Abgestürzt! Über den Zustand der Antisemitismusforschung in Deutschland, Teil 3

 

Matthias Küntzel

 

Hamburg (Weltexpresso) – Nun aber zurück zur ZfA-Studie „Antisemitismus als Problem und Symbol“. Hier schlägt das antiisraelische Vorurteil auf dreierlei Weise durch:

 

Erstens lehnt die ZfA-Studie die ansonsten übliche Unterscheidung zwischen legitimer Kritik an der israelischen Regierung und antisemitischen Antiisraelismus ab. An deren Stelle tritt die Dreiteilung in „Israelkritik“, „Antizionismus“ und die schließlich hiervon zu unterscheidenden „antisemitischen Phänomene“, die die Studie, wie bereits angemerkt, „grundsätzlich als negatives Verhältnis gegenüber Juden als Juden (und nicht gegen Israel, Israelis oder israelische Staatspolitik)“ (69) definiert.

 

Zweitens lehnt das ZfA-Papier Gruppenfahrten nach Israel ab. „So sinnvoll Schul- und andere Partnerschaften zwischen Deutschland und dem Ausland im Allgemeinen sind, so problematisch ist dies im Verhältnis zu Israel“, schreiben die Autoren. Dies gelte speziell dann, wenn solche Fahrten eine Zurückdrängung des Antisemitismus intendierten. Denn derartige Begegnungsprojekte, heißt es weiter in der Studie, „könnten bei jugendlichen Teilnehmenden ungewollt eine Gleichsetzung der Kategorien ,Israelis‘ und ,Juden‘ befördern“(69), was aber gemäß der oben postulierten Unterscheidung zu vermeiden sei.

 

 

Paternalistischer Rassismus

 

Drittens aber gibt sich der Bericht alle Mühe, den antisemitischen Israelhass unter Muslimen kleinzureden. Zwar kommt das ZfA-Papier nach Sichtung mehrerer Spezialstudien zu dem Schluss, dass „das Ausmaß von antisemitischen, antiisraelischen und antizionistischen Einstellungen und Meinungen … unter muslimischen jungen Leuten höher (ist) als in nichtmuslimischen Bevölkerungsteilen.“(89) Hierbei habe sich, so weiter, der „israelisch-palästinensische Konflikt … als der zentrale Kristallisationskern“ derartiger „Haltungen bei muslimischen Jugendlichen“ erwiesen.

 

Gleichwohl lehnen die Autoren die Kategorie „junger Muslim“ oder die Bezeichnung „muslimischer Antisemitismus“ als „problematische soziale Konstruktion“ ab, wie Michael Kohlstruck in einem Interview betont: „Die Adressierung eines besonderen Antisemitismus unter jungen Muslimen ist nicht gerechtfertigt“; staatliche Förderprogramme, die „bestimmte Bevölkerungsteile schon in der Programmformulierung als besondere Problemgruppen darstellen“, seien „politisch nicht sinnvoll.“[13]

 

Dessen ungeachtet listen die Autoren speziell für antisemitisch orientierte Muslime ein ganzes Sammelsurium an Entlastungsargumenten auf. So führen sie die „generalisierte Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden“ entweder „auf unmittelbare eigene leidvolle Erfahrungen bzw. auf Erfahrungen der Eltern- und Großelterngeneration im nahöstlichen Konfliktgeschehen“ zurück(89) oder aber auf „die Erfahrungen von tatsächlicher wie vermeintlicher Unterprivilegierung, Diskriminierung und Rassismus“(90). Antisemitismus habe bei Muslimen „einen Nutzen für die jeweilige soziale Selbstdarstellung und die politisch-weltanschauliche Orientierung“, er stelle für sie eine „subjektive Notwendigkeit“(90) dar.

 

In seiner bereits erwähnten Stellungnahme zur ZfA-Studie hat das American Jewish Committee diesen Umgang mit Muslimen zu Recht kritisiert. Die Autoren der Studie betrachteten Muslime „von oben herab als Opfer“ anstatt sie „als gleichberechtigte Staatsbürger in den Kampf gegen Antisemitismus ein(zu)beziehen.“[14]

 

In der Tat ist die Studie von Kohlstruck und Ullrich von einer Haltung durchzogen, die sich als „paternalistischer Rassismus“ bezeichnen lässt. Zugewanderte Araber und Türken, heißt es bei ihnen, seien „mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit bereit“, dem Antisemitismus entgegenzutreten (27). Schüler „aus Familien mit einer Migrationsgeschichte“ litten unter einer „migrantischen Distanz“, was das Interesse für deutsche Geschichte anbelangt (67), oder seien gar Opfer „rassistischer Ausschlüsse“(21), sobald es im Unterricht um den Holocaust geht. Irgendeine Begründung für derartige Zuschreibungen liefern sie nicht.

