Heiner Flassbeck stellt seine klarsichtige Analyse zur Aktualität der Eurogruppe vor, Teil I
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ausgerechnet Europa zerfällt – es lässt sich auseinander dividieren - in Zeiten der weltweiten Monster, die alle gegen ein bewährtes demokratisches Modell anrücken. Europa ist das weltweit attraktivste Gesellschaftsmodell.
Wenn der Ausstieg Griechenlands kommt, ist die europäische Idee am Ende. Ausgerechnet diese, mit der seit einem durch Hitlerdeutschland ausgelösten Vernichtungskrieg die menschenrechtliche Demokratie einen festen Platz errungen hatte. Es ist abzusehen, dass es in die nationalen Egoismen zerfällt, die schon jetzt mit rechtspopulistischen Strömungen auf dem Vormarsch sind.
Um es vorwegzunehmen: das ökonomische Handeln von Schäuble und Merkel gehört der Schwarzen Pädagogik an, ist Ausbund einer obrigkeitsstaatlichen Sicht auf die Welt. Sie ist allein schon deshalb verfehlt, weil sie nicht funktioniert – nicht funktionieren kann. Ein Staat ist kein Spielzeug der schwäbischen Hausfrau oder des schwäbischen Hausvaters. Die Mentalität des kleinen Haushalts entspricht nicht den Anforderungen der Großökonomie. Was sich abspielt ist eine unendliche Retterei, mit Mitteln - drohend auch Medizin genannt – , die immer nur noch kränker machen. Und zwar nicht nur allein Griechenland, sondern ganz Europa. Denn in ganz Europa ist Geiz und Knausrigkeit angesagt. Das Problem ist die Disfunktionalität dieses Ansatzes. Abgesehen von der systemischen und logischen Unangemessenheit und Falschheit dieser Praxis: wie soll ein Land, das maßlos unter Stress gesetzt wird, noch seine Potentiale nutzen, seine Chancen, die es wie sie jegliches Land birgt, wahrnehmen?
Der Mißgebrauch Griechenlands
Mit den Rettungspaketen wurden keine positiven Anreize gesetzt, es wurde in die Krise hineingespart, ähnlich wie in der Großen Depression der Dreißiger Jahre. Diese hatte Radikalisierung befördert und Hitler an die Macht gebracht. Dabei hat Deutschland selbst 2009 – nach dem Finanzverbrechen - nicht in die Krise hinein gespart, sondern ein Konjunkturprogramm aufgelegt, mit Kurzarbeitergeld und Abwrackprämie, das die Konjunktur am Laufen hielt und hat mit weiteren Maßnahmen gehandelt, die positive Anreize setzten.
Lohnsenkungen und 'Cuts'- Kürzungen -, schwächen die Wirtschaft, stärken sie nicht. Der Binnenmarkt wird zerstört. Sie senken auch nicht die Arbeitslosigkeit, sondern lassen sie ansteigen. Griechenland hat in den letzten 80 Jahren Löhne am stärksten gesenkt (minus 40 Prozent!). Das hat nichts gebracht, hat nur tiefer in den Abgrund geführt. Griechenland kann gar nicht in so hohem Maß die Löhne senken, um gegen Deutschland konkurrieren zu können, da Deutschland sich über 15 Jahre durch einen unfairen Unterbietungswettbewerb (mit Deregulierung des Arbeitsmarkts und Lohndrückerei) in eine absolut dominante Wettbewerbsposition versetzt hat.
150 Milliarden Euro verschobenen Geldes griechischer Oligarchen lagern in der Schweiz. Warum lässt Europa das zu, wo doch sonst sofort einer diktatorischen Regierung der Kapitalmarktzugang versperrt und die Wirtschaftsbeziehungen zur 'freien Welt' erschwert werden. Symptomatisch für dieses wirre Europa ist auch die immer noch nicht beendete allgemeine Steuerverkürzung durch multinationale Konzerne, für die Niederlande-Juncker weiterhin steht. Warum wird selbst diese Raubzugsmasche an befreundeten Staaten und Bevölkerungen nicht endlich beendet? 'Aufklärung unerwünscht, Luxemburg verschleppt die Untersuchung seiner dubiosen Steuergeschäfte mit Konzernen' (FR 27.05.2015).
Der in eigener und übergeordneter Sache längst als erfrischender Redner für Quer- und Andersdenken eingeführte Ökonom Heiner Flassbeck war vom SPD-Ortsverein Frankfurt Westend eingeladen worden, um seine Einsichten zur augenblicklichen prekären und gespannten Situation Europas aktuell und nochmal zugespitzt darzulegen.
Heiner Flassbeck, Sparpolitik, Schutz oder Bedrohung für unseren Wohlstand?
Netzportalzugänge zu Heiner Flassbeck und Griechenland:
http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=52562
(5,42 Minuten)
Eine neue formierte Gesellschaft
Flassbeck hält die vorherrschende Ökonomie für dumm, eingeschlossen die ihr stets nachplappernde und hinterherlaufende Politik – was auch für weite Teile der Publizistik gilt -, da sie stur in immer dieselbe Klemme streben, die ihnen durch eine 'Glaubenslehre' gesetzt ist. Er sieht die Mehrzahl der Ökonomen an ein Glaubensmodell gekettet.
Mit diesem in Verbindung steht das negative Menschenbild, das meint, Menschen, statt sie zu motivieren und zu begeistern, statt ihre brachliegenden Potentiale zu nutzen und herauszufordern, sie stressen, erniedrigen und quälen zu müssen. Chancen ade.
