Wie die Politik ihm Rahmen ihrer Inferiorität sich mit sich selbst beschäftigt, statt mit unangenehmen Realitäten und unerledigten Problemen

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der deutsche Michel will seit jeher schon, dass ja bloß alles beim alten bleibt, bloß keine Änderung!, keine Unruhe und kein Nachdenken über Versäumtes, langfristig Baden Gegangenes und eventuell doch grundlegend Veränderbares, das der politische Gegner anzumahnen sich erfrecht und damit Wasser in den Wein des Pfahlbürgers lenkt.

 

Der rechtschaffene und wohlanständige Deutsche, der was auf sich hält, setzt sich auch nicht mit Linken an einen Tisch, denn das sind Unpersonen, Aussätzige, Schmuddelkinder. Und er wählt auch nicht links, sondern CDU und fährt nicht Fahrrad, sondern Daimler.

 

 

Gelähmte Politik wird urplötzlich mobil

 

Wie viel an Unerledigtem im politischen Raum wird andauernd liegen gelassen, aufgeschoben, verdrängt und heruntergespielt, während gleichzeitig die Spannung in der Welt, in den politischen Systemen und mit den Verwirbelungen des Weltklimas ansteigt. Die Atmosphäre rebelliert schon. Ihr Kippen hat längst angefangen, die Zeit dürfte knapp werden für eine noch zeitige Umkehr. Auf der 'Steinplatte' ist heuer noch nichts mit Skilaufen.

 

Menschen in Stadt und Land wurden zu Binnenstrukturen des globalisierten Finanzkapitals. Die Stadtarchitekturen sind im Griff gesichtsloser Investoren ohne Identität, während die Leben der Privathaushalte unter das Regime der auch noch die letzten natürlichen Verhältnisse durchdringenden Großkonzerne geraten sind und in der Gesamtrechnung der Steueroptimierungspraktiken eine schmal gewordene Existenz fristen. Die transnationalen Wirtschaftsimperien betreiben, wider die demokratische Selbstbestimmung, allein um ihrer Gigantomanie willen, ein monopolyähnliches Spiel. Monster wie Google, Facebook, Microsoft und Apple (um nur die prominentesten Symbole anzuführen) machen - unter einhelligem Mittun von NSA und britischem GCHO-Knoten in Cornwall - die Steuerung und Überwachung der früheren Bürgergesellschaften perfekt. Aufspaltung und Abbau jener Kraken wäre an der Zeit, zumal sie in jedem Land voll steuerpflichtig werden sollten. Kürzlich lasen wir, dass in der Prestige-Ruine Kassel-Calden „rund 300 Mill. Euro“ versenkt wurden ('Weniger Fluggäste als erwartet', FR 13.12.2014) - ein Betrag mit dem das hessische Bildungssystem komplett renoviert, völlig erneuert und qualitativ in höchste Gefilde hätte geführt werden können.

 

Und da fielen weite Teile unserer bühnenbretterreifen politischen Vertreter jetzt diffamierend über Ramelow her - nach dessen Wahl zum ersten linken Ministerpräsidenten - nur allein, weil er ein Linker ist, und somit ein ganz Böser für das Milieu des deutschtümelnden Lagers, des Juste-Milieus, dem allein Besitzreligion und Ruhe verbürgende Sekurität erste Bürgerpflicht ist – und schneiden ihn anschließend im Umgang noch als Person beim Treffen der Ministerpräsidenten kurz nach der Wahl, „zeigen...dem Linken die kalte Schulter“ (FR 12.12.2014). Damit macht die Politik der Berliner Koalition sich ernsthaft lächerlich und degradiert sich selbst.

 

Nicht dass dieses oder jenes, auch Grundsätzliches, an einer politischen Richtung – und zwar jeder – nicht durchaus auch kritikwürdig wäre. Haben denn nicht alle Milieus ihre Leichen im Keller, ihre Schwachheiten auf Lager, wie auch Verblendungen parat? Kritik muss wenigstens Niveau haben, muss unbestechlich sein, schonungslos auch gegenüber dem eigenen Lager. Politik sollte sich nicht nur auf die politische Eigeninteressenvertretung und die Vertretung der Lobbyanmaßungen beschränken und konzentrieren, sondern zum offenen, schöpferischen Prozess werden. Wir erleben aber lange schon: Politik ist nichts für unabhängige Geister, für Pioniere, Andersdenker, sondern eher etwas für die schlicht und recht unkomplex eingerichteten Gemüter. Politik, schlage dich im Diskurs, aber schlage dich, ohne Sprechblasen zu produzieren!

