Das Indonesia-Lab Frankfurt-Jakarta - ein interkulturelles Großprojekt der Musik und Darstellenden Kunst, Teil 3/3

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Mythos von Sisyphus handelt von einer Grundschwierigkeit des Lebens in Zivilisationen. Er ist ein im Unterbewussten tief verankerter basaler Mythos der abendländischen Kultur, von der jetzt so viel schwadroniert wird, über die aber nur eine Minderheit bildungsnah und problembewußt und insofern auch abgewogen verfügt. Wie viele von den Großtönern haben „Der Untergang des Abendlandes“ von Oswald Spengler wohl denn gelesen?

 

'Sisyphos' – wie auch verwandte Mythenschöpfungen - handeln von der Kettung an eine Fatalität der Mühe und Not, in die ewig sich wiederholende Qual alltäglicher Bürden und dauerhaft schwerer Lasten, seien sie selbst gewählt oder durch Fremdbestimmung gesetzt. Sisyphus ist der Universalvertreter des Zivilisationsdienstes, er arbeitet im Rade. Die Natur wird beherrscht, die Existenz bleibt prekär gesichert, aber der Preis ist: Selbstkasteiung und Selbstverleugnung. Wie auch in den Helden der Apparate der Fitness-Studios auftretend. Erst recht jene verzehren sich masochistisch kräftzehrend im mechanistischen Abspulen ihrer Aufgaben-Pensen. Das bezeichnet man auch als die Dialektik der Aufklärung (und des Fortschritts): Je mehr Natur unterworfen wird, desto mehr kehrt sie zurück, die grausame. Ein Blick in die heutige Welt lässt an die in unangenehmster Weise am meisten Betroffenen erinnern: es sind die ausgebeuteten Näherinnen in Bangla Desh oder die Bergleute der Zwangsarbeit in illegalen Minen (mangels Alternativen).

 

Das Pendant von Sisyphus im extremen Gegenüber ist Prometheus, der – als Sinnbild für das Menschentum – an den Fels geschmiedet unendliche Qualen erleidet; das Leidensmuster ist ihm in die Mens patientiae eingebrannt, es wird ihm hinreichen bis zum Ende seiner ungezählten Tage. Dazwischen finden sich andere Leidensarbeiter, die der mittleren Anstrengung: der ewig schmachtende Tantalus und die stumpfsinnige Dienstarbeit am Sieb der Danaiden (einem Nur-Wassersieb).

 

 

»Sisyphus« (10.10.2015 Frankfurt LAB, Schmidtstraße)

 

Im Rahmen des Indonesia-Labs fand sich – die Transkontinentalität der modernen Weltkultur bestätigend – die Entsprechung im Indonesischen durch Melati Suryodarmo mit 'Sisyphus' und in ihren vier Tänzerinnen und Tänzern des ausdrucksstarken Tanzes, die - ganz im Sinne französischer Philosophen wie Artaud und Deleuze – nach einer 'javanistisch-schamanistischen' Analogie auch nie wirklich zum Stillstand kommen. Melati Suryodarmos Perfomances, in denen sie häufig als Solistin auftritt, erstrecken sich zeitweilig über mehrere Stunden. Sie verhandeln sowohl die Beziehung des menschlichen Körpers zu der Kultur, zu der er gehört, als auch die psychologische Dynamik, der er ausgesetzt ist'.

 

Der 'Sisyphus'-Abend bestätigte eindringlich (er begann sinnig mit dem beharrlichen Aufwickeln des Fadens – dem endlosen Band - auf die angewinkelten Arme einer Näherin): ob Steine Tragen und Bewegen, ob stetes Verrichten von Handhabungen und gestellten Aufgaben, den Körper mechanisch einsetzen unter gefährlichen Bedingungen, auch Kollisionen herausfordernd, ob Schützen und über die Zeit Retten des Fahrzeugs Körper durch die Reisedecke, immer geht es nur um eins: Verrichten per se, das Kreuz schultern, die Bürde tragen, Zeit unter Mühen ausfüllen, gleichsam wie bescheuert, die Länge der Zeit, die Zeit der Mühen monomanisch besetzt halten. Sinn ist damit nicht unbedingt verbunden. Es muss geknechtet werden! Wer ist der Urheber und Taktgeber: die Menschen selbst oder ihre Vormünder?

 

Die Bühnenarbeit der vier TänzerInnen wurde zum Faszinosum, die Bewegungen, Haltungen und Positionen waren sorgsam entwickelt, präzise ausgeführt. Die Auftritte wechselten zwischen Phasen, darunter auch Pausen (z.B. Flüssigkeit einschenken), die zeitweilig so etwas wie Reflexion ermöglichten - und jenen der ungestüm anhaltenden Aktion, der Dynamik des zuweilen mächtig aufwallenden Tempos, in der Gestalt tänzerischer Expressivität. Eindringlich wurde die Rezitation des 'Stein-Monologs'; er wurde für den Nachvollzug vorab gedruckt dargereicht. Die gestellten Situationen und Augenblicke, Krieg eingeschlossen, sind weltweit in Gebrauch – indonesisch, europäisch, amerikanisch - sie sind lediglich stellvertretend für ein offenbar kosmisches Faktum.

