„Streit um den Wirtschaftskurs – Wer findet den Stein der Weisen?“ - Phoenix-Talk
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Aufschlussreicher Phoenix-Talk lieferte einen Fokus der Erkenntnishaftigkeit und Aufklärung auf offene wie verborgene Motive in Politik und Wirtschaft.
Das Wissen darum ist vielleicht aber gar nicht so ausdrücklich gewollt, zumal all jene „Ertrunkenen in den Vorortzügen“ 1) doch noch auf den Trichter kommen könnten.
Phoenix-Talk: „Unter den Linden“, 17.11.2014 - Moderation: Michaela Kolster
Gesprächsteilnehmer: Prof. Dr. Peter Bofinger \ Carsten Linnemann (CDU)
(Peter Bofinger vertritt die Minderheitenposition im Sachverständigenrat)
Der folgende Dialog/Trialog wurde abgehört und auszugsweise/sinngemäß notiert.
Der Gesprächsauszug bezieht sich auf die wenigen Minuten der zentralen Auseinandersetzung der Kontrahenten.
Linnemann: Was ist jetzt zu tun, damit es uns in 5 oder 10 Jahren noch gut geht?
Bofinger: Wir haben keine Situation, wo es jetzt Anlass zur Panik gäbe. Es sind Wolken da. Deutschland ist in den letzten Jahren nicht so fulminant gewachsen. Die Wachstumsraten waren eher bescheiden. Was tun, damit aus dieser Stagnation nicht eine negative Entwicklung wird? Die Aufwärtsdynamik ist in der Euro-Zone zu schwach.
Das europäische Umfeld läuft nicht, die Weltwirtschaft stottert, China geht es noch viel schlechter.
Linnemann: Die geopolitischen Ursachen wiegen schwer. Wir stellen tolle Güter her, aber keiner kann uns sagen, dass diese Güter in 10 Jahren noch nachgefragt werden.
Es ist ein Fehler, dass man gerade jetzt, wo die Zinsen niedrig sind, große Konjunkturpakete schnüren will.
Moderatorin fragt nach zur Legitimation langfristiger Prognosen in den Wirtschafts-wissenschaften.
Bofinger: Volkswirtschaft ist keine Naturwissenschaft, wir sind verknüpft mit der Gesellschaftswissenschaft, wir haben keine geschlossenen Kreisläufe, sondern Prozesse, die sich in offenen Schleifen bewegen. Die Unschärfe ist relativ groß.
Moderatorin: Japan hat einen Rückgang von 1,6 Prozent, Deutschland ein Wachstum von 1,2 Prozent.
Bofinger: Japan hat seit 20 Jahren riesige Defizite – der Staat pumpt rein. Es dümpelt so vor sich hin; es hat keine Inflation.
Japan hat das Problem, dass eine relativ starke Umverteilung von den Arbeitnehmern zu den Unternehmen stattfand.
Global: Die Unternehmen bleiben auf dem Geld sitzen [stecken es lieber ins
Finanzsystem] – das bremst die Wirtschaft aus.
Brüning hatte null Schulden gemacht – die Wirtschaft kollabierte, es gab ein Minus von 20%. Da hatten wir die große Wirtschaftskrise Anfang der Dreißiger Jahre. Der Laden ist richtig kollabiert.
Deutschland hat gegenwärtig viel Ersparnisse. Von den Einnahmen wird relativ wenig
ausgegeben. Was machen wir mit dem Geld? 80% beträgt die Geldersparnis. Der Leistungsbilanzüberschuss beträgt knapp 220 Mrd. Euro. Die Unternehmen halten sich mit Investitionen zurück.
Problem: man bekommt nichts [keine Zinsen], spart aber trotzdem. Langfristige Altersvorsorge geht kaum.
Besser wäre: nicht im Ausland investieren, sondern hier anlegen – investieren.
Man braucht Leute, die sich langfristig verschulden, wenn man beleben will.
