Hintergrund zur Serie: FLÜCHTLINGSGESPRÄCHE, Teil 16 b
Hanswerner Kruse
Schlüchtern (Weltexpresso) - Zwar kam im Interview mit Fadime ?imsek (Link Unten) unseres Kollegen der familiäre Hintergrund und damit die Ermordung ihres Onkels durch den rechtsradikalen NSU zur Sprache, aber wir halten diese Morde, deren Urheber von Staats wegen ja erst einmal auf das türkische Milieu abgeschoben wurden für so gravierend, daß die beiden nächsten Artikel als Hintergrund dienen, auch, damit nicht vergessen wird. Hier die kurze Buchbesprechung der Tochter, dem die lange folgt. Die Redaktion
Fadime Şimsek zum Mord an ihrem Onkel
„Onkel Enver hat mich sehr gemocht, wir haben uns gut verstanden, weil ich immer seinen Schriftverkehr gemacht habe. Sein schrecklicher Tod war damals sehr belastend für die ganze Familie, die Polizei hat uns alle vernommen, auch bei uns wurden die Telefone abgehört und Hausdurchsuchungen gemacht. Aber wir wussten nicht, um was es geht, wir wussten nicht, wer der Feind ist.
Später gab es dann die vielen Verdächtigungen, erst sprach die Polizei von einem Familienmord, dann war die Rede von der Konkurrenz im Blumenhandel, schließlich vom Drogengeschäft... wir konnten uns das alles nicht vorstellen, aber wir wussten einfach nicht, was wir glauben sollten. An rassistische Morde hat niemand gedacht, als das nach elf Jahren herauskam, waren wir zunächst froh, dass es wirklich niemand aus der Familie, niemand von unseren Landsleuten gewesen war.“
Semiya Şimsek, Fadimes Cousine über ihre „Schmerzliche Heimat“
Semiya war 14, als ihr Vater in Nürnberg ermordet wurde. Der Familie bliebt keine Zeit zum Trauern, weil sie sofort verdächtigt war: „Die meisten Morde passieren im familiären Umfeld“, begründeten die Fahnder ihren ruppigen Umgang mit den Şimseks. Nach weiteren Morden an türkischen Mitbürgern ließ der Fahndungsdruck auf die Familie nicht nach, nun vermutete die Polizei Verstrickungen des Ermordeten und seiner Verwandtschaft mit der organisierten Kriminalität. Später entschuldigte sich Kanzlerin Angela Merkel ausdrücklich für diesen Umgang der Ermittler mit den Şimseks.
Ganz plötzlich, elf Jahre nach dem Verbrechen, wurden die Morde als Terrortaten Rechtsradikaler erkannt. „Von halben Tätern wurden wir nun zu guten Opfern“, schreibt Semiya in ihrem Buch „Schmerzliche Heimat“, in dem sie ihren Vater würdigt und die Leidensgeschichte der Familie beschreibt.
Als wir mit ihrer Cousine sprachen, zeigt diese uns Bilder von Dreharbeiten in ihrem Heimatdorf, die ihr Semiya gerade schickte. Die ARD dreht die dreiteilige Serie „Vergesst mich nicht“ über den Mord an Enver Şimsek. Der erste Teil zeigt die Gründung der Mörderbande in Thüringen, dem zweiten, gerade abgedrehten Teil liegt das Buch Semiyas zugrunde. Der Schluss der Trilogie wird im Herbst gedreht und widmet sich der Aufklärung der Verbrechen. Der Termin für die TV-Ausstrahlung steht noch nicht fest. Wir werden berichten.
Foto:
Das Bild zeigt die Cousine von Fadime, die Autorin des besprochenen Buches
Info:
Semiya Şimsek, „Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater“, Rowohlt-Verlag, gebunden 272 Seiten, 18,95 Euro
Interview mit Fadime
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