Serie, Teil 10, WOANDERS GELESEN, hier Hessische Lehrerzeitung (HLZ) 7/8 2014: LERNORT MUSEUM

 

Thomas Altmeyer

 

Hessen (Weltexpresso)- Viele der in der LAG zusammengeschlossenen Initiativen widmen sich dem jüdischen Leben vor Ort. In restaurierten ehemaligen Synagogen wie in Pfungstadt oder Vöhl, in der ehemaligen Mikwe in Rotenburg an der Fulda und an zahlreichen anderen Orten wird an das jüdische (Land-)Leben in Hessen gedacht.

 

Die noch existierenden baulichen Zeugen des jüdischen Lebens vor Ort bieten nicht nur Raum für kulturelle Veranstaltungen. Sie können als Gedenkstätten und Lernorte genutzt werden, die einen Blick in das jüdische Leben in Hessen vor 1933 ermöglichen, aber auch die Geschichte der antisemitischen Verfolgung und oft genug der über Jahrzehnte  erdrängten Erinnerung erzählen.

 

Eine Auseinandersetzung mit den politischen Gegnern der Nazis leisten die Gedenkstätten an den Orten der frühen Konzentrationslager Breitenau in Nordhessen oder Osthofen im heutigen Rheinland-Pfalz. Mit einem Dokumentationsarchiv und Ausstellungen widmet sich darüber hinaus der Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945 in Frankfurt am Main der Erforschung und Vermittlung des Widerstandes. Hier sind auch Recherchen zur NS-Zeit in Hessen (und darüber hinaus) möglich. Wanderausstellungen zum Widerstand von jungen Menschen können hier entliehen werden und eignen sich gerade auch für den schulischen Kontext.



Die bereits erwähnte Gedenkstätte Breitenau war aber nicht nur ein frühes KZ, sondern diente auch als eines von sechs in Hessen bekannten Arbeitserziehungslagern (AEL). Durch harte Bestrafung wurden hier insbesondere ausländische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen unter KZ-Bedingungen diszipliniert und zum erneuten, bedingungslosen Arbeitseinsatz gefügig gemacht. Auch das Dokumentations- und Informationszentrum Stadtallendorf widmet sich dem Thema Zwangsarbeit und der Rüstungsindustrie während der NS-Zeit.



Im Schwalm-Eder-Kreis befindet sich am Ort des größten Kriegsgefangenenlagers auf dem Gebiet Hessens die Gedenkstätte Trutzhain. Neben einer Dauerausstellung bildet der historische Ortskern mit der ehemaligen Lagerstraße und den erhaltenen und nach 1945 weitergenutzten ehemaligen Baracken des Kriegsgefangenenlagers sowie zwei Friedhöfen einen besonderen historischen Lernort. Er dokumentiert die völkerrechtswidrige Behandlung der Kriegsgefangenen aus ganz Europa, ihre Leiden, das Sterben und ihren Missbrauch zur Zwangsarbeit.



Erinnerungsinitiativen vor Ort

 

Vielen ist darüber hinaus die Gedenkstätte in Hadamar im Lahn-Dill-Kreis ein Begriff. Hier wurde Ende 1940 die Landesheilanstalt Hadamar in eine Tötungsanstalt umgebaut. Man ermordete hier insgesamt etwa 15.000 Menschen in einer als Duschraum getarnten Gaskammer, mit überdosierten Medikamenten oder durch Hungerkost. Aber nicht nur die hier genannten Gedenkstätten und Einrichtungen bieten Ansatzpunkte für historisch-politisches Lernen. In lokalen Geschichtswerkstätten wie in Marburg oder Offenbach, in den kleineren Erinnerungsinitiativen und Geschichtsvereinen finden sich zahlreiche Expertinnen und Experten, deren Wissen um lokale Geschehnisse, um lokale und regionale Quellen zur Geschichte der NS-Zeit einen besonderes Materialschatz für die Projektarbeit mit Schülerinnen und Schülern bilden kann.



Oft waren sie es, die Zeitzeugen gekannt und interviewt haben oder Kontakte zu den Familien von Verfolgten haben. Erinnerungsinitiativen und kleinere und mittlere Gedenkstätten bilden eine oft unbekannte, aber produktive Ressource für die historisch-politische Bildung in Hessen. Exkursionen innerhalb des Bundeslands vermeiden verglichen mit Exkursionen nach Dachau oder Buchenwald längere und teurere Anreisewege. Damit vergrößert sich das mögliche Zeitfenster zur Arbeit am historischen Ort. Dass sich in Hessen kein großes Konzentrationslager befand, ermöglicht aber darüber hinaus auch einen anderen Zugang zur NS-Geschichte.

Gerade solche Themen, die oft vernachlässigt sind, können hier bearbeitet werden. Zu nennen wären hier z. B. Zwangsarbeit, Widerstand, Euthanasie, Kriegsgefangenschaft, das System der KZ-Außenlager oder die lange Geschichte jüdischen Lebens in Hessen. Ein Besuch bzw. die Zusammenarbeit mit hessischen Gedenkstätten oder Erinnerungsinitiativen bietet aber noch einen weiteren Vorteil. Oftmals können direkte Bezüge zum Schulort oder zu den Heimatorten der Jugendlichen hergestellt und auf diese Weise Brücken in die Vergangenheit geschlagen werden. Geschichte spielt sich dann nicht nur an fernen Orten ab, sondern direkt vor der eigenen Haustür.

Foto: Gedenkstätte Breitenau. In der Kirche und den Räumen des ehemaligen Klosters Breitenau in Guxhagen wurden 1933 ein frühes KZ und 1940 ein Arbeitserziehungslager der Gestapo eingerichtet (siehe nächster Artikel)

 

INFO:

Die Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit in Hessen (LAG Hessen) wurde 1999 in Marburg gegründet. Der Sprecherrat besteht aus Thomas Altmeyer (Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945 e. V.), Fritz Brinkmann-Frisch (Dokumentations- und Informationszentrum Stadtallendorf), Renate Dreesen (Arbeitskreis ehemalige Synagoge Pfungstadt und Denkzeichen Güterbahnhof Darmstadt), Hans Gerstmann (Gedenkstätte und Museum Trutzhain und Arbeitskreis Spurensuche im DGB) und Dr. Gunnar Richter (Gedenkstätte Breitenau). Einen Einblick in die hessische Gedenkstättenlandschaft bieten die Homepage der LAG www.erinnern-in-hessen.de und eine im Sommer 2014 erscheinende Informationsbroschüre. Eine Ausstellung über das „Erinnern an die NS-Zeit in Hessen“ ist in Arbeit.

Weitere Informationen zur Gedenkarbeit in Hessen bietet das Referat 2/III (Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus, Zeitgeschichte, Rechtsextremismus) der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung. Dort können auch finanzielle Mittel für Gedenkstättenfahrten oder Zuwendungen für Projekte beantragt werden.

Die Reihe „Hessische Geschichte“ stellt seit 2012 darüber hinaus Menschen und Orte vor, die die Jahre 1933 bis 1945 näher beleuchten www.hlz.hessen.de > Publikationen > Verzeichnis > Hessische Geschichte.



Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors und der HLZ aus HLZ 7/8 Seite 16/17