Serie: FLÜCHTLINGSGESPRÄCHE, Teil 20 a
Hanswerner Kruse, Marion Klingelhöfer, Clas Röhl
Schlüchtern (Weltexpresso) - Heute stellen wir als neue Nachbarin die Somalierin Afnan (25) vor, die zunächst in den Vereinigten Arabischen Emiraten heranwuchs und dann von ihrem 11. bis 16. Lebensjahr in Somaliland lebte. Nach ihrem Abschluss an der höheren Schule floh sie um die halbe Welt, um der Zwangsverheiratung in der Heimat durch ihre Familie zu entkommen.
Sie studierte in Moskau und Malaysia, lernte dabei perfekt Englisch, machte in Kuala Lumpur einen Universitätsabschluss in Biotechnologie und arbeitete eine Zeitlang im Labor.
Doch selbständig über ihr Leben entscheiden durfte die junge, gut ausgebildete Frau nicht. Bereits als sie ein kleines Mädchen war, entschied ihr "tribe", ihr Stamm, dass sie einen über 60-jährigen Mann aus einem anderen Stamm heiraten musste. „Das soll die Geschäftsbeziehungen zwischen der Firma meines Opas und diesem alten Mann verbessern“, meint Afnan bitter. Mit der heimlichen Hilfe ihrer Mutter gelang es ihr schließlich von Abu Dhabi, wo ihre Familie derzeit lebt, über die Türkei nach Deutschland zu entkommen.
Nun sitzt sie uns gegenüber - schön, stark und wütend erregt sie sich, dass sie genauso wie die Schafe der Import-Export-Firma ihres Großvaters verhökert werden sollte. Ihre fünf Brüder drohten ganz offen und rabiat, sie zu töten, falls sie sich dem ehrenvollen Ansinnen der Familie weiterhin zu widersetzen suche. Staatlichen Schutz vor den mittelalterlichen „Ehrenmorden“ kann sie weder in Somaliland noch in Abu Dhabi erwarten.
Afnan trägt kein Kopftuch und tritt für eine afrikanisch-muslimische Frau erstaunlich selbstbewusst auf. "Ich mag nicht so leben wie viele andere Frauen in meinem Land ", erklärt sie stolz, "ich will keine Hausfrau werden!" Sie lehnt den Islam nicht komplett ab, aber sie wehrt sich gegen die männerdominierte und frömmelnde islamische Kultur in vielen Ländern. „Ich fühle die Religion in meinem Herzen“, sagt sie, „und unterscheide zwischen Religion und Kultur. Viele kennen diesen Unterschied nicht oder wollen ihn nicht sehen, aber jeder hat die Wahl.“
„Ich habe die Wahl!“, bekräftigt sie.
Nach Deutschland verschlug es die Flüchtlingsfrau, weil sie googelte, dass man hier preiswert studieren könne und sie mit ihrem Diplom-Abschluss in Biotechnologie große Chancen habe. Die Agentur für Arbeit in Hanau bestätigte ihr die guten Berufsaussichten. Auch an der Goethe-Universität in Frankfurt könnte sie, wenn sie ihre Deutschkenntnisse noch mehr verbessert, auf ihrem Bachelorabschluss ein Masterstudium aufbauen. Zurzeit hat sie Aussicht auf ein Praktikum in einer Einrichtung, bei dem sie ihre biotechnologischen Kenntnisse nutzen könnte.
Doch trotz dieser guten Aussichten hat Afnan derzeit einige Probleme. Sie kam vom Aufnahmelager Gießen nach Wächtersbach und Schlüchtern. In Hof Reith lernte sie den jungen Somalier H. kennen, der eine gültige Aufenthaltserlaubnis besitzt. Die beiden verlobten sich und heirateten vor einem Iman nach muslimischem Recht, doch nach deutschen Gesetzen wird diese Verbindung (noch) nicht anerkannt. Trotz Verlobung und islamischer Heirat mit H. soll sie jetzt alleine nach Frankreich gebracht werden, weil sie ein französisches Visum hat. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zweifelt daran, dass Afnan direkt aus der Türkei nach Deutschland kam und ordnete ihre Abschiebung an. Ein Anwalt klagte für sie gegen diese Maßnahme und das Verwaltungsgericht muss nun abschließend entscheiden.
Nachschiebsel: Diese Woche wendet sich doch noch alles zum Guten, denn Afnan teilte uns mit: „Gute Neuigkeiten, keine Abschiebung nach Frankreich. Die Heirat wird akzeptiert.“ Wir freuen uns mit ihr!Randnotizen Neue Nachbarn: Afnan