“Fachtagung an der Goethe-Universität „Unheimlich verlockend - Zum pädagogischen Umgang mit Sexualität“, Teil 2
Thomas Adamczak
Frankfurt (Weltexpresso) - In den Vorträgen wurde auf die zwei Seiten von Sexualität rekurriert. Sexualität hat einerseits eine lustvolle, verlockende, also durchaus zu bejahende Seite. Dem gegenüber steht eine bedrohliche, unheimliche Seite, die destruktive, leidvolle Begleiterscheinungen zur Folge haben kann.
In ihrem Vortrag „Rätselhafte Botschaften - das Sexuelle in der Interaktion von Kindern und Erwachsenen“ ging Ilka Qindeau darauf ein, wie Sexualität entsteht und wie die Lust in den Körper gelangt, indem sie auf Laplanche verwies, der im Unterschied zu Freud das Primat des Anderen betont, dem das Sub-jekt buchstäblich unterworfen sei. Interaktionshandlungen der Erwachsenen (bei der Pflege von Säugling/Kleinkind) hätten eine sexuelle Dimension (Berührung des Körpers, der Genitalien, Blicke, Sprache). Das Körpergedächtnis speichere die Wirkung von Berührungen, die zur Ausbildung erogener Zonen beitrügen.
Quindeau bezeichnete Mütter und Väter als „verführte Verführer“, denen ihre eigenen Verführungserfahrungen nicht zugänglich seien, weswegen nicht von einer intentionalen, sondern einer quasi zwangsläufigen Verführung gesprochen werden müsse. Der Referentin zufolge sind sexuelle Erfahrungen der Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen inhärent. Die im weitesten Sinne zu verstehenden sexuellen Erfahrungen im Umgang mit Erwachsenen werden in den Körper eingeschrieben und sind die Grundlage künftiger sexueller Erlebnisweisen. Kinder und Jugendliche wollen ihre jeweiligen sexuellen Vorlieben erkunden.
Das erfordert das Testen von Grenzen, das Erproben der Einhaltung und Überschreitung von Grenzen. Das Überschreiten von Grenzen wie der Verstoß gegen Verbote können produktive Kräfte freisetzen, worauf Julia König in ihrem Vortrag („Lust an der Grenze. Verführungsszenen mit Kindern und Erwachsenen im pädagogischen Alltag“) verwies, indem sie anhand einer Szene aus der KITA auf die Interaktion zwischen einem fünfjährigen Mädchen und einer Betreuerin einging. Welche Folgerungen können aus einem solchen Verständnis der Entstehung des Sexuellen für die pädagogische Praxis aus Sicht der psychoanalytischen Pädagogik gezogen werden?
Einige Konsequenzen wurden im Vortrag von Thilo Maria Naumann angesprochen: Von der wünschenswerten Entwicklung von Kindern/Jugendlichen aus gesehen sind Selbstbestimmung hinsichtlich des eigenen Körpers und der eigenen Gefühle zu nennen. Auch die jeweiligen Vorstellungen, Beziehungen einzugehen, sollten selbstbestimmt sein. Es geht um die Stärkung von Ich-Identität und Bezugsgruppenidentität. Der respektvolle Umgang mit anderen, Empathie für Vielfalt und aktives Eintreten gegen Ungerechtigkeit sollten pädagogische Imperative sein. Plädiert wird für ein freundliches Über-Ich und eine Gruppenkultur mit affekt-, körper-, kommunikationsfreundlicher Atmosphäre.
Naumann bezieht sich auf eine Veröffentlichung von I. Qindeau, wenn er postuliert: „Jedwede sexuelle und geschlechtliche Identität, ob hetero-, homo-, bi- oder asexuell, ob männlich, weiblich, trans - oder intersexuell, ist … kein Ausdruck bloßer Natur, sondern ebenso kontingent wie kulturell überformt und im Sinn von „Umschriften“ lebenslang veränderbar.“ (Thilo M. Naumann, unveröffentlichtes Manuskript).
Mit Verweis auf Judith Butler kritisierte Naumann die binäre Entgegensetzung von Männlichkeit und Weiblichkeit, von Hetero- und Homosexualität. Stattdessen müsse von einer Vielfalt von Männlichkeit und Weiblichkeit ausgegangen werden, gehe es um flexiblere Konstruktionen von sexueller und geschlechtlicher Identität. Wünschenswert seien Spielräume für diesbezügliche Fragen und Fantasien der Heranwachsenden. Die Vielfalt von Identitäten sei zu begrüßen. Subjektwerdung sei zu verstehen als ein Prozess, der über eine Identifizierung mit einer bestimmten Identität hinausweise.
In der Arbeitsgruppe „Sexuelle Orientierung und Familie - von traditionellen, egalitäreren und Regenbogenfamilien“, die Thilo Naumann leitete, ging es um die Frage, was für eine professionelle Haltung im pädagogischen Bereich unabdingbar sei. Kinder und Jugendliche dürften nicht, war der Konsens in der Gruppe, für eigene Zwecke „verwendet“ werden.
