Serie: FLÜCHTLINGSGESPRÄCHE, Teil 17 a

 

Hanswerner Kruse, Marion Klingelhöfer, Clas Röhl

 

Schlüchtern (Weltexpresso) - Lächelnd blickt Mohammad Parvez Butt (54) auf seinen Bruder, Jamshaid Ahmed Butt (43), der nunmehr seit fast zwei Jahren als Asylsuchender im Flüchtlingswohnheim Hof Reith in Schlüchtern wohnt. Eigentlich wollte er nur übersetzen, denn er lebt schon seit gut dreißig Jahre in Deutschland - doch dann erzählen beide viel von ihrer Familie.

 

Die Brüder kommen aus Pakistan, wo sie mit ihren Eltern, Großeltern, weiteren zwei Brüdern sowie zwei Schwestern in einem kleinen Dorf, etwa 120 km von Lahore entfernt, wohnten. Sie waren eine angesehene und wohlhabende Familie, die mehrere Ländereien und Häuser besaßen und von der Landwirtschaft lebten.

 

Unsere Eltern waren gute Leute. Sie haben immer jedem geholfen. Ich kann mich daran erinnern, dass meine Mutter immer fünf, sechs Fladenbrote mehr am Abend gebacken hat, weil sie wusste, dass fast täglich jemand an der Tür klingelte und um etwas zu Essen bat“, erinnert sich Mohammad. Er kam 1986 nach Deutschland und nahm, wie er versichert, nie Sozialhilfe an. Seine fünf Kinder sind in Deutschland geboren und besitzen einen deutschen Pass. „Ich wollte arbeiten, von Anfang an. Ohne Arbeit geht man körperlich und geistig kaputt. Ich will arbeiten, arbeiten, das habe ich damals dem Sachbearbeiter bei der Arbeitsagentur gesagt.“

 

Erst nach fünf Jahren bekam er eine Arbeitserlaubnis, das war damals so üblich, und arbeitete in verschiedenen Unternehmen. Bald gründete er sein eigenes Bekleidungsgeschäft und zog damit fünfmal um, bis er 2013 in der ehemaligen Schlecker-Filiale die „Kamran-Moden“ eröffnete. „In Deutschland lernte ich die Ahmadiyya Religionsgemeinschaft kennen und gehöre ihr seitdem an“, berichtet Mohammad weiter. „In Pakistan werden wir verfolgt und als Muslime nicht anerkannt. Als unser Vater starb, wurde in unserer Familie alles anders. Da ich als ‚Ungläubiger’ galt, hatte ich große Probleme an das Erbe meines Vaters zu gelangen.“

 

Man sieht den Schmerz in den Augen Jamshaids, der seine Frau und vier Kinder im Alter von 18, 16, 14 und 12 Jahren in Pakistan zurücklassen musste. Als auch er sich der Ahmadiyya-Gemeinschaft anschloss, wurde er von seinen Geschwistern verraten und musste fliehen. Da seine Frau, eine Lehrerin, eine „normale“ Muslimin ist, kann sie dort in ihrem Haus wohnen bleiben; ein Schwager wohnt direkt daneben.

 

Jamshaid Ahmed erlernte den Beruf des Elektrikers. Er arbeitete in Pakistan sowie in Dubai und ist als Elektromechaniker auf Kühl- und Klimaanlagen spezialisiert. Doch in Dubai wurde er schlecht und unregelmäßig bezahlt, davon konnte er seine Familie kaum ernähren. Mohammad wollte seinen Bruder schon vor Jahren als Verwandten nach Deutschland einladen, doch die deutsche Botschaft in Dubai gewährte Jamshaid kein Visum. Aufgrund seines verbotenen Glaubens blieb Jamshaid deshalb am Ende nur die organisierte Flucht. Im Auto, zu Fuß oder im LKW kam er von Pakistan über den Iran, die Türkei und den Balkan, bis er im Oktober 2013 Deutschland erreichte.

Für einige Stunden in der Woche arbeitet er nun aushilfsweise in einem Weinhandel in Schlüchtern. „Als Allrounder“, wie er grinsend sagt. Was er dort verdient, wird mit den Leistungen, die ihm als Asylsuchender zustehen, verrechnet. Doch die Arbeit ist ihm wichtig. Er will arbeiten! Ihm und anderen Asylsuchenden kommt entgegen, dass es künftig für arbeitssuchende Flüchtlinge leichter werden soll, eine Arbeit anzunehmen. Eine Beschäftigung über Leihfirmen ist für Asylsuchende jedoch weiterhin nicht möglich.

Jamshaid weiß, dass in jedem Fall Deutschkenntnisse sehr wichtig sind. Ab September unterstützt das Brücken-Café ihn und drei weitere Flüchtlinge vom Hof Reith bei der Teilnahme an einem Deutschkurs in Fulda. Sobald er sich gut verständigen kann, hofft er auf eine Anstellung als Elektriker. Das ist sein größter Wunsch, denn dann kann er auch seine Frau und Kinder nachholen. Zum Schluss des Gesprächs sagt Bruder Mohammad: „Ich bin Pakistani, aber Deutschland ist meine zweite Heimat. Ich hoffe, dass sich auch mein Bruder hier bald heimisch fühlt.“