Serie: ZUM 8. MAI 1945: Kapitulation und Befreiung, Teil 4: Die Sicht der Westalliierten
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Als am 7. Mai 1945 Generaloberst Alfred Jodl die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht im Obersten Hauptquartier der Alliierten Streitkräfte in Reims unterzeichnete, war es 2.41 Uhr nachts. Jodl war dazu von Karl Dönitz ermächtigt worden, der laut Hitlers Testament in Doppelfunktion Reichspräsident und Oberbefehlshaber der deutschen Wehrmacht war.
Allerdings sollte diese bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches erst Tags drauf, am 8. Mai um 23.01 Uhr in Kraft treten. Denn aus gutem Grund war den Russen eine Kapitulation Deutschlands gegenüber den Westalliierten nicht genug, hatte doch Jodl, ebenfalls im Auftrag von Dönitz versucht, mit England, Frankreich und den USA eine Teilkapitulation zu erreichen, an der Ostfront sollte es gegen die von den Nazis zum Hauptfeind erkorenen „Bolschewisten“ weitergehen. Zwar hatte US-General Eisenhower dies kategorisch abgelehnt und die dann von Jodl unterschriebene bedingungslose Kapitulation gefordert, aber Stalin ließ aus Moskau wissen, daß der Oberkommandierende der Roten Armee, Marschall Schukow die Kapitulationsurkunde mitunterschreiben müsse, weshalb für den 8. Mai abends eine erneute, eine zweite bedingungslose Kapitulation im sowjetischen Hauptquartier Berlin Karlshorst angesetzt wurde. Dazu mehr in unserer Serie am 9. Mai.
Im Symposium „Der 8. Mai im Geschichtsbild der Deutschen und ihrer Nachbarn“ sprach Gundula Bavendamm, die das AlliiertenMuseum in Berlin leitet, über „V-DAY oder D-DAY? WESTEUROPA und die USA“. Als erstes fiel auf, wie wenig darüber im normalen historischen Gedächtnis der Bundesbürger bekannt ist. Nein, daß die Franzosen zuerst an der deutschen Kapitulation – ebenfalls aus gutem Grund infolge des mit den Deutschen kollaborierendem Vichy-Regime des Marschall Pétain im Gegensatz zu dem nach London emigrierten de Gaulle und der Exil-Regierung - nicht beteiligt sein sollten, wußten die Anwesenden nicht. Die Franzosen haben deshalb die Kapitulationsurkunde auch nicht als Siegermacht, sondern als Zeugen unterschrieben.Seit dieser Zeit galten sie dann aber nach und nach als Siegermacht und wurden erst im Juli 1945 offiziell als solche in den Kreis der bisher Drei aufgenommen und blieben es, weshalb es dann vier Besatzungszonen in Deutschland und Österreich gab.
Frau Bavendamm stellte für alle drei Länder – die USA, Großbritannien und Frankreich – die wechselnde Geschichte des 7. Mai in der Nachkriegszeit dar, wobei hinzukommt, daß Dänemark und Holland den 5. Mai als Tag der Befreiung von den Deutschen feiern, Belgien und Norwegen den 8. Mai. Eine Sonderrolle spielten schon deshalb die USA, weil ihr Krieg gegen die mit den Deutschen verbündeten Japaner, die am 7. Dezember 1941 Pearl Habor im US-Bundesstaat Hawai angegriffen hatten, bis zur Kapitulation Japans am 2. September 1945 weiterging, weshalb der Zweite Weltkrieg korrekt erst danach zu Ende war und die USA für den 7./8. Mai 1945 vom VE-Day sprechen, also dem Victory in Europe Day.
