Zum Tag der Befreiung von Auschwitz
Kurt Nelhiebel
Traurig aber wahr – bis vor kurzem haben viele nicht gewusst, wie der Gedenktag wirklich heißt, der am 27. Januar begangen wird. Holocaustgedenktag nannten ihn die Journalisten, weil er ja mit der Befreiung von Auschwitz zu tun hat, wo mehr als eine Million Juden von den willigen Vollstreckern des Rasenwahns der Nazis ermordet wurden.
Dabei hat sich Bundespräsident Roman Herzog doch etwas dabei gedacht, als er vor zwanzig Jahren mit Zustimmung aller Parteien den 27. Januar „zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ erklärte.
In einer Rede vor dem Deutschen Bundestag sagte Bundespräsident Herzog: „Ich weiß, dass die menschliche Sprache nicht ausreicht, in einer kurzen Formel das zum Ausdruck zu bringen, was damit wirklich gemeint ist. ‚Opfer des Holocaust’ wäre ein zu enger Begriff gewesen, weil die nationalsozialistische Rassenpolitik mehr Menschen betroffen hat als die Juden…Ich verbinde damit die Hoffnung, wir möchten gemeinsam Formen des Erinnerns finden, die zuverlässig in die Zukunft wirken.“
Wohl wahr. Unter der Brutalität und der Unmenschlichkeit der Nazi-Ideologie haben nicht nur Menschen gelitten, die aus rassischen Gründen verfolgt wurden, sondern auch die politischen Gegner des Regimes. Sie wurden als erste unterdrückt. Es hat lange gedauert, ehe ihrer in gleicher Weise gedacht wurde, wie der Opfer des Rassenwahns. Richard von Weizsäcker hat als Bundespräsident in seiner Rede zum 40. Jahrestag der Kapitulation des Großdeutschen Reiches erstmals auch die kommunistischen Opfer in das Gedenken einbezogen, und er war es auch, der als Erster den 8. Mai als Tag der Befreiung bezeichnet hat.
Wie nimmt sich Bundespräsident Joachim Gauck daneben aus?
Am 27. Januar 2015 sagte er: „Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz.“
Am 12. Mai versicherte er anlässlich des 50. Jahrestages der deutsch-israelischen Beziehungen: „Wir werden nicht zulassen, dass das Wissen um die besondere historische Verantwortung Deutschlands verblasst.“
Aber noch vier Tage davor hatte Heinrich August Winkler die Deutschen im Bundestag als offizieller Redner zum 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus ermuntert, sich „durch die Betrachtung der Geschichte nicht lähmen lassen“. Hatte sich der Historiker bestärkt gefühlt durch das, was Joachim Gauck vor seiner Zeit als Bundespräsident gesagt hat, als er Auschwitz, den Gulag und Hiroshima in einem Atemzug nannte und den Holocaust nicht für einen Rückfall in die Barbarei hielt, „sondern eine Seinsweise … die aus der modern Zivilisation herauswächst“. Nachzulesen in der Rede, die Joachim Gauck am 28. März 2006 auf einer Veranstaltung der Robert-Bosch-Stiftung in Stuttgart zum Thema „Welche Erinnerungen braucht Europa?“ gehalten hat. (Seiten 16/17).
Sind es die Erinnerungen, die in den Köpfen der Hinterbliebenen des Holocaust weiterleben, oder sind es die Erinnerungen, von denen sich die antikommunistischen Eiferer leiten lassen, die im Europäischen Parlament einen gemeinsamen Gedenktag für die Opfer des Hitlerschen und des Stalinschen Terrors durchgesetzt haben? Wie dieses gemeinsame Erinnern aussehen soll, hat die lettisch Europa-Abgeordnete und Ex- Außenministerin ihres Landes, Sandra Kalniete, während einer Rede in Leipzig deutlich gemacht. Nach ihren Worten sind Nazismus und Kommunismus „gleich kriminell“ gewesen. Niemals dürfe es einen Unterschied zwischen beiden geben, „nur weil die einen auf der Seite der Sieger gestanden“ hätten. Nach dieser Logik stehen also die sowjetischen Soldaten, die Auschwitz befreit haben, moralisch auf derselben Stufe wie die SS-Schergen, die das Lager bis dahin bewacht haben. Soll nicht mehr gelten, was Bundespräsident Herzog vor zwanzig Jahren gesagt hat? Von Deutschland „sind die Scheußlichkeiten begangen worden. Deshalb meine Mahnung zur Weitergabe der Erinnerung. Nicht nur am 27. Januar. Aber vielleicht kann dieser Gedenktag uns dabei helfen.“