Naumann konfrontierte die Vorstellungen von wünschenswerten Zielsetzungen und Entwicklungen in pädagogischen Institutionen mit der teilweise ernüchternden Realität.
Es gelte immer noch eine weitverbreitete geschlechtshierarchische Arbeitsteilung. Die heterosexuelle Matrix bestehe aus zwei Geschlechtern. Heteronormativität dominiere den öffentlichen Diskurs. Allerdings kommt Bewegung in diese Verhältnisse. In dem Zusammenhang ist es interessant, sich die von Naumann vorgestellten sechs Vätertypen zu vergegenwärtigen, die als Ergebnis einer Studie „Neue Väter - andere Kinder? Vaterschaft, familiale Triade und Sozialisation“ von Andrea Bambey und Hans-Walter Gumbinger am Frankfurter Institut für Sozialforschung unterschieden werden.
„Fünf von sechs ermittelten Vatertypen lassen sich im weitesten Sinne dem traditionellen Vaterentwurf zuordnen. Sie verdeutlichen die Wirkmacht traditioneller Vaterschaft ebenso wie ihre Verunsicherung angesichts des Wandels der Geschlechterverhältnisse. [Dem traditionellen, partnerschaftlichen Vater gelingt eine befriedigende Integration von Männlichkeit und Elternschaft. Die Vaterschaft führt zu einer grundlegenden Veränderung der Identität, zu einer starken Orientierung am Wohl des Kindes. Er ist in der Erziehung engagiert, geduldig mit dem Kind und von der Partnerin hoch geschätzt. An klassischen Vorstellungen der Arbeitsteilung und der Erziehung hält er allerdings fest (ebd., S.30). Traditionelle, partnerschaftliche Väter bilden mit 6% die kleinste Gruppe der ermittelten Vatertypen (ebd., S.27). Fast dreimal größer (17,8%) ist die Gruppe der traditionellen, distanzierten Väter. Dieser Typ sieht seine Aufgabe in erster Linie darin, für den Unterhalt zu sorgen, während er die Betreuung der Kinder, insbesondere die emotionale Zuwendung als Hoheitsgebiet der Mutter betrachtet (ebd., S.27/30). Der unsicher, gereizte Vater (12,8%) scheint im Widerspruch zwischen traditioneller Orientierung und den Anforderungen einer neuen, fürsorglichen Vaterschaft handlungsunfähig, er ist in seiner väterlichen Rolle stark verunsichert. Den Kindern begegnet er höchst ungeduldig und gereizt (ebd.). Der randständige Vater (10,2%) fühlt sich in der Dreierbeziehung zwischen Mutter, Kind und Vater an den Rand gedrängt, als wolle die Partnerin ihn aus der Beziehung zum Kind ausschließen. Offenbar leidet der randständige Vater trotzig darunter, dass er seine Partnerin als starke Frau wahrnimmt, die ihm seine traditionellen Lebensentwürfe zu zerstören droht (ebd., S.28). Der fassadenhafte Vatertyp schließlich ist symptomatisch für die Veränderung von Vaterschaft (24,7%). An der Oberfläche beschreibt er sich als engagierten, den Kindern zugewandten und von der Partnerin hoch geschätzten Vater. In der Praxis hingegen folgt er eher einem traditionellen Rollenmodell, nimmt emotional recht wenig Anteil am Leben der Kinder, verfolgt seine eigenen Interessen und gibt sich bestenfalls als „Freund der Kinder“. Die Partnerin stabilisiert dieses Arrangement, indem sie dem Vater nur begrenzte Erziehungsaufgaben zumutet und ihn im Alltag wohlwollend unterstützt. Das Vaterbild des fassadenhaften Vaters ist demnach eine sehr kognitive Konstruktion, auf affektiver Ebene bleibt es eher flach (ebd., S.27f.).] Der sechste Typ, der egalitäre Vater, ist immerhin mit 28,5% vertreten (ebd., S. 27)“. (Thilo M. Naumann, unveröffentlichtes Manuskript).
Fortsetzung folgt
Foto:
Caravaggios Amor als Sieger eignet sich zur Illustration sehr gut und befand sich auf dem Einladungsflyer. Hier bleibt das entscheidende primäre Geschlechtsmerkmal auch noch ganz kurz vor seiner Entdeckung. Raffiniert als Bildstrategie.
Das Gemälde befindet sich in der Gemäldegalerie in Berlin und war Mittelpunkt der großen Caravaggioausstellung vor einigen Jahren in Berlin.
Info:
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Doch die Realität der Familienformen ist um einiges vielfältiger. Das zeigt die neue Informationsbroschüre des Dachverbands Regenbogenfamilien.