Vom Tanzfestival TOGETHER FOREVER im Frankfurter Mousonturm
Hanswerner Kruse
Fulda (Weltexpresso) - Im Frankfurter Mousonturm begann am letzten Wochenende das internationale Tanzfestival „Together Forever“. Ein vorläufiger Höhepunkt war der Auftritt der brasilianischen Gruppe Lia Rodrigues Companhia de Danças.
Im großen, abgedunkelten Saal des Mousonturms steht oder sitzt das Publikum um eine lange Plastikplane auf dem Boden. Stille. Eine nackte Frau begießt sich mit Wasser, legt sich nieder, bewegt sich embryonenhaft mit unendlicher Langsamkeit auf der Plane. Vor den Augen der Zuschauer verwandelt sie sich in ein unbestimmtes Wesen. Irgendwann werden ihre ruhigen Bewegungen durch die Plane gestört, die von Helfern geschüttelt wird. Die Plane schlägt stärkere Wellen, wie in einem Sturm ringt die Kreatur mit den Wogen, die bald über ihr zusammenschlagen. Sie windet und rollt sich, gleitet und glitscht, scheint hilflos von einem Ende der Plane zum anderen mitgerissen zu werden. Nach langen kräftezehrenden Ringen liegt die Tänzerin wirklich erschöpft auf der Plane. Der Sturm ist vorbei.
Auch in den folgenden zwei Teilen von „Pindorama“ macht die Companhia de Danças kein bedeutungsschwangeres Drama, zeigt keine gespielten Gefühle und vermeidet jeglichen emotionalen Kitsch. Man kann das Ausgeliefertsein an elementare Naturgewalten oder Kampf gegen Elemente assoziieren. Jedoch bleibt die Interpretation dieser lebenden Bilder dem Publikum überlassen, das nicht vom Geschehen überwältigt, aber heftig berührt wird. Die Choreografin Lia Rodrigues erschafft mit ihrem Ensemble eindringliche Tableaus, deren Bedeutungen nicht festgelegt sind. Dass manche Bilder an die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer erinnern, sei ihr erst in Europa deutlich geworden, sagt sie später im Publikumsgespräch. „Ich weiß nicht“, antwortet sie dort auf die Frage, „was denn die einzelnen Teile des Stückes miteinander verbinde? „Ich hatte diese Bilder einfach im Kopf“, sagt sie.
Nur mit ihren schutzlosen Körpern sowie Wasser und Planen schaffen die Akteure ihre eigene Realität. Besonders eindringlich wird das im letzten Teil, in dem die Bühne völlig aufgehoben ist. Im schwach beleuchteten Saal sind unzählige transparente Wasserbeutel verteilt, die wie riesige Tränen oder Perlen wirken. Das Publikum schaut stehend von oben auf die zehn nackten Akteure, die sich zeitlupenhaft auf dem Boden winden und die Beutel aufplatzen lassen. Große Pfützen breiten sich aus, in denen die Wesen aufeinander zutreiben. Sie rollen ineinander, aufeinander, übereinander, ihr lauter Atem gleicht sich an, langsam fügt sich aus ihnen ein Schwarm, ein gemeinsamer Körper, der sich bewegt und im Dunklen verschwindet.
Es ist großartiger und berührender „armer“ Tanz, den die Tänzerinnen und Tänzer ohne Musik, ohne Lichteffekte, ohne Kostüme, ohne Dekoration inszenieren. Und sie sind nicht einfach nur nackt - sondern sie liefern sich aus und werden verwundbare Geschöpfe. Die Choreografie bewegt sich im Grenzbereich von Tanz, Performance Art und Selbsterfahrung.
„Tanz kann vieles sein“, erklärte die legendäre Choreografin Pina Bausch vor vielen Jahren. Im Mousonturm werden schon lange die Dimensionen und Ränder des zeitgenössischen Tanzes erkundet. So begann auch das Festival, parallel zum Museumsuferfest, mit überraschenden Tanzaktionen auf dem Römerberg. Die Gruppe Mamza verband den Römer mit dem Mousonturm durch eine schnurgerade rote Linie - quer durch Häuser, Parks, über Straßen und Kreuzungen. LIGNA inszenierte den „Tanz aller“, eine lautlose, spontane Tanzform der Zwanziger Jahre, die an Flash Mobs erinnert.
Übrigens: PINDORAMA benennen die indigenen Tupí Brasilien.
FOTO:
Mousonturm (c) Sammi Landweer
INFO:
Das Festival geht noch bis zum 13. 9. www.mousonturm.de