Zeitzeuge beanstandet Nazipropaganda zu Lasten von Fritz Bauer
Constanze Weinberg
München (Weltexpresso) - Kurt Nelhiebel ist einer der letzten noch lebenden Zeitzeugen, die den großen Frankfurter Auschwitz-Prozess als journalistische Beobachter miterlebt haben. Er gehört zu den Wenigen, die den Initiator des Verfahrens, den legendären hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, persönlich kannten und aus eigenem Erleben heraus über ihn schreiben können.
Ebenso wie Fritz Bauer hat er Verfolgung durch die Nazis am eigenen Leibe erlebt und wie dieser an ihrer Wiederkehr gelitten.
Als im April 2014 im Frankfurter Jüdischen Museum eine vom Fritz-Bauer-Institut und dem Jüdischen Museum initiierte Ausstellung zum Thema „Fritz Bauer. Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht“ eröffnet wurde, entdeckte er im Ausstellungskatalog neben viel Positivem auch manches, das ihn betroffen machte. Zum Beispiel wurde dort kommentarlos ein Zeitungsartikel aus der Nazizeit abgedruckt, der den Anschein erwecke, als habe sich der aus politischen Gründen inhaftierte Fritz Bauer die Freilassung durch ein Treuegelöbnis gegenüber den neuen Machthabern erkauft.
Schockiert bat Kurt Nelhiebel den Vorsitzenden des wissenschaftlichen Beirates des Fritz-Bauer-Instituts, Wolfgang Benz, eine historische Einordnung des angeblichen Treuebekenntnisses anzuregen, um dem Ausstellungsstück seinen denunziatorischen Charakter zu nehmen. Er hielt das auch deshalb für notwendig, weil dort von einem Fritz Hauer und nicht von Fritz Bauer die Rede war. Ähnlich äußerte er sich gegenüber dem Direktor des Fritz-Bauer-Instituts, Raphael Gross. Eine Büroangestellte des Instituts bedauerte unter Hinweis auf eine Intervention des wissenschaftlichen Beirates gegenüber Nelhiebel, dass der „Tippfehler“ im Katalog nicht ausreichend ausgewiesen worden sei. Vom Treuegelöbnis selbst kein Wort.
Anschließend bedankte sich der Institutsdirektor mündlich und schriftlich bei dem Zeitzeugen für dessen Engagement. „Mit Recht monieren Sie“, schrieb er am 5. Juni, „wir würden den Kontext des von Fritz Bauer sicherlich unter brutalsten KZ-Bedingungen erzwungenen ‚Treuegelöbnisses’ nicht genügend im Katalog darstellen. Das werden wir bei jeder weiteren Auflage nun versuchen. Auch werden wir in der Ausstellung den Kontext deutlicher herausstellen.“ So „durchdacht“, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 9. April 2014 schrieb, war die Ausstellung dann wohl doch nicht.
Die versprochene Erläuterung ließ auf sich warten. „Die Mühlen von Museen und Gestaltern und Layoutern mahlen leider oft sehr langsam“, rechtfertigte sich Gross auf Rückfrage. Nach acht Wochen wollte Nelhiebel vom stellvertretenden Direktor des Jüdischen Museum, Fritz Backhaus, wissen, ob und in welcher Weise Besucher der Ausstellung inzwischen über die Umstände informiert würden, unter denen das Treuebekenntnis zustande gekommen sein könnte. Ohne die unerlässlichen Erläuterungen, so Kurt Nelhiebel an die Adresse von Fritz Backhaus, sollte die in Frankfurt beendete Ausstellung am 9. Dezember im Thüringer Landtag in Erfurt jedenfalls nicht erneut eröffnet werden.
Backhaus antwortete ausweichend. Auf Rückfrage hielt er dem 87jährigen Zeitzeugen vor, er verwechsle anscheinend eine Ausstellung mit einem juristischen Prozess. „Wir sind keine Ankläger und ich glaube nicht, dass Fritz Bauer eine Verteidigung benötigt.“ Dann räumte er ein, vergessen zu haben, dass es inzwischen einen erläuternden Text gebe; leider wisse er nicht, seit wann er in der Ausstellung gezeigt werde. Es bedurfte einer weiteren Nachfrage, ehe der stellvertretende Museumsdirektor schmallippig antwortete: „Beiliegend die ergänzte Objektbeschriftung und der erläuternde Text zu Ihrer Information. Sie wurden im Juli 2014 in der Ausstellung installiert.“ Gemeint waren drei Dokumente, die nach Meinung der Ausstellungsmacher darauf hindeuten, dass Fritz Bauer das Treuebekenntnis unter Zwang unterschrieben habe.
Die Vermutung, dass es sich bei dem Treuebekenntnis um eine Propaganda-Aktion der Nazis handelte, mit der die Mitglieder der verbotenen SPD verunsichert werden sollten, ist nach Meinung des Zeitzeugen damit nicht widerlegt. Da die Umstände des Zustandekommens der Unterwerfungserklärung nicht eindeutig geklärt seien und ein Dokument mit der Unterschrift Fritz Bauers offensichtlich nicht existiere, hätte der belastende Zeitungsartikel niemals gezeigt werden dürfen. Dass es dennoch geschehen sei, schade dem Ansehen Fritz Bauers. Der wissenschaftliche Fehlgriff widerlege gleichzeitig die Behauptung, Fritz Bauer benötige keine Verteidigung. In Wirklichkeit, so Kurt Nelhiebel, benötige sie der 1968 verstorbene hessische Generalstaatsanwalt dringender denn je. Darüber werde noch gesondert zu reden sein.
Vgl. hierzu „Die Demontage des Generalstaatsanwalts Dr. Fritz Bauer“ von Prof. Dr. Erardo C. Rautenberg; abrufbar unter http://www.gsta.brandenburg.de/media fast/4140/NJ 9 2014 Beitrag Rautenberg.pdf