'30 Jahre Antifolterkonvention – 30 Jahre gebrochene Versprechen?' - Podiumsdiskussion anlässlich des Tages der Menschenrecht durch ai am 10.12.2014
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Manche Dinge brauchen ihre Zeit. Zeit zum Durchdenken und Formulieren. So ging es der Redaktion mit der Berichterstattung über die obere Veranstaltung, die wir gründlich reflektiert haben. Die Redaktion
Zu den Sonderwirtschaftszonen der Steuerhinterziehung – Folge der ausgeweiteten informellen Praktiken in staatlich geförderten Grauzonen - gesellen sich nunmehr längst auch Sonderterritorien für die 'Offshore-Folter', geleitet von Sonder(aus)gründungen ('Outsourcing') im boomenden Sektor entstaatlichter Militär-Ökonomie, womöglich gar nicht weit von unseren schmucken Siedlungen und wohlgefühligen Lebensräumen entfernt tätig. Die Bezeichnung Folterknecht hat eine Renaissance erlebt und ist damit im Rückgriff auf das Mittelalter wieder zu neuer Karriere gelangt.
Folter nicht unbedingt auf dem Rückzug
„Folter wird heute von allen Staaten der Welt offiziell geächtet. Dennoch finden 30 Jahre nach Verabschiedung der Antifolterkonvention in der Mehrzahl der Staaten Folter und Misshandlung statt...“ (Exposition von Amnesty-International zur Ankündigung des Themenabends)
Eine Verrohung der Gesellschaften ist weltweit im Vormarsch. Im Familienverband macht man sich Gedanken, in welcher Welt unsere Nachkommen wohl werden leben müssen. Alles noch Feste und Stehende, die humanitären und Fairness einhaltenden Verbindlichkeiten kommen ins Rutschen. Grund für den Niedergang des Zivilgesellschaftlichen ist eine rücksichtslos vordringende, vom Wachstumsdiktat getriebene Ökonomie, die sich Biosphärengebiete und Artenrückzugszonen - altmenschliche Kultur eingeschlossen – unterwirft, mit unrückholbaren Folgen für Tiere, Menschen und Ressourcen.
Der gierige Blick fällt auf alle Gegenständlichkeiten und Verhältnisse und will sie sich krallen. Die geringen Perspektiven menschlicher Neuankömmlinge begünstigen mehr und mehr die Bildung neuartiger mörderischer Sekten, sobald die Möglichkeit günstig ist - Reaktion auf den Verlust von kulturellen Hege- und Begünstigungsräumen. Die Distanzen und Rücksichtnahmen, die die Raubrasse Mensch als 'Krone der Schöpfung' bislang immer noch begleiteten, nehmen anscheinend ab.
Der Report des Senats vom 9. Dezember 2014 hat zu den in der Tagespresse ohnehin bereits gemeldeten Foltertatbeständen nochmals einen Schlag draufgesetzt, nämlich das, was unter der euphemisierenden Vokabel der „erweiterten Verhörmethoden“ durch die US-Regierung mehr oder weniger verdeckt mit Staatsrang zur Rechtswirksamkeit gelangte. Als Schaltstelle für die aus dem Programm hervorgegangenen Gräueltaten fungierte der CIA. Obama hat zu Beginn seiner Amtszeit die Folterpraktiken abgestellt, wer weiß ob sie unter einer republikanischen Regierung nicht wieder aus der Versenkung geholt werden? Die Republikaner haben sich zu einer unfassbaren Kaste der Liquidatoren der menschlichen Gemeinschaft gemausert. Sozial-Paranoia und Sozial-Phobie werden immer mehr zum Thema in den USA, dem Land der sich entzweienden Gesellschaft. Eine solidarische Krankenversicherung gilt Republikanern allein schon als Grundübel schlechthin.
Zur Ungeheuerlichkeit im Weltbewusstsein avancierte seit einigen Jahren schon der Begriff und die Praxis des „Waterboarding“; jetzt hörte man näher noch von: „Schlafentzug von bis zu einer Woche“, „Gefangenschaft in Kisten“; man sieht sich in Atmosphären aus Dantes Groß-Prosa-Poem, Abschnitt 'Inferno', bzw. „Die Hölle“, versetzt. („Report dokumentiert die brutalen 'erweiterten Verhörmethoden' des Geheimdienstes / Bush verteidigt Folterpraktiken“, so untertitelte die FR am 10.12.2014).
Die Qualen wurden noch in die Bereiche des Unaushaltbaren getrieben, da die Meldung vom wochenlangen Foltern und Gegen-die-Wand-Schleudern von Verdächtigen stimmen dürfte. Aber die Kreaturen, die dies verüben, kennen keine Gnade, sie sind abgrundtief verblendet und erkennen nicht, dass wenn ein Staat foltert, er nur die weiteren Steigerungen und Ausdehnungen von Gewalt – wiederum auch als Gegengewalt - befördert. Aber das ist diesen Räudigen, die aus dem Inferno entstiegen, nur recht. Abgesehen von der Zerrüttung der Rechtskultur, die in alle Rechtsräume hineinwirkt, dürfte aber Recht an sich ihnen ohnehin Terra incognita sein.
Amnesty International informierte, BZFO auch
Dr. Vedrin Šahovi?aus der 'Arbeitsgruppe gegen Folter' von Amnesty International berichtet, dass zwar in 30 Jahren 156 von 196 Staaten die Antifolterkonvention verabschiedet haben, aber dennoch Folter in 141 Staaten begangen wird, insgeheim, nicht offiziell befürwortet und ohne darüber irgend etwas zu verlautbaren.
Das Spektrum für Folter ist unbegrenzt: Misshandlungen (auch Polizeistationen kommen dafür in Betracht), Vernachlässigung, Androhung von Gewalt, Drohungen gegen mittelbare und unmittelbare Angehörige, Elektroschocks, Aufhängung ('Papageienschaukel'). Psychologische Folter ist: Isolationshaft, Schein-Hinrichtungen, sexualisierte Foltermethoden. Die psychologische Folter nimmt zu: 'wir holen Vater', 'informieren Umgebung'; das Bloßstellen, Versuche, eine angedrohte Entehrung infam auszuschlachten (Aussage hierüber wird üblicherweise zurückgehalten). Mit zum Schlimmsten gehört auch die Zeugenschaft von Folter: hilfloses Mitansehen und Danebenstehen, während gefoltert wird - als eine Methode des Weitertreibens.
Dr. Wolfgang Heinz vom Deutschen Institut für Menschenrechte, Berlin erläutert, dass der Chance, Folter einzudämmen, bereits wirkungsvolle Rechtsmittel zur Verfügung stehen durch die angenommene Verpflichtung der Staaten, bei Verdacht und Kenntnissen über Folter Zugang zu einer jeden betroffenen Person zu geben, Zugang auch zu Dokumenten und Aufzeichnungen zu ermöglichen sowie unangemeldete Kontrollen zu jeder Zeit, an jedem Ort durchzuführen. Zuständig für die rechtliche Aufarbeitung ist der 'Europäische Gerichtshof für Menschenrechte' in Straßburg.- Darüber hinaus sind weiter entfernte Länder wie Nigeria, Usbekistan, Eurasien ohnehin, aber auch die Philippinen im Hinblick auf Folterpraxis als identifiziert einzustufen.- Der Mai 2014 war ein Monat der Antifolterkampagne.
Eine großes Hemmnis für die Universalisierung der Ächtung von Folter ist die Überhöhung des Blicks auf die Täter, die diabolisch überfrachtet werden, mit der Folge von Sicherheitswahn, unspezifischer Furcht vor Terror, einer gefühlten Unkalkulierbarkeit von als sehr gefährlich eingestuften Tätergruppen - Haltungen, die staatliche und behördliche Repräsentanten einzunehmen neigen. 'Innenminister und Staatsanwalt haben sich umgesehen und haben gesagt: das war 'ok' (gemeint ist die 'besondere Behandlung'), eine Formel, die auch für Bush, die CIA und die regierungsnahen Medien von vornherein Geltung haben dürfte, – damit ist der Überreaktion auf ein nur Gefühltes Tür und Tor geöffnet.
Zu Bewusstsein gelangt war dem aufmerksamen Beobachter schon vor Jahren die so unerlässlich nötige, die Fakten erhebende, sodann auch Pflege und Nachsorge leistende Behandlung der Folteropfer, der Umgang mit ihrem Leid, durch das außerordentlich verdienstvoll arbeitende 'Behandlungszentrum für Folteropfer (BZFO), Berlin.
Dr. Mechthild Wenk-Ansohn (BZFO) setzt damit an, dass das Zentrum die betroffenen Menschen erst viel später in den Blick bekommt, erst, nachdem auch Hämatome schon abgeklungen sind. Die Aufgabe, die sich das Institut seit 1992 stellt, ist das Dokumentieren, das Aufnehmen und Begutachten der Anzeichen für Folter und die Bearbeitung der lange nachwirkenden Folgen für die Betroffenen; es braucht auch des psychologisch-physiologischen Befunds, der forensisch verwertbar ist. Immer bleibt aber Motto: Hinweis, nicht Beweis schlechthin, ist zu erbringen. Bekommt ein Mensch die Arme nicht hoch, dann ist der Hinweis auf Aufhängung (s.o) sehr zwingend. Sind Verhaltensänderungen als gegeben zu erkennen? Gibt es Anzeichen für eine post-traumatische Belastungsstörung? Das Institut behandelt ambulant Erwachsene, Kinder, Jugendliche und Frauen - eigenst -, sorgt für Rehabilitation und behandelt die langfristigen physischen und psychischen Folgen von Folter, schafft auch die Grundlagen für Klagen und Forderungen nach Entschädigung.
