Der Atomdeal mit Iran provoziert die arabische Welt, Teil 3
Matthias Küntzel
Hamburg (Weltexpresso) - Der Westen aber ließ den Revolutionsgarden über Jahre hinweg freie Hand, um den Atomdeal nicht zu gefährden.[13] Und nicht nur das. Er erkannte Iran als nukleare Schwellenmacht an, zeigte sich bereit, an die 100 Milliarden Dollar als Gegenleistung für das vorläufige Einfrieren seines Atomprogramms an den Iran freizugeben und akzeptierte Teherans syrischen Klienten Baschar al-Assad.
Allmählich wurde es dem saudischen Regime, dem in der Region ehemals engsten Verbündeten der USA, zu bunt. „Indem sie provokant den bekanntesten schiitischen Geistlichen des Landes töten, ziehen sie ihre eigene rote Linie gegenüber Iran, weil sie zweifeln, dass die USA das tun“, äußerte Dennis Ross, ein ehemaliger Berater des amerikanischen Präsidenten.[14]
Die rote Linie der Saudis gilt der Ausrichtung der iranischen Außenpolitik. Erst, „wenn der Iran sich wie ein normales Land verhalte und internationale Normen respektiere“, würden die Beziehungen „wieder normalisiert“, erklärte der saudische Außenminister, nachdem er die diplomatischen Beziehungen mit Teheran eingestellt und die Flüge nach Iran gekappt hatte.[15]
Kante zeigen! – ein solche Politik hat nicht nur Israel seit langem vom Westen und besonders von Deutschland gefordert; vergeblich, wie wir wissen. Es kennzeichnet aber das Paradox unserer Zeit, dass man ausgerechnet einem Land wie Saudi-Arabien, einem der grausamsten und reaktionärsten Regimes der Welt, diese rote Linie zugutehalten muss, während der Westen weiter im Appeasement-Modus verharrt.
Dieser Modus besagt, dass den Frieden diejenigen gefährden, die das iranische Regime reizen, anstatt Konflikten mit ihm aus dem Weg zu gehen.
Rainer Hermann, Berichterstatter der FAZ, brachte diese Haltung auf den Punkt: „Solange sich das Haus Saud von der Obsession leiten lässt, Iran in die Schranken weisen zu müssen, laufen alle Versuche, den Nahen Osten zu befriedigen, ins Leere.“[16] Wer also Teheran überhaupt noch Schranken auferlegen möchte, anstatt sich dem Regime zu beugen, sei somit, so Hermann, nicht nur ein bisschen gestört („obsessiv“), sondern er verhindere auch einen Frieden, der nur noch als ein iranischer gedacht werden kann.
Ein Teil der arabischen Welt scheint indes seine Angst zu überwinden. Das mag kurzfristig „Dialoge“ erschweren, blockiert aber mittelfristig die Gewalt. Denn Rainer Hermann hat unrecht, das Gegenteil ist wahr: Je größer die Handlungsfreiheit des iranischen Regimes, desto größer die Katastrophen in der Region. Oder umgekehrt: Je effektiver die Revolutionsgarden in ihre Schranken gewiesen werden, desto größer die Aussicht auf Frieden.
ANMERKUNGEN
[13] Siehe Küntzels Jungle Word-Dossier vom 26. November 2015 zu diesem Thema in http://www.matthiaskuentzel.de/contents/der-bock-als-gaertner .
[14] Dennis B. Ross, The Saudis Are Rightly Concerned About Iran, in: NYT, 5. Januar 2016.
[15] Außenminister stellt Handel mit Iran ein, in: Deutschlandfunk, 4. Januar 2016.
[16] Rainer Hermann, Kriegserklärung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 4.1. 2016.
Auch abgedruckt in: Jungle World, Nr. 3, 21. Januar 2016