 

Doch auch die anderen Vorwürfe, die der AJC in seinem Kritikpapier erhebt, sind plausibel. In der ZfA-Studie werde, so der AJC, „der bundesrepublikanische Grundkonsens, der die Erinnerung an den Holocaust und die Ächtung des Antisemitismus umfasst (…), als hinderliches Problem definiert.“ „Am Ende der Lektüre“, heißt es hier weiter, „erscheint Antisemitismus weniger als relevantes gesellschaftliches Problem, sondern eher als ein Problem derjenigen, die sich gegen Antisemitismus einsetzen.“[15]

 

Nun ist das American Jewish Committee, wenn es um die Bekämpfung des Antisemitismus geht, kein Neuling aus der letzten Reihe. 1906 in den USA gegründet, um den Kampf gegen den Judenhass zu organisieren, ist es in dieser Hinsicht eine der wichtigsten Organisationen der Welt und zudem in Berlin seit vielen Jahren als Organisator von Bildungsprogrammen gegen den Antisemitismus engagiert.

Umso erstaunlicher die Unverfrorenheit, mit der das ZfA auf dessen Kritik reagiert: Die AJC-Kritik dokumentiere „ein systematisches Desinteresse für die Fragestellung der Untersuchung“, heißt es in der von Kohlstruck, Ullrich, Bergmann und Schüler-Springorum unterzeichneten Erklärung. „Insgesamt liegt der Kritik des AJC ein ungenügendes Verständnis der Unterschiedlichkeit der Aufgaben und Funktionsweisen von politischen Akteuren und wissenschaftlicher Forschung zugrunde.“[16]

 

Der oberlehrerhafte Duktus dieser Erwiderung ist durchaus amüsant, geriet doch die jüngste ZfA-Studie gerade deshalb zum Skandal, weil sie die so hoch beschworene „wissenschaftliche Forschung“ durch grobe politische Intervention diskreditiert.

Kohlstruck und Ullrich machen aus den politischen Prämissen, die ihre Studie prägen, keinen Hehl. Dass man den Antisemitismus unter Muslimen besonders thematisiere, „halten wir einfach für politisch nicht sinnvoll“, erklärt Kohlstruck.[17] Peter Ullrich geht mit seinem Bekenntnis, dass er „Jüdinnen und Juden nicht um jeden Preis als ,Volk‘ erhalten“ und sich „die Brille von deutscher ,Schuld und Erinnerung‘“ lieber heute als morgen vom Kopf reißen wolle, noch weiter. Derartige Politkonzepte aber haben die Resultate der Studie „Antisemitismus als Problem und Symbol“ mehr als alles andere geprägt.

Von einer Neuorientierung der ZfA kann dennoch keine Rede sein. Die Arbeit von Kohlstruck und Ullrich hat die Zentrumsarbeit nicht neu definiert, sondern das, was das ZfA seit Längerem praktiziert, prägnanter als üblich formuliert. Ein Beispiel liefert die Internationale Konferenz „Antisemitism in Europe Today: the Phenomena, the Conflicts“, die das ZfA aus Anlass des 75. Jahrestages der Reichspogromnacht am 8./9. November 2013 federführend organisierte. Fortsetzung folgt

 

 

HINWEIS:

 

Die Zahlen in herkömmlichen Klammern im Text beziehen sich auf die Seitenangaben der Studie (Michael Kohlstruck und Peter Ullrich: Antisemitismus als Problem und Symbol. Phänomene und Interventionen in Berlin, Heft 52 der Reihe Berliner Forum Gewaltprävention, Berlin 2014) beziehungsweise des Buchs (Peter Ullrich: Deutsche, Linke und der Nahostkonflikt. Politik im Antisemitismus- und Erinnerungsdiskurs, Göttingen 2013). Hervorhebungen sind jeweils die der Autoren.

Die Anmerkungen des Autors unten.

 

ANMERKUNGEN:

 

[13] M. Kohlstruck im Interview mit Radio Dreyeckland, 19. Februar 2015, auf: https://rdl.de/beitrag/antisemitismus-mehr-politisches-symbol-oder-doch-eine-h-ufig-verleugnete-realit-t .

[14] AJC weist Vorwürfe von Antisemitismusforschern zurück. Pressemitteilung des AJC vom 5. Februar 2015.

[15] AJC Berlin Ramer Institute for German-Jewish Relations, a.a.O., S. 4f.

[16] Zentrum für Antisemitismusforschung, TU Berlin, Stellungnahme zur Kritik des AJC an der Studie „Antisemitismus als Problem und Symbol. Phänomene und Interventionen in Berlin“, 12. Februar 2015.

[17] M. Kohlstruck, a.a.O. .

 

 

INFO:

http://www.matthiaskuentzel.de/contents/abgestuerzt-ueber-den-zustand-der-antisemitismusforschung-in-deutschland