Die queere Pride-Parade in SchlüchternHanswerner Kruse
Schlüchtern (Weltexpresso) - Solch einen erstaunlich kunterbunten Tag hat Schlüchtern lange nicht mehr erlebt. Der Verein „Quer* MKK“ lud am Samstag zu einem „Pride“-Umzug durch die Schlüchterner Innenstadt – mit anschließender Kundgebung und einem Straßenfest.
Eine riesige Regenbogenfahne wurde von Menschen aus diversen Gruppen bei der Demonstration vorangetragen. Ihnen folgte ein Trecker mit der bekanntesten Drag Queen Deutschlands: Pandora Nox. Die Gewinnerin der TV-Sendung „Drag Race Germany“ moderierte später die Ereignisse auf der Bühne. 250 fröhliche Personen hatten sich dem Zug angeschlossen, teils mit grellen Bemalungen oder fantastischen Kostümen: einer Flügelfrau, einem Stachelmann, etlichen Mischwesen zwischen Mann und Frau. Dazwischen liefen aber auch reichlich unspektakuläre Personen.
Der Umzug und das darauffolgende Fest auf dem Stadtplatz standen unter dem Motto „Nie wieder Schweigen!“ Angesichts der auch in Osthessen zunehmenden Feindseligkeiten gegen queere Personen setzte der Verein ein stolzes Zeichen. Mitorganisator Steve Euler erklärte zur Begrüßung: „Wir haben das Recht so zu leben wie wir sind. Wir sind keine Menschen zweiter Klasse.“
Er bedankte sich bei den Verbündeten, die sich gegen Diskriminierung und für Vielfalt in allen gesellschaftlichen Bereichen engagierten. Diese Koalition der Solidarität reichte von „Omas gegen rechts“ über „ProFamilia“ und „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ bis zum „Bildungspartner Main-Kinzig-Kreis“. Auf dem Stadtplatz präsentierten sich alle mit Infoständen, auch queere Gruppen aus Nachbarstädten und die politischen Vereinigungen Linke, Jungsozialisten, Grüne. Die Stimmung zwischen den unterschiedlichsten Leuten, jung und alt, war sehr friedlich und zugewandt.
Auf der Bühne führten zwei unkonventionelle Moderatorinnen Gespräche mit Politikern aller demokratischen Parteien im Landtag. Beispielsweise unterhielt sich die „Polit-Tunte“ (Selbstbezeichnung) Janboris Rätz mit dem Landtagsabgeordneten der Grünen Andreas Ewald; BECCS sprach mit dem Staatssekretär des hessischen Kulturministeriums Christoph Degen (Foto rechts).
Die Dialoge fanden im Wechsel statt mit Vorführungen von Drag Queens und weiteren Entertainern. Immer wieder wurde betont: Ausgrenzungen und Hetze von rechtsradikalen Kräften wie der AfD gegen queere Menschen, die niemandem etwas tun, sind politisch – und müssen auch politisch bekämpft werden. Gejammert wurde nicht: Viele sprachen Tacheles und stellten klare Forderungen: „Erkämpftes muss erhalten werden!“
Die queere Ästhetik enthält viel Humor, per se durch spielerische Übertreibungen und fröhliche Grenzgänge: „Die Echten sind falsch und die falschen sind echt“, befand bereits Erich Kästner. Jedoch die Bandbreite der Darbietungen zwischen den Reden umfasste schrille erotisch-akrobatische Tänze der Pandora Nox bis zu nachdenklichen Gesängen von MKSM, ebenso Poetry Slammer bis zu einem Tanz des heimischen Ensembles „Artodance“.
„Jeder hat in Schlüchtern ein Zuhause“, meinte engagiert Bürgermeister Matthias Möller (parteilos). Er unterstützt „Quer* MKK“ genauso wie die Kreisspitze – beim Pride vertreten durch Bettina Müller und die Gleichstellungsbeauftragte Grit Ciani. In diesen Zeiten ist das ein überraschend ehrliches und notwendiges Engagement.
Obwohl die Veranstaltung sehr abwechslungsreich war und die politischen Aussagen wichtig, leerte sich der Stadtplatz im Laufe des Nachmittags. Manchen Gästen war offenbar nicht klar, dass man für dieses Fest viel Zeit mitbringen musste. Sieben Stunden dort zu verbringen, wie vom Verfasser dieser Zeilen, war eine Herausforderung. Aber die Atmosphäre war großartig, gerade wegen der Vielfalt. Viele wünschten eine Wiederholung im nächsten Jahr mit der hinreißenden Drag Queen Nox.
Fotos
© Hanswerner Kruse