 

Mit der beim Ministerpräsidententreffen am 11.12. erfolgten Missachtung und dem Schneiden von Ramelows Person, nur aus dem unterschobenen Grund: er stehe - obwohl er eine westliche Selbstschöpfung ist – doch noch mit der alten SED-Riege im Bunde, kämpft eine sonst methodisch eher Langeweile und Überdruss erzeugende Berliner Politik plötzlich Kämpfe der Vergangenheit, Scheingefechte und Spiegefechtereien, Grabenkämpfe von gestern und vorgestern.

 

Im Gegenzug könnte eine durch die Medien informierte Öffentlichkeit darauf hinweisen, dass Hitler und der Nationalsozialismus womöglich nie so ganz überwunden und ein für allemal abgefertigt wurden, nachdem Adenauer die Entnazifizierung in voller Absicht und mit Konsequenz beendet hatte, und zwar aus machtpolitischen Gründen: weil er Wahlen gewinnen wollte. „1949 wird die BRD gegründet. Gleich in seiner ersten Regierungserklärung macht Bundeskanzler Adenauer klar, dass er die Entnazifizierung durch die Aliierten beenden wird“. - „Adenauer selbst ist kein ehemaliger Nationalsozialist, ihm ging es um die Macht. Deshalb buhlte er um die Gunst der Deutschen.“ - „Den Ton gaben die Nazis an, die Volksgemeinschaft, die brachte eben Wählerstimmen, auf die wollte man nicht verzichten“. (Zitate aus 'Akte D', 1/3/Sprecher, ARD 13.10.2014)

 

Es gibt von Ramelow durchaus merkwürdige und in menschenrechtlicher Hinsicht fragwürdige Relativierungen der indiskutablen DDR-Realität, die - unserer Einschätzung nach - mit einer oppositionellen Verblendung der Linken im Sinne von antiwestlicher In-Gegensetzung verknüpft sind. Das ist ein Erbe, das sich meldet, wenn im politischen Feld Machtlosigkeit in eigener, hier linker, Sache vorherrscht und dagegen ein verbaler Gegen-Knüppel zum Einsatz kommen soll. Wer damit nicht zurecht kommt, sollte die Partei Die Linke einfach nicht wählen. Die Demokratie muss geringere mentale Entgleisungen, die einzelnen Parteivertretern eigen sein können, aushalten. Verwirrende verbale Verirrungen sind leider im Menschlichen wie Politischen gang und gäbe.

 

 

 

Linke Stärken, aber auch Fragwürdigkeiten

 

Die Linke ist unverzichtbar im politischen Konzert, weil sie den Entrechteten, Entwürdigten und Abgehängten unseres Gemeinwesens eine Stellvertretung gibt und den Finger auf diese immer noch offene Wunde legt. Keine Partei sonst macht diesen Job. Es käme einem gesellschaftliche Bankrott gleich, wenn es eine Partei, die sich des größten Skandals - seit dem Ende der Nachkriegszeit - annimmt, nicht gäbe. Zumal, da die Spaltung der Gesellschaft durch die Politik - vor allem seit Gerhard Schröder - konsequent und maßgeblich bewusst vorangetrieben wurde (die Basis dafür war im anglo-amerikanischen Wirtschaftsmodell gelegt, es wurde von Schröder dämlicherweise gleich einer neuen Heilslehre kopiert). Niemand, der noch halbwegs im natürlichen Zustand blieb, kann sich mit diesem Skandal, der unnötiges Leid in die Familien gebracht hat, jemals abfinden; zumal auch in politischer Stellvertretung der hiervon betroffenen Nachkommen, die dann noch mit mangelhaft organisierten und minder ausgestatteten Schulen gestraft werden.

 

Der Prozess der Entwertung und Herabstufung einer der bewährten Realwirtschaft dienenden Arbeit war kein Naturgesetz, sondern war gewollt, auch wenn er durch Dilettantismus verstärkt wurde. Es ist schändlich, was aus der Werte schöpfenden Gesellschaft durch Schröders Masche, auf dem Arbeitssektor im europäischen Maßstab einen Unterbietungswettbewerb zu initiieren und gleichzeitig die Finanzmärkte zu deregulieren, geworden ist. Schröder hat große Teile der Gesellschaft, die ihn 1998 für eine gerechtere, ökologischere, unmittelbarer an den Menschen der ehrlichen Arbeit angelehnte Politik gewählt hatten, fallen gelassen, aufgegeben - preisgegeben! Er übergab sie den Preisunterbietern, um dann den Konzernkapitänen als großer Held und Kanzler der Bosse entgegen eilend entgegen zu grinsen! Das hat die Gesellschaft nicht nötig gehabt, dass einer so hintenherum daherkommt und arbeits- und sozialpolitisch verbrannte Erde macht!