 

In höchstem Maße reizvoll, war das Gamelan, das zeitweilig als Soundmaschine, zur Begleitung des Geschehens - das seit Anbeginn der Zeiten läuft - diente. Es verlieh dem Ablauf akustisch ein Gewicht, das für die Erleidenden gar nicht gelten sollte, aber den Kunstbeflissenen signalisiert: das ist auch die Basis für den heutigen Abend. Was immer vermutet wurde, fand Bestätigung: die Musikspur ist auch ohne elektrischen Strom und Düsenlärm glaubwürdig in Szene zu setzen.

 

Der dritte Abschnitt des Indonesia-Lab ist nun erreicht. Es bieten sich noch Möglichkeiten für folgende Besuche:

 

Info:

Indonesien 1965 ff.

Spezial, Die Gegenwart des Massenmordes

Lesung, Gespräch, Film (Deutsch und Indonesisch)

Mousonturm, Studio 2, 60316 Frankfurt, Waldschmidtstraße 4, Montag 12.10.2015, 19 Uhr

· 'Am 1. Oktober 1965 begann in Indonesien einer der größten Massenmorde des 20. Jahrhunderts. Im Zuge der beispiellosen Verfolgung von Mitgliedern und Sympathisanten der Kommunistischen Partei wurden zwischen 500.000 und drei Millionen Menschen ermordet und weitere Hunderttausende verhaftet...'

 

CHOREOGRAPHERS´ LAB

Double Feature, Tanz/Showing

Fitri Setyaningsih & Nicola Mascia

Ella Nurvista & Josh Johnson

Mousonturm, Studio 1, 60316 Frankfurt, Waldschmidtstraße 4, Di.13.10.2015, 20 Uhr

· 'Fitri Setyaningsih bewegt sich mit ihren Stücken an der Grenze zwischen Choreographie, Mode und bildender Kunst.' Die 'Vorliebe für ausgefallene Outfits verbinden Setyaningsih mit ihrem Berliner Kollegen Nicola Mascia, ihrem Arbeitspartner..' Nicola Mascia, in Turin, Italien geboren, 'begann im Alter von fünf Jahren zu tanzen und studierte zunächst Ballett bei Loredana Furno, später Jazz- und zeitgenössischen Tanz in Turin und Rom. Seit 1996 arbeitete er regelmäßig mit Sasha Waltz...'



PERFORMANCE LAB

In Front of Papua, Tanz

Jecko Siompo

Mousonturm, Saal, 60316 Frankfurt, Waldschmidtstraße 4, Mittwoch und Donnerstag 14. und 15.10.2015, 20 Uhr; am Donnerstag mit Warm Up (19 Uhr)

· 'Als der Choreograph Jecko Siompo 1984 das erste Mal Break Dancer in den Straßen von Jakarta sah, traute er seinen Augen nicht: die B-Boys tanzten genauso wie sein Urgroßvater in West-Papua'. Er entwickelt den »Animal Pop«. Ob Hip-Hop, papuanische Stammestänze, Tierbewegungen, Modern Dance oder klassischer javanischer Tanz, Siompos achtköpfiges Tänzer-Ensemble rearrangiert vertraute und unbekannte Formen bis einzelne Bewegungen nicht mehr auf einen Stil oder Ursprung zurückzuführen sind'.





Europa-Premiere

EPOS: Gandari, Musik-Theater/Tanz

Tony Prabowo

Frankfurt LAB, 60326 Frankfurt, Schmidtstraße 12, Freitag und Samstag, 16. und 17.10.2015, 19.30 Uhr

· 'Zum Abschluß der Buchmesse präsentiert das Nationale Organisationskomitee Indonesien-Ehrengast Frankfurter Buchmesse 2015 eine der spannendsten Musiktheaterproduktionen des letzten Jahres aus Jakarta'. 'Der gleichnamige Text des renommierten Intellektuellen und Poeten Goenawan Mohamad ist Vorlage für die Neuerzählung einer Geschichte aus dem indischen Mahabharata-Epos: Aus Solidarität zu ihrem blind geborenen Mann Dhritarashtra beschließt Prinzessin Gandari mit verbundenen Augen zu leben'.

· Künstlergespräche sind vielfach im Anschluss in Englisch möglich



Foto: Veranstalter

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Teil 1:

http://weltexpresso.tj87.de/index.php?option=com_content&view=article&id=5685:vernetzt-ueber-kontinente&catid=88&Itemid=497





Teil 2:

http://weltexpresso.tj87.de/index.php?option=com_content&view=article&id=5713:interdisziplinaere-und-transnationale-kuenste&catid=88:lust-und-leben&Itemid=497





Gamelan:

https://de.wikipedia.org/wiki/Gamelan