Die Offenbacher Lederwarenmesse punktet mit Nüchternheit und Funktionalität für das kommende Frühjahr und den Sommer, Teil 1/2
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Zum ersten Mal auf der Lederwarenmesse zur Begutachtung der Trends für das kommende Frühjahr und den Sommer 2018 in den Offenbacher Messehallen gewesen; in Hallen eingetreten, die vor einem halben Jahrhundert auch mal einer extrem harten Londoner Kultband der Sechziger die Bühne überließen.
Die Offenbacher Lederwarenkultur war immer Faktum; eins, das schlichtweg vorausgesetzt wurde, in der Heimatstadt des jugendlichen Aufwachsens. Die Stadt war - im Gegensatz zu heute – damals eine blühende Fabrikmetropole. Die hochentwickelte Werkbankatmosphäre übermittelte uns ein Lehrer der Mathildenschule (damals im Altbau noch). Der kultige Trend der ‚Wiederaufstiegsära‘ wurde durch die heraufkriechenden Finanzmanipulationen mit den Grundstücken berühmter Firmen gebrochen. Diese wurden abgewickelt, mit der Kaufkraft ging's abwärts. Verdrängt der Turbokapitalismus das schöpferische Handwerk?
Aufstieg und Niedergang, ein mittlerweile alltägliches Schwerpunktthema. Auch wegen aktueller Entwicklungen ist es dahin gekommen, dass - offiziell - die Lederwarenmesse sich in sachbezogener Nüchternheit mit den Endzeitstimmungen in Beziehung gesetzt findet; sich dadurch – ästhetisch wie sympathisch - dem Zeitgeist in unsicherer Zeit stellt. Ehrbar, dass das Handwerk, dass Handel und Wandel nichts unterdrücken, sondern dem Ausdruck geben, was der Fall ist, was die Spatzen von den Dächern pfeifen. Und zwar nicht nur mit Vintage- und Ethnolook oder Zerrüttungsorgien des zu Tode gehetzten Prêt-à-Porter, einer drögen Alltagskluft - die sie im Grunde ist.
Strategisches Schauen
Um nicht an der Vielheit zu vergehen und die herausragenden Linien in der Menge der Ausstellungsstücke nicht zu übersehen, war die selektive Vorgehensweise unerlässlich. Das Hochwertigere und Erlesene lässt sich mit dem ersten Blick identifizieren und ausmachen. Ein wenig selbst erlerntes Handwerk ist bei dieser Vorgehensweise förderlich.
Die (handgemachte) Manufaktur-Linie ist das Signum von Knirps-Taschenschirme. Die ausgestellte Anzahl an etlichen Kreationen wird kaum eines der wenigen Fachgeschäfte ins Angebot bekommen. Man fragt sich, welche arbeitsrechtlich herabgeregelten Käufermassen diese Schmuckstück - die sie sind - kaufen sollen/können, auch wenn einiges für den einfachen Bedarf dabei ist. Das meiste, das Knirps bietet, ist von hohem Qualitätsstandard, es kann 20 bis 30 Jahre halten.
Picard, aus Obertshausen bei Offenbach, darf wohl mit Fug und Recht als das letzte verbliebene Juwel einer gloriosen Vergangenheit des Offenbacher Lederwarengewerbes bezeichnet werden, das die anhaltenden Destruktionen der Zeiten überdauert hat. Ein kleiner Schnack am Stand macht offenbar, dass verantwortlich und umsichtig handelnde Personen das Fundament des Gedeihens und Überdauerns eines Unternehmens sichern können. Zwar wird unter anderem auch längst in Bangladesch (sowie weltweit) gefertigt, aber unter Einhaltung von höheren umwelt-, lohn- und arbeitsrechtlichen Standards. Stellvertretend hierfür steht der Betriebskindergarten, in dem den Kindern eine Ausbildung ermöglicht wird. Eine ausgiebig genutzte Werkbank ist in Obertshausen noch in Funktion. Auf der Offenbacher Messe kommt Picard die Führerschaft in Marke und Qualität zu. Eine Handtasche braucht 4 Stunden Handarbeit zur Herstellung.
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Info:
Lederwarenmesse ILM, Summer Stiles, 2. – 4. September 2017, Modetrends für das kommende Frühjahr und den Sommer, 63065 Offenbach, Kaiserstr. 108-112