Fachtagung an der Goethe-Universität Unheimlich verlockend - Zum pädagogischen Umgang mit Sexualität“, Teil 3

 

Thomas Adamczak

 

Frankfurt (Weltexpresso) - Für die Entwicklung von Kindern ist es förderlich, wenn sie aus einer Familie kommen, in der weibliche Bezugspersonen Unabhängigkeit vorleben und/oder männliche Bezugspersonen „Gefühle der Nähe und der Abhängigkeit nicht abwehren müssen“ (Naumann).

 

Bestätigt werde dies durch die Resilienzforschung, die zudem darauf verweise, dass resiliente Kinder ein deutlich geringeres geschlechterklischeehaftes Verhalten zeigen, „sodass Resilienz offenbar dann gedeiht, wenn Mädchen Selbstbestimmung und Exploration, Jungen Emotionalität und Empathie genügend gut integrieren können“ (Naumann). Abhängig u.a auch von den in der Studie herausgestellten Vatertypen kommen Kinder mit ganz unterschiedlichen Geschlechtsrollenbildern in die Schule, was ein entsprechendes Konfliktpotenzial birgt.

 

Die gesellschaftliche Realität ist aber noch ein wenig komplizierter. Dem Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch zufolge (Sigusch 2015) hat eine in der jüngeren Vergangenheit stattfindende „neosexuelle Revolution“ zu einer Vervielfältigung von Geschlechtern und Begehrensweisen beigetragen. (Bei Facebook Deutschland gibt es 60 Auswahlmöglichkeiten, die Facebook gemeinsam mit dem Lesben- und Schwulenverband (LSVD) ausgearbeitet hat, um die eigene geschlechtliche Identität anzukreuzen. Infolge der nach Sigusch neorevolutionären Veränderungen wächst zunehmend die Zahl von Regenbogenfamilien, auch LGBTIQ-Familien genannt. Für Sigusch ist die Rede von sexuellen und geschlechtlichen Freiheiten gesellschaftlich gesehen geradezu funktional, denn Flexibilisierung und Selbstoptimierung „bis in sexuelle Regungen und Körperverhältnisse hinein“ /Naumann) kämen neoliberalen Tendenzen gelegen.

 

Gegenüber den Regenbogenfamilien, also Familien, wo die Eltern gleichgeschlechtlich entweder zwei Männer oder zwei Frauen sind, die oft unter Diskriminierung und gar Gewalt leiden, werden in der Öffentlichkeit drei Arten von Vorurteilen laut. Kinder aus solchen Familien hätten Schwierigkeiten, heißt es, Modelle von Männlichkeit/Weiblichkeit auszubilden, sie könnten keine stabile Beziehung lernen und drittens bestehe in solchen Regenbogenfamilien die Gefahr der Verführung von Kindern und von sexueller Gewalt. Diese Vorurteile, das betont Thilo Naumann ausdrücklich, seien empirisch eindeutig falsifiziert worden. Im Gegenteil zeichneten sich diese Familien sogar durch Vorzüge aus. Es liege eine bewusste Entscheidung für Kinder vor, und in der Regel handele es sich um eine egalitäre Partnerschaft mit egalitärer Arbeitsteilung und Beziehungsarbeit. Kinder aus Regenbogenfamilien entwickelten sich in der Regel gut, zeigten keine signifikanten Geschlechtsidentitätsprobleme, sie verfügten über Empathie und Toleranz und reagierten aktiv auf Ungerechtigkeiten.

 

Die skizzierte Vielfalt der gegenwärtigen Familienlandschaft, in der an dieser Stelle noch nicht einmal die wichtigen Gruppen der Ein-Eltern-Familien und die Familien mit Migrationshintergrund einbezogen wurden, lässt ahnen, dass die kontinuierlich steigenden Ansprüche an pädagogische Fachkräfte von Verunsicherung und Ängsten begleitet sind. Wie kann, wie sollte in der pädagogischen Arbeit mit dieser Diversität angemessen umgegangen werden? Zu diesem Punkt sind auf der Fachtagung vermehrt zwei Hinweise zu vernehmen: In pädagogischen Institutionen müssten „genügend angstfreie“ Räume gegeben sein und es brauche die Bereitschaft zur kontinuierlichen Selbstreflexion der Fachkräfte.

 

Natürlich spielt die Frage von Grenzverletzungen in sämtlichen pädagogischen Einrichtungen eine große Rolle, wobei es unterschiedliche Arten von Grenzverletzungen gibt. An dem Satz „Ich begehre, darum bin ich.“ erläuterte Ilka Quindeau, dass dieser Satz für alle Menschen gilt, also universelle Geltung hat, auch wenn ihr Begehren den Menschen mehr oder weniger bewusst sei.

 

Dass Grenzverletzungen hauptsächlich männlich konnotiert seien, hält Quindeau für nicht unproblematisch. Am Beispiel von Kindern, die bis zum Alter von 5/6 Jahren Pampers tragen (sollen/müssen), deutet sie Möglichkeiten von Grenzüberschreitungen an, die im öffentlichen Diskurs kaum eine Rolle spielen. Pädagogischen Fachkräften empfiehlt sie, das eigene Begehren anzuerkennen und nicht zu bekämpfen, sondern zu versuchen, damit einigermaßen gelassen umzugehen.

 

Kurz wurde noch auf die inflationäre Verbreitung sexueller Inhalte im Internet eingegangen. Ihr Sohn, berichtete die Referentin, habe ihre Besorgtheit, als sie mitbekam, dass er sich entsprechende Filme auf YouTube ansah, geantwortet: „Meinst du denn, ich glaube das, was die auf YouTube zeigen?“ Auf Nachfrage meinte Quindeau allerdings, dass die medial im Umlauf befindlichen Darstellungen von Sexuellem Kindern Angst bereite.

 

Zum Schluss noch ein kleines Erlebnis des Autors dieser Zeilen:

Ein Mitglied meines Literaturkurses berichtet von dem Engagement für Flüchtlinge. Sie erteilt unter anderem Deutschunterricht und freut sich über die Bereitwilligkeit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und dass sie von diesen vorbehaltlos als Autorität akzeptiert werde. Mustafa, einer ihrer Schüler, erklärt diese Haltung gegenüber der Lehrerin. „Bei uns werden Lehrer so geehrt wie unsere Eltern. Beide werden nicht kritisiert und ihnen wird nicht widersprochen.“ Mustafa, ging ihr durch den Kopf, da wirst du hier einiges lernen müssen.

 

 

Foto:

 

Caravaggios Amor als Sieger eignet sich zur Illustration sehr gut und befand sich auf dem Einladungsflyer. Hier nun die ganze Geschlechtlichkeit.

Das Gemälde befindet sich in der Gemäldegalerie in Berlin und war Mittelpunkt der großen Caravaggioausstellung vor einigen Jahren in Berlin.

 

Infos:

 

www.fapp-frankfurt.de/

Frankfurter Arbeitskreis für Psychoanalytische Pädagogik e.V. - Institut für Weiterbildung und Forschung in Psychoanalytischer Pädagogik und Sozialer Arbeit.

Myliusstraße 20, 60323 Frankfurt am Main 069 701655

 

 

www.queerformat.de/

QueerFormat, die Initiative von ABqueer und KomBi. Materialien und Angebote im Bereich Schule. Queere-Jugend-Hilfe.

Kluckstraße 11, 10785 Berlin
030 2153742

 

www.regenbogenfamilien.ch/

Doch die Realität der Familienformen ist um einiges vielfältiger. Das zeigt die neue Informationsbroschüre des Dachverbands Regenbogenfamilien.