Folgen der Folter bleiben lange erhalten: Depression, Rückblenden, Scham, schwere Träume, Suizidgedanken - Bilder sitzen fest. Syrien und Umgebung ist zur Zeit Brennpunkt grausamster Foltermethoden, die schwer zu beschreiben sind. Ein hoher deutscher Politiker aber ließ durchblicken, dass ein kleines bisschen Folter doch vielleicht gar nicht so unangebracht sei; er dürfte damit nicht alleine stehen. Das 'Supergrundrecht' auf Sicherheit hatte Innenminister Friedrich schon ausgerufen. Die totalitären Systeme, die keineswegs auf dem Rückzug sind, lassen mitten in der behäbigen Demokratie aus fragwürdigen Fernen grüßen. Das BZFO betreut jetzt auch traumatisierte Folteropfer aus arabischen Staaten durch Therapie über das Internet.
Eine wachsende Gefahr in der augenblicklichen Situation ist die unterbleibende Strafverfolgung, die faktische Straffreiheit für Fälle von Folter oder 'folterähnlichen' Praktiken. In Ägypten wurde Folter wieder salonfähig. In dieser Hinsicht zweifelhafte Länder liegen auch in oder nahe Europas: Griechenland, Türkei, Italien, Ungarn, Bulgarien; zumal, was die Umstände beim Eintritt nach Europa betrifft, herrscht Unhaltbarkeit vor. Das Grenzregime (Frontex, von Warschau aus gelenkt, Außenposten ohnehin auch für die USA) ist Ausübungsinstanz für Verstöße gegen Menschenrecht. Erniedrigungen und Quälereien finden im gegenwärtigen Grenzregime statt (wie Filmausschnitte in den öffentlichen Sendern zeigten). Es wird, von wem auch immer, geschlagen, Hunde werden auf Menschen gehetzt, es gibt Schläge mit Elektro, herabsetzende Leibesvisitationen und entwürdigendes Ausziehen. In vielen Ländern haben sich promilitärische Gummigeschosse durchgesetzt.
Das wirkungsvollste Mittel, der weltweiten Folter zu begegnen, ist Öffentlichmachen von Folter, in Berichten und Erklärungen verbreitet. Eingedämmt werden können bestimmte Praktiken der Misshandlung aufgrund von polizeilich begleiteten Abschiebeflügen, u.U. auch von lokalen Menschenrechtsgruppen vorgenommen. Kleine Menschenrechtsgruppen bilden einen aufsuchenden Beobachtungskreis, der schnell Alarm schlagen kann.
Problem ist mangelnde Strafverfolgung
Das größte Problem für die Verhinderung von Folter ist die Straflosigkeit aufgrund stillschweigender Duldung in vielen folternden Staaten. Unter dem Slogan „Kampf gegen den Terror“ ist das Foltern erneut massiv wieder vorangeschritten, es erscheint quasi legitimierter. Es ist auch eine durchaus willkommene Möglichkeit, wieder in älteste Bräuche zurückzufallen. Von der Steinzeit in den Weltraum und wieder zurück in die Steinzeit (Entschuldigung Steinzeit!). Durch das schweigende Dulden staatlicher Gewalt, die sich als Gegengewalt tarnt, kommt es zur krebsartigen Ausbreitung eines Recht
verletzenden Handelns in Staaten.
Wenn der Staat anfängt, ein gegen geltendes Recht verstoßendes oder einfach nur ein ihm unliebsames Verhalten mit widerrechtlichen Mitteln zu bekämpfen, dann ist auf Dauer kein Halten mehr. Dann droht der Damm zu brechen. Auf lange Sicht ist dann ein jeder versucht, Recht zu brechen, bzw. das Recht nach eigenem Gutdünken in die Hand zu nehmen. Wenn zu viele Male in gegen Recht verstoßender Weise durch Staaten gehandelt wird, dann kann durch das Tor, das zunächst nur spaltweise geöffnet war, irgendwann die Flut hereinbrechen.
Fotos: (c) ai
INFO:
https://www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=hhsooTbU8zI
(Dirk Müller über die Foltermethoden der CIA... 10.12.2014 – die Bananenrepublik)
[es geht auch um Überwachung und Zensur in den (noch) freien Staaten]
'Stop Folter' , 30 Jahre Antifolterkonvention – 30 Jahre gebrochene Versprechen?
Mittwoch, 10.12.2014 19.30 im Haus am Dom, Domplatz 3, 60311 Frankfurt am Main
Diskusssion durch: Dr. Wolfgang Heinz, Deutsches Institut für Menschenrechte, Berlin
Dr. Mechthild Wenk-Ansohn, Behandlungszentrum für Folteropfer, Berlin
Dr. Vedrin Šahovi?, Amnesty International, Arbeitsgruppe gegen Folter