Der Atomdeal mit Iran provoziert die arabische Welt, Teil 2

 

Matthias Küntzel

 

Hamburg (Weltexpresso) - In den Achtzigern war al-Nimr überzeugter Khomeinist und einer der Führer der Hisbollah-Bewegung im Hedschas, die bewaffnet gegen die Herrscher Saudi-Arabiens, Bahreins und Kuwaits kämpfte.[7] Auch wenn er nach einem Amnestieangebot der Saudis seine Worte mäßigte, blieb er Teheran verbunden.

 

Wir unterstützen Iran von ganzem Herzen und werden dies auch weiterhin mit allem, was uns zur Verfügung steht, tun“, sagte al-Nimr im Juli 2008. „Iran hat das Recht, … die zionistische Entität zu zerstören … und sich die nukleare Fähigkeiten zum Zweck der Selbstverteidigung zu erwerben.“[8]

 

Al-Nimr grenzte sich von der Mehrheit der schiitischen Saudis, die ihre Zukunft in einem reformierten Saudi-Arabien sehen, stets ab. Er beschwor die Märtyreridee und kämpfte für die Abtrennung der mehrheitlich von Schiiten bewohnten Ostprovinz Saudi-Arabiens – einer Provinz, in der die wichtigsten saudischen Ölquellen liegen. Er unterstützte, ohne selbst zum bewaffneten Aufstand aufzurufen, das militant-schiitische Lager der Region.[9]

 

Al-Nimrs Bedeutung für Irans Expansionspolitik erklärt, warum Revolutionsführer Ali Khamenei nach dessen Hinrichtung von „göttlicher Rache“ sprach, die das saudische Königshaus nun treffen werde. Sie erklärt, warum sein Tod wütende Proteste radikaler Schiiten nicht nur in der saudischen Ostprovinz, sondern auch im Libanon, in Bahrain, in Pakistan, in Jemen sowie in den irakischen Städten Bagdad, Basra, Najaf und Kerbala auslöste; Proteste, die in der Zerstörung der saudischen Botschaft in Teheran gipfelten.

 

Der Sturm auf eine Botschaft aber war immer schon ein Akt der Kriegserklärung. Das freie Geleit des Botschafters ist erstes Gebot der Zivilisation. Wer hiergegen verstößt, setzt Gewalt an die Stelle von Diplomatie und Chaos an die Stelle des internationalen Rechts. Was hat es zu bedeuten, dass sich Irans Machthaber dieses Mittels erneut bedienten?

 

 

Revolutions- oder Nationalstaat?

 

Der Iran muss sich entscheiden, ob er ein Nationalstaat oder eine Revolution ist“, erklärte am 9. Januar 2016 der saudische Außenminister Adel al-Jubeir.[10] Was immer man von ihm sonst halten mag: hier hatte al-Jubeir Recht. In diesem Punkt unterscheidet sich das iranische außenpolitische Selbstverständnis vom saudischen fundamental.

 

Der Iranist Kaveh L. Afrasiabi spricht von einem „Quasi-Staat“ Iran: Charakteristisch für Teheran sei „eine duale Aktionslogik, bei der sich die disparaten Interessen von Revolutionismus und Nationalstaatlichkeit vermischen“. Deshalb verweigere „sich das Quasi-Regime der gewöhnlichen Diplomatie.“[11]

 

Das aber zeichnete auch die Verhandlungen über den Atomdeal aus: Während Außenminister Mohammed Javad Zarif in der Zeitschrift „Foreign Affairs“ beteuerte, dass der Iran „von der Konfrontation weg wolle“, bezeichnete Revolutionsführer Khamenei die USA als „ewigen Feind“ und setzte die Atomverhandlungen mit einer Art der Kriegsführung gleich: „Jeder Schritt, ob vorwärts oder zurück, ähnelt einer Entscheidung auf dem Schlachtfeld.“[12]

 

Während sich Irans Vertreter bei den Atomgesprächen um einen staatsmännischen Anstrich bemühten, tat Teheran alles, um als „Revolutionsstaat“ den Status Quo im Libanon, Syrien, Irak, Bahrein und Jemen mittels schiitischer Milizen zu destabilisieren und zu überwinden.

 

Fortsetzung folgt

 

 

ANMERKUNGEN

 

[7] Joseph Braude, On the execution of Saudi Schi’ite cleric Nimr al-Nimr, Foreign Policy Research Intsitute, 2. Januar 2016, auf: http://www.fpri.org/geopoliticus/2016/01/execution-saudi-shiite-cleric-nimr-al-nimr

 

[8] www.rasid.com, July 14, 2008, zitiert in: MEMRI, Recent Rise in Sunni-Shi’ite Tension (Part III): Sectarian Strife in Saudi Arabia, Inquiry & Analysis Series Report No. 482, December 16, 2008.

 

[9] Joseph Braude, a.a.O. .

 

[10] Ahmed Al Omran, Saudi Arabia Steps Up War of Words With Iran, Wall Steet Journal (WSJ), 9. Januar 2016.

 

[11] Kaveh L. Afrasiabi, After Khomeini: New Directions in Iran’s Foreign Policy, Boulder, Colo. 1994, S. 29f.

 

[12] Mohammad Javad Zarif, What Iran Really Wants: Iranian Foreign Policy in the Rouhani Era, Foreign Affairs, May/June 2014 und Khamenei: I Told the Negotiating Team that the Nuclear Talks Have Red Lines that Must Not Be Crossed, iran Daily Brief, November 20, 2013.