Der Atomdeal mit Iran provoziert die arabische Welt, Teil 1

 

Matthias Küntzel

 

Hamburg (Weltexpresso) - Stürmisch begann das neue Jahr in der Golfregion. Am Morgen des 2. Januar ließ das saudische Regime 47 „Terroristen“ hinrichten, darunter den radikalen Führer der saudi-arabischen Schiiten, Nimr al-Nimr. Eine innere Angelegenheit sei das, so das Regime, doch im Iran sah man es anders.

 

Aufgestachelt von radikalen iranischen Webseiten sammelte sich eine Meute vor der saudischen Botschaft in Teheran und setzte sie in Brand. Die iranischen Polizeitruppen, sonst im Straßenkampf nicht gerade zimperlich, hielten sich zurück.

 

Von nun an ging es Schlag auf Schlag: Die saudi-arabische Regierung beendete mit Verweis auf den Vorfall die diplomatischen Beziehungen zum Iran. Bahrein und der Sudan schlossen sich an und brachen ihre Beziehungen ab. Die Vereinten Arabischen Emirate und Kuwait zogen ihre Botschafter ab. Gleichzeitig fror das saudische Regime die Wirtschaftsbeziehungen ein. Es beendete den Handel und Flugverkehr und verbot seinen Bürgern Reisen in den Iran.

 

Am 4. Januar verurteilte der UN-Sicherheitsrat den Angriff auf die saudische Vertretung in Teheran, ohne die Hinrichtungen zu erwähnen. Wenige Tage später bestätigte der Golf-Kooperationsrat die saudische Position. Auch wenn sich Irans Präsident Hassan Rouhani von dem Sturm auf die Botschaft nachträglich distanzierte, war der Iran zwischenzeitlich isoliert.

 

Nicht allerdings in Deutschland: Hier konzentrierte sich die Wut auf die saudische Politik. Riad habe mit der Tötung von al-Nimr „einen Flächenbrand ausgelöst“, beklagte Thomas Roth in den „Tagesthemen“.[1]

 

Saudi-Arabien sei „ein Land, das seine eigene Bevölkerung massenhaft hinrichtet“, befand Claudia Roth von den Grünen, während Julia Klöckner, die Vize-Vorsitzende der CDU, von „wahllosen“ Hinrichtungen sprach2 und Henner Fürtig, der Direktor des Instituts für Nahoststudien beim „German Institute for Global and Area Studies“ (GIGA), die Saudis bezichtigte, die weltweit meisten Hinrichtungen gemessen an der Bevölkerungszahl durchzuführen.[3]

 

Diesen traurigen Titel hält aber nach wie vor das iranische Regime, das 2015 sechsmal mehr Menschen (957) hinrichtete als Saudi-Arabien (157), was die saudischen Verbrechen freilich nicht relativiert.[4]

 

 

al-Nimr: Ein Parteigänger Teherans

 

43 der 47 Männer, die das sunnitische Königsreich exekutierte, waren Sunniten. Dies ist ein Umstand, der zur gängigen Annahme vom „Religionskrieg“ zwischen Schiiten und Sunniten nicht recht passt. Es handelt sich um 43 al-Qaida-Kader, die wegen Mord verurteilt wurden, also, so die Bundesregierung, um „Personen, die auch nach unserem Rechtsverständnis als Terroristen qualifiziert werden könnten“.[5]

 

Vier der 47 Getöteten waren Schiiten, darunter Scheich Nimr al-Nimr, den die Saudis im Oktober 2014 wegen Aufwiegelung, Ungehorsam und Waffenbesitz zum Tode verurteilt hatten. Dieses Urteil war gewiss ein Skandal und al-Nimrs Hinrichtung ein politisch motivierter Mord. Gleichwohl gilt, dass al-Nimr nicht der Menschenrechtsaktivist und Gewaltverächter war, als den ihn die iranische Führung dem Westen gegenüber rühmt.[6]

 

Fortsetzung folgt

 

 

 

ANMERKUNGEN

 

 

[1] Tagesthemen, 4. Januar 2016.

 

[2] Teheran bemüht um Eingrenzung der Eskalation, in: Deutschlandfunk, 3. Januar 2016.

 

[3] „Zu einem dritten Golfkrieg wird es nicht kommen“, Henner Fürtig im Gespräch mit Christoph Heinemann, in: Deutschlandfunk, 4. Januar 2016.

 

[4] UANI-Statement and Fact Sheet on Executions in Iran, auf: http://unitedagainstnucleariran.com/press-releases/uani-statement-and-fact-sheet-executions-iran . Im Iran leben 2,5 mal so viel Menschen (77,45 Mio.) wie in Saudi-Arabien (28,83 Mio.).

 

[5] So Staatssekretär Schäfer vom Auswärtigen Amt anlässlich der Regierungspressekonferenz vom 4. Januar 2016.

 

[6] Mohammed Javad Zarif, Saudi Arabia’s Reckless Extremism, in: New York Times (NYT), 10. Januar 2016.