 

Sozial- und arbeitsmarktpolitisch ist die Linke unverzichtbar. Diejenigen, die heute nicht mehr wählen gehen, haben früher oft SPD gewählt; sie wählen jetzt in geringen Teilen links - oder gar nicht mehr.

 

Außenpolitisch ist die Linke aber eine nicht ganz für voll zu nehmende Partei. Durch unmittelbare Empathie für die Gequälten dieser augenblicklichen Welt, denen auch so etwas wie – um es prägnant zu sagen - Entsatz zuzugestehen ist, also Rettung aus Gefahr und drohender Auslöschung, ist sie noch nie aufgefallen. Vielmehr scheint sie die Gepeinigten im Regen stehen lassen zu wollen, um ihrer selbstbezüglichen und selbstgerechten fundamentalistischen Moral zu dienen. Allerdings ist die heutige westliche Art dazwischen zugehen, äußerst kritisch zu sehen. Zu plädieren ist für eine immer gleichzeitige zivile Konfliktbewältigung unter Einsatz großer Mittel.

 

Die Rechtfertigung von Unwehrbarkeit in der Not ist subaltern und einer linken Tradition unwürdig. Marx hätte seine Nachfolger als kleines Geschlecht bezeichnet. Biermann lag insofern richtig, als er sie als so etwas wie eine der letzten Truppen eingestuft hat. Wer dem Profit auf Kosten des Lebens von Menschen überzeugend entgegentreten will, braucht eine Sprache und Dimension, die möglichst frei ist von Politdeutsch, Polittechnik und Fundi-Gehabe. Der Grundkonflikt in der Welt ist übrigens nicht der zwischen Kapitalismus und Sozialismus, sondern einer zwischen Demokratie und Despotie, wobei die Despotie sehr unterschiedliche Gesichter annehmen kann.

 

Hinzu kam jetzt auch noch die degradierende Putinerei durch die Partei der Linken, ihre sentimental romantische Nähe zu einem Despoten, der in ihrem schrägen globalen Weltbild als der Fels in der Brandung gegen den Westen von Wichtigkeit ist. Weil die linke Bewegung machtlos ist, begibt sie sich teils in die antiwestliche Contra-Ecke, unter das Dach bzw. in die Nähe eines Vertreters der Demokratur. Putin ist ihr Faustpfand gegen den Westen, er, der Kritikerinnen und Kritiker auf öffentlichen Plätzen sofort nach dem Standpunktabgeben vor laufender Kamera auf der Stelle arretieren lässt.

 

Zu erinnern sei – Kenner sind vertraut - an den immer noch zuständigen deskriptiven Begriff der asiatischen Despotie Leo Koflers (eines durchaus orthodoxen Marxisten) und desgleichen auch eines Rudi Dutschke (der auf offener Szene von den Dogmatikern ausgebremst wurde, mit Folgen bis heute). Der Westen ist bestimmt so wie er sich darstellt, nicht der Weisheit letzter Schluss, z.B. wenn Investmentbankerinnen den Occupy-Demonstranten mit Champagnergläsern schadenfreudig zuprosten, weil sie ja eh´ chancenlos sind und von der Polizei gleich eingesammelt werden - aber: im Westen liegen immer noch die überlegenen, nicht verschlossenen und noch nicht vereitelten Alternativen, sofern sie nicht dogmatisch und verkrampft, sondern mit Phantasie und Verstand aufgegriffen und verfolgt werden.

 

Die Konflikte in den scheiternden Staaten der Welt sind nicht hauptsächlich – wenngleich auch schon – Folge der Machenschaften des kapitalistischen Westens, sondern haben ihre Wurzel in der 'geistesgeschichtlichen' Reaktionsbildung (als Fundamentalismus) auf den globalen Prozess der wachsend eingeforderten Autonomie und Selbstbestimmung von aufgeklärten Menschen gegen die unhaltbaren gesellschaftlichen Systeme und Traditionen ihrer Länder.