Ausgangslage sind die viel bemühten und oft gelästerten Schulden. Warum ist kein Schluss der Schulden? Es stellt sich die Frage: wer macht wie und was mit Schulden. Nicht nur Staaten und kleine Schuldner machen Schulden, auch die Banktrader, die Finanzjongleure machen Schulden. In der großen Finanzkrise haben die Privaten mehr Billionen versenkt als die des Schuldenmachens gescholtenen Staaten. Wer ist neben den Schuldnern eigentlich Gläubiger? Ist es nicht auch der Riestersparer, dessen Ersparnisse zu Schulden werden?
Flassbeck: die Welt kann nicht überschuldet sein, die Nettoschulden sind immer gleich 0
Überschüsse und Schulden bedingen sich, verweisen aufeinander. Ökonomie ist ein komplexes Systemgebilde von Abhängigkeiten, die gemeinsam ein Endliches bilden, mit relativen Beziehungen, die nicht zu übersteigen sind, solange nicht der Mars, die Venus oder am Ende noch der Pluto Exportüberschüsse aufnehmen kann. Wenn alle maximal miteinander Krieg führen, um Überschüsse zu generieren, führt das unweigerlich zum Crash. Überschüsse sind auch Schulden der anderen Seite. Deutschland hat mit seinem Exportüberschussmodell über Jahre Arbeitslosigkeit und Schulden zu den anderen Teilnehmern exportiert.
Flassbeck: Deutschland hat unter seinen Verhältnissen gelebt:
die faire Lohnkonkurrenz wurde von Deutschland durchbrochen
Deutschland hat falsch gelebt. Griechenland und Italien haben über ihre Verhältnisse gelebt, Frankreich hat entsprechend seinen Verhältnissen gelebt. Es hat eine höhere Produktivität als Deutschland, aber seine Löhne sind verhältnismäßig zu hoch. Deutschland hat unter seinen Verhältnissen gelebt. Erreicht hat es das mit Lohndumping, mit einem Lohnunterbietungswettbewerb über 15 Jahre. Damit hat es unfair konkurriert und durch die Lohnspreizung Mißhelligkeiten im Euroraum hervorgerufen, mit der Folge nationalistischer Aufwallungen. Frankreich wählt jetzt betont antieuropäisch.
Schauen wir Europa an: Seit 2011 stagniert Europa. Bundeskanzlerin Merkel meint aber, Europa sei auf einem besseren Weg. Sie meint, dass wenn alle super wettbewerbsfähig werden, alle gewinnen. Das geht aber logisch nicht, weil die Wettbewerbsfähigkeit ein relatives Konzept in einem kommunizierenden System ist. Der Einbruch der Industrieproduktion im Norden seit der Subprime-Immobilien-Krise von 2008 schleppt sich noch immer fort (bezogen auf den Index 2010=100). Südeuropa bleibt noch stärker gesunken (bei ≈90). Die Arbeitslosigkeit in Europa wurde nicht abgebaut, sie steht im Schnitt bei knapp unter 10%. Die Sockelarbeitslosigkeit seit 1974 bleibt ein Skandal. Damals begann der Finanzkapitalismus die Realwirtschaft aufs Korn zu nehmen. Besonders die Jugendarbeitslosigkeit schafft böses Blut.
Die Inflationsrate bewegt sich im deflationären Bereich. Das erklärt die Maßnahme der EZB, mit billigem Geld einer Abwärtspirale zu begegnen.
Flassbeck: Griechenland – die schlimmste Geschichte von allen
Griechenland kann aufgrund der Spar- und Kürzungspolitik nicht wachsen. Korruption, keine Steuereintreibung, keine Kataster, alles Pipifax. Griechenland ist einfach nicht in der Lage zu wachsen. Es war gewachsen bis zur Finanzkrise, jetzt ist seine Wirtschaft dramatisch eingebrochen. Durch Stützungsmaßnahmen und Kurzarbeit hat sich Deutschland ab 2009 besser gehalten. Griechenland hatte es also erst richtig gemacht. Wer aber hat nach 2010 Griechenland regiert? Die Troika hat regiert. Erst dann ist Griechenland eingebrochen. Mit den 'Reformen', der bitteren Medizin, brach das Land zusammen. Mit der Troika kann Europa keine Identität gewinnen.
Jetzt sagt man zu Griechenland: 'Du hast die Medizin noch gar nicht richtig geschluckt'. Mit der verschärften Medizin wird Griechenland aber weiter einbrechen. Das ist 'zynisch, falsch und dumm'. Fortsetzung folgt.
Info:
Dr. Heiner Flassbeck, Vortrag am 17.07.2015, 60322 Frankfurt am Main, Leerbachstraße 18, Gemeindesaal der Katharinengemeinde
Literatur von Heiner Flassbeck:
Nur Deutschland kann den Euro retten, Der letzte Akt beginnt, Heiner Flassbeck, Costas Lapavitsas, Westend, 2015
Zehn Mythen der Krise, Heiner Flassbeck, edition suhrkamp digital, 2012
66 starke Thesen zum Euro, zur Wirtschaftspolitik und zum deutschen Wesen, Heiner Flassbeck, Westend, 2014
Gescheitert, Warum die Politik vor der Wirtschaft kapituliert, Heiner Flassbeck, Westend, 2009