Für die Amerikaner sei zudem der D-Day, die Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 als Auftakt der Westfront gegen das Hitler-Deutschland genauso wichtig oder sogar wichtiger. Vergleicht man beispielsweise die Anzahl von Filmen zu den beiden Themen: D-Day und VE-Day – Filme konstituieren das kulturelle Gedächtnis der Völker fundamental - so spricht alles für die grundsätzliche Bedeutung des Datums des 6. Juni 1944 als der Anfang vom Ende des Deutschen Nazireiches mittels amerikanischen Heldenmutes. Der Zweite Weltkrieg war zudem der letzte Krieg der Amerikaner, wo diese sich als Befreier vorkommen durften, weil sie es waren. Für die Vereinigten Staaten setzen sich – anders als im befriedeten Europa, wenn man den Indochinakrieg der Franzosen von 1946 bis 1954 und den anschließenden Algerienkrieg von 1954 bis 1962 nicht berücksichtigt – die Kriege selbstgewählt fort. Im Juni 1950 der Koreakrieg, für den erst im Juli 1953 ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet wurde und etwa ab 1955 für zwanzig Jahre der Vietnamkrieg, traumatisch für die USA bis heute.
Für Frankreich begann nach der Kapitulation Deutschlands eine schwierige innenpolitische Situation der beiden Lager, die einmal mit den Deutschen kollaboriert hatten und andererseits gegen sie gekämpft hatten. General de Gaulle war seit 1944 Chef der Provisorischen Regierung und wurde im November 1945 Ministerpräsident. Im Kern ist die Aufarbeitung der Zeit der Besetzung durch die Deutschen seit 1940 nicht wirklich aufgearbeitet. Der offizielle Frieden und das Ende des Zweiten Weltkriegs wurden durch das Läuten aller französischen Kirchenglocken um 15 Uhr am 8. Mai eingeläutet, der Nachmittag des 8. und der 9. Mai wurden zum Feiertag erklärt. Im März 1953 wurde der 8. Mai in Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg Staatsfeiertag, wurde aber später wieder abgeschafft, dann erneut gesetzlich eingeführt.
Die Gesamtkapitulation vom 7. bis 9. Mai 1945 läßt außer acht, daß an vielen Orten längst Teilkapitulationen stattgefunden hatten. So in Berlin am 2. Mai 1945, aber vor allem für große Gebiete im norddeutschen Raum, wo am 4. Mai 1945 in der Nähe von Lüneburg der Zweite Weltkrieg zu Ende war, nachdem mit Zustimmung von Dönitz Generaladmiral von Friedeburg gegenüber dem britischen Feldmarschall Montgomery die totale Kapitulation erklärt und unterzeichnet hatte. Auch hier hatten die Deutschen übrigens versucht, eine nur auf die Westmächte bezogene Teilkapitulation zu erreichen, um mit Ruhe im Westen im Osten gegen die „Bolschewisten“ weiterkämpfen zu können, was von Montgomery abgelehnt wurde.
Die intensivste Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg und seinem Ende und damit auch mit dem Kriegstreiber Hitlerdeutschland fand sicher in England statt. Denn England war das bevorzugte Kriegsziel der Deutschen im Westen, hatte unter dem Krieg noch viel mehr zu leiden als die von den Deutschen eroberten und besetzten Länder, war durch Bomben zerstört und sah in den Deutschen den Feind und Untermenschen schlechthin. Das Vereinigte Königreich feiert den 9. Mai als Feiertag: Tag der Befreiung/Liberation Day.
Eigentlich beginnt erst in unseren Tagen, sich das Bild der Deutschen in England und darum herum gravierend zu wandeln. Aus den kriegslüsternen und besonders grausamen „Krauts“ und „Huns“, den widerwärtigen Hunnen also, werden demokratisch gesonnene lebensoffene Deutsche, die man sogar bewundert. Fast zu positiv für unseren Geschmack. Das bisherige Bild der Deutschen hatte vor allem in den britischen Film- und Fernsehproduktionen und in der Kriegsliteratur weitergelebt, wo es immer um einfältige Kommißköpfe ging, martialisch aussehende Landser, Uniformträger, Waffenträger.
Wie die vierte Siegermacht, die Russen, den 8./9. Mai sehen und ob und wie er sich seit 1945 gewandelt hat, folgt.
Info:
Ein Bezugspunkt unserer ist das Symposion der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung im Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am 23. April 2015: Der 8. Mai im Geschichtsbild der Deutschen und ihrer Nachbarn.