Serie: Neuer Streit um das Fritz-Bauer-Institut (FBI), Teil 9 : Der eigentliche Konflikt: Werner Renz über den Auschwitz-Prozess und dessen Initiator

 

Kurt Nelhiebel

 

Bremen (Weltexpresso) - Der Leiter des Archivs und der Dokumentation des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt am Main, Werner Renz, hat im Laufe der Jahre eine Reihe von Aufsätzen über den Auschwitz-Prozess und dessen Initiator Fritz Bauer veröffentlicht, die nach seinen Worten auf „erwartbare Kritik“ gestoßen sind.

 

Seit kurzem gibt es eine öffentliche Diskussion über den Umgang des Fritz-Bauer-Instituts mit seinem Namensgeber. Um was es dabei unter anderem geht, verdeutlicht ein kurzer Überblick über einige Aussagen von Werner Renz.

 

Betrachte man den Ausgang des Verfahrens und erörtere man Sinn und Zweck staatlichen Strafens in NS-Prozessen überhaupt, falle das Fazit nicht gerade positiv aus, schrieb Werner Renz 2005. Auf die Frage, ob es hinsichtlich der NS-Täter in der bundesrepublikanischen Gesellschaft überhaupt ein Strafbedürfnis gegeben habe und ob der Rechtsfriede gefährdet gewesen wäre, wenn die „Handlanger“ unbestraft geblieben wären, während die „so genannten Kriegsverbrecher“ längst vorzeitig begnadigt und entlassen gewesen seien, auf diese Frage könne es „nur ein klares Nein geben“.

 

Fraglos seien die angeklagten Auschwitz-Täter allesamt Mitwirkende an der Massenvernichtung gewesen. Sie hätten „auf der letzten Stufe des vom deutschen Verbrecherstaat initiierten Vernichtungsgeschehens“ gestanden, „das andere an viel maßgeblicheren Stellen konzipiert, koordiniert, organisiert und exekutiert“ hätten. Die Gefahr eines Rückfalls in staatlich befohlenes kriminelles Verhalten habe bei den sich (inzwischen) untadelig verhaltenden wohlintegrierten und unauffälligen Staatsbürgern ebenso wenig bestanden, wie der Verdacht mangelnder Rechtstreue.1

 

2009 behauptete Renz, für den Strafrechtsreformer Fritz Bauer sei es gewiss nicht akzeptabel gewesen, dass Auschwitz-Angeklagte mehr als fünf Jahre in Untersuchungshaft gesessen hätten. Die Frankfurter Staatsanwälte hätten einen wichtigen Beitrag zur Historiografie von Auschwitz geleistet. Ob der Auschwitz-Prozess, wie Bauer emphatisch erhofft habe, den Deutschen Lehren erteilte, sei strittig. Bauers aufklärerischer Impetus, sein aus Humanismus, aus seinem Menschenglauben geschöpfter volkspädagogischer Ansatz, hätten ihn dies leidenschaftlich hoffen lassen. Man sei freilich geneigt, „die Sache nüchterner zu betrachten“.2

 

2010 kritisierte Werner Renz unter der Überschrift „Mediale Missgriffe“ den mit dem Prädikat „Besonders wertvoll“ ausgezeichneten Fritz-Bauer-Film „Tod auf Raten“ von Ilona Ziok. Darin kämen Ausführungen von Protagonisten vor, die einer Überprüfung nicht stand hielten. Unter anderem stieß er sich der Aussage eines Zeitzeugen, der ehemalige Nazijurist Eduard Dreher sei Drahtzieher einer „Amnestie durch die Hintertür“ zugunsten von NS-Verbrechern gewesen. Was der Film als unbestrittene Erkenntnis verkünde, sei eine mögliche Auffassung – nicht hat mehr. Nach Ansicht von Strafrechtlern und Rechtspolitikern habe es sich um ein „durchweg gutgeheißenes Reformvorhaben“ gehandelt.3

 

2011 schrieb Werner Renz, zwei Mythen verstellten den sachlichen und nüchternen Blick auf den Frankfurter Auschwitz-Prozess. Da sei zum einen der Mythos Fitz Bauer, die verklärende und überhöhende Darstellung der Rolle des hessischen Generalstaatsanwalts hinsichtlich der Konzeption des Auschwitz-Verfahren, und da sei zum anderen der Mythos der volkspädagogischen Aufklärung durch NS-Prozesse. Bauer habe das Verfahren gegen den Willen der Frankfurter Staatsanwaltschaft nach Frankfurt geholt. Für deren Unwilligkeit hätten durchaus gute Gründe vorgelegen. Der Verbrechenskomplex Auschwitz habe sich bei der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg in guten staatsanwaltschaftlichen Händen befunden. Die wiederholt zu lesende Feststellung, ohne Bauer hätte es den Auschwitz-Prozess nicht gegeben, sei „demnach ins sachgerechte Licht zu rücken“.4

 

2012 erinnerte Renz daran, dass Fritz Bauer bereits vor dem Sieg über Nazideutschland volkspädagogische Überlegungen angestellt habe. Im „Stile eines Praeceptor Germaniae“ habe er dargelegt, dass das deutsche Volk eine Lektion im geltenden Völkerrecht brauche. Die Prozesse gegen Kriegsverbrecher müssten dem deutschen Volk die Augen öffnen für das, was geschehen sei. Doch so recht überzeugt von seinem „löblichen Vorhaben“ sei Bauer wohl nicht immer gewesen. Öffentlich habe er sich meist voller Hoffnung auf einen Wandel zu Wort gemeldet, insgeheim habe er die Situation viel pessimistischer betrachtet. „Bei sich selbst diagnostizierte er eine intellektuelle, um der Sache willen gleichwohl erkennenden Auges praktizierte ‚Schizophrenie’“ Bei aller moralischen und rechtlichen Notwendigkeit, die Verbrechen zu ahnden, dürfte Bauer im Falle der NS-Täter „nicht frei von Gewissenszweifeln gewesen sein“.5

 

 

2014 schrieb Werner Renz, gemeinhin würden Fritz Bauer und der Frankfurter Auschwitz-Prozess in einem Atemzug genannt. Die ‚Strafsache gegen Mulka u. a.’ vor dem Frankfurter Landgericht habe jedoch ohne Bauer stattgefunden. Fotos vom Eröffnungstag zeigten Bauer unter dem Publikum. „Offenbar wartete er darauf,. . . dass der Strafprozess, der den Deutschen, so Bauers patriotische Hoffnung, eine ‚Lehre’, eine ‚Lektion’ werden solle, endlich beginnen könne.“ In der Hauptverhandlung komme Bauer nicht vor, in der Vorgeschichte des Verfahrens habe er aber eine wichtige Rolle gespielt.6

 

Im Jahr davor hatte der Leiter der Dokumentation des Fritz-Bauer-Instituts, das sich nach eigenem Bekunden dem geistigen und politischen Erbe Fritz Bauers verpflichtet fühlt, das Vorwort zur Neuauflage eines Buches über den Auschwitz-Prozess verfasst, in dem er sich selbst den Hinweis auf Bauers Rolle in der Vorgeschichte des Verfahrens erspart. Fritz Bauer kommt dort überhaupt nicht vor. Nicht einmal dass der hessische Generalstaatsanwalt 1968 auf ungeklärte Weise zu Tode kam, hält Renz für erwähnenswert, dafür erfahren die Leser von ihm, dass der letzte der Angeklagten im Auschwitz-Prozess 2012 verstorben ist.7

 

 

1 Täterexkulpation und Opfergedenken, Newsletter des Fritz-Bauer-Instituts Nr. 27 / 2005

2 (Un-)Begründete Selbstkritik, Überlegungen zu einer skeptischen Bilanz Fritz Bauers, Tribüne, Heft 190, 2.Quartal 2009

3 Mediale Missgriffe – Fritz Bauer im Dokumentarfilm, Einsicht 04 / 2010, Fritz-Bauer-Institut.

4 Der 1. Frankfurter Prozess 1963-1965 und die deutsche Öffentlichkeit. Anmerkungen zur Entmythologisierung eines NSG-Verfahrens,, in: NS-Prozesse und deutsche Öffentlichkeit, Hg. Jörg Osterloh und Clemens Vollnhals, Vandenhoek & Ruprecht, 2011.

5 Fritz Bauer zum Zweck der NS-Prozesse. Eine Rekonstruktion, Einsicht 07/2012, (Publikationorgan des Fritz-Bauer-Instiututs)

6 Fritz Bauer und der Frankfurter Auschwitz-Prozess, in: Fritz Bauer. Der Staatsanwalt. Campus Verlag, 2014.

7 Vorwort aus: Bernd Naumann, Der Auschwitz-Prozess, CEP Europäische Verlagsanstalt, 2013.