Langfristig verschulden – auch für die Infrastruktur - mit Effekt aufs
Sparen, um einen auskömmlichen Zinsertrag zu bekommen. Wenn soviel gespart wird, warum soll der Staat dann nicht investieren für sinnvolle Projekte? Man kann auch in die Bildung investieren, in Forschung und Entwicklung. (Linnemann schaut die ganze Zeit argwöhnisch-misstrauisch auf Bofinger)
Moderatorin (an Herrn Linnemann): Schulden gut für uns? 10 Milliarden pro Jahr?
Linnemann: Ich glaube, dass die große Koaltion einen ganz großen Fehler machen würde, wenn sie macht, was Herr Bofinger vorschlägt.
Sie können einfach einen Staat, Herr Bofinger, nicht mit einem Unternehmen oder einem Privathaushalt vergleichen. Ein Häuslebauer zahlt den Kredit nach 20 Jahren ab und ist danach schuldenfrei. [Einwand: die Verschuldung für Häuslebesitzer endet in der Regel nie!] Der Staat aber prolongiert nach 10 Jahren den Kredit, mit wahrscheinlich höheren Zinsen. Die Politik macht auf Kosten der nächsten Generation Politik.
[Linnemann stellt sich mit dieser Einschätzung auf die Seite der vier 'Gegen-Weisen' im Sachverständigenrat]
Moderatorin: Wenn es Investitionsprogramme geben sollte, bekommt auch der Mittelstand Aufträge. [Linnemann verlegt sich daraufhin auf die Kritik der schlechten Abwicklungspraxis bei öffentlichen Investitionsprogrammen, die die Kosten hochtreiben]
Linnemann: Wir reden zu wenig über Strukturreformen.
Bofinger: Da hab ich auch nichts dagegen. Natürlich muss der Staat effizient mit Geld umgehen. Aber: Die Privatmärkte gehen auch nicht so toll mit Geld um. Und wenn Sie sehen, was die Finanzmärkte im letzten Jahrzehnt an Billionen in den Sand gesetzt haben und Millionen Ersparnisse vernichtet haben ... der Privatsektor hat vielmehr kaputt gemacht in der Finanzkrise als das der Staat gemacht hat.
Entscheidend ist: der Staat muss unternehmerisch agieren, muss fragen: Welche Projekte, welche Renditen, was kosten die Zinsen?
Die schwarze Null ist eine Fixierung [ein Prestigeobjekt]; ein Verschuldungsverbot ist nicht sinnvoll, sagen alle vernünftigen Ökonomen. Der Sachverständigenrat sagt: für Nettoinvestitionen können Schulden gemacht werden. Netto heißt: die Kosten sind niedriger als der Ertrag.
Zur Zeit gibt es Mittel zum Nulltarif.
Die Unternehmen zahlen auch nicht zurück. Die Unternehmen haben dauerhaft Eigenkapitalquoten, die bei 25-30 Prozent liegen. Wenn Investitionen sinnvoll sind und getätigt werden, wächst auch das Sozialprodukt, die Wirtschaftsleistung, die Wirtschaftskraft.
Die Staatsverschuldung wird nicht absolut in Euro gemessen, sondern wir beziehen sie auf die Wirtschaftsleistung.
Wenn in 10 Jahren die Wirtschaftsleistung wächst, aufgrund der Infrastrukturinvestionen, dann kann die höhere Staatsschuld bezogen auf die Wirtschaftsleistung weniger sein.
Linnemann: Die Unternehmen zahlen Schulden nicht zurück?
Bofinger: Der Unternehmenssektor ist dauerhaft verschuldet.
Haben Sie Unternehmen, die eine Eigenkapitalquote von 100% haben?
Die Unternehmen sind dauerhaft verschuldet. Das ist das Normale in Deutschland.
Ich kenne Pläne jedenfalls nicht, dass sie eine Eigenkapitalquote von 100% haben.
Linnemann (ist verdutzt)
Bofinger: Was Ihnen vorschwebt ist der typische Fall: Dem Sohn soll der Betrieb vererbt werden.
Sagