Erinnerung wird häufig von der Betroffenheit über vergangene Ereignisse ausgelöst. In pädagogischen Prozessen wird die Schwere und moralische Last der Betroffenheit oft auch auf die Schülerinnen und Schüler übertragen. Die eigene Betroffenheit führt aber nicht zwangsläufig zu der gewünschten Reaktion bei den Jüngeren. Häufig wird „das Thema“ als belastet und kompliziert, sehr traurig und politisch brisant erlebt. Vor fünf Jahren hat das Aktive Museum erkannt, dass es dieser Entwicklung etwas entgegensetzen muss.

 

Die von uns getragene Erinnerungskultur darf nicht im Betroffenheitsritual verharren. Sie muss zukunftsfähig werden und das geht nur, indem man die Gegenwart ernst nimmt, das meint vor allem die Gegenwart der Lernenden.

Im Jahr 2007 wurde Spiegelbild, die Jugendinitiative des Aktiven Museums, gegründet, um den veränderten Bedingungen der Erinnerungskultur und der Geschichtsbetrachtung nachzukommen und den notwendigen Paradigmenwechsel in unserer Bildungsarbeit zu schaffen. Sie soll sich an der Jetztzeit orientieren, das Betroffenheitsritual und die Beklemmungsatmosphäre hinter sich lassen, die wegen der Fixierung auf die Opfer-Täter-Perspektive die jüngere Generation eher abstoßen. Solche Rituale und Atmosphären spalten, machen sprachlos, erzeugen Verweigerung, nicht selten Aggression.

 

 

Maxime Lebensweltorientierung

 

Spiegelbild arbeitet nach Prinzipien der außerschulischen politischen Bildungsarbeit. In der Entwicklung unseres Konzeptes haben sich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter intensiv mit aktuellen Erkenntnissen der Bildungsarbeit auseinander gesetzt und sich der zentralen Maxime der Lebensweltorientierung verschrieben. Nicht die Geschichte oder „die Opfer“ stehen im Mittelpunkt unserer Arbeit, sondern der Schüler, die Schülerin. Durch die ständigen Angebote und durch größere Projekte bauen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Brücken zwischen der Lebenswelt der Jugendlichen und der Geschichte. Dabei erheben wir nicht den Zeigefinger und geben die Richtung vor, sondern bieten den Dialog an und begleiten Jugendliche und zunehmend auch Erwachsene in der kritischen Auseinandersetzung.

 

Die langjährigen Erfahrungen des Aktiven Museums in der Vermittlung deutschjüdischer Geschichte sind natürlich in die Entwicklung des Konzeptes von Spiegelbild eingeflossen. War es zunächst das Ziel der Jugendinitiative, eine selbstbestimmte Auseinandersetzung mit deutsch-jüdischer Geschichte zu ermöglichen, hat sich das Themenspektrum aufgrund des konsequenten Konzeptes der Lebensweltorientierung erweitert.

 

Die Vermittlung von jüdischer Kultur und deutsch-jüdischer Geschichte kann nur so weit unser Vorsatz sein, wie wir ihre Bedeutung für das heutige Zusammenleben verdeutlichen können. Aus der Geschichte lernen heißt für uns, Begegnung aktiv zu gestalten. Das gilt für die Begegnung von (jungen wie älteren) Menschen genauso wie für die Begegnung mit der (deutschjüdischen) Geschichte. Wir passen unsere Arbeit deshalb den Bedingungen der Einwanderungsgesellschaft an und arbeiten mit und an den Fragen, die junge Menschen heute politisch umtreiben. Wir möchten durch unsere Angebote jungen Menschen und Multiplikatorinnen und Multiplikatoren Räume und Begleitung anbieten, sich mit der Geschichte und deren Bedeutung für „mich im Heute“ auf eine neue Art und Weise auseinanderzusetzen.

 

Unsere Projekte sind darauf ausgelegt, dass junge Menschen und auch erwachsene Multiplikatorinnen und Multiplikatoren eine Haltung zu historischen und politischen Themen einnehmen können. Dabei steht das eigene Handeln in Betrachtung der historischen oder politischen Ereignisse im Mittelpunkt. Durch aktive und kreative Methoden erreichen wir, dass sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu den Themen, mit denen sie sich beschäftigen möchten, selbst in Bezug setzen und dabei eigene Möglichkeiten sehen, in komplexen Zusammenhängen Entscheidungen zu treffen. Fortsetzung folgt.

 

INFO:

Hendrik Harteman ist Jugendbildungsreferent von Spiegelbild Wiesbaden

 

Aktives Museum Spiegelgasse für Deutsch-Jüdische Geschichte in Wiesbaden e.V.

 

Spiegelgasse 9, 65183 Wiesbaden

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www.spiegelbild.de

 

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors und der HLZ aus HLZ 7/8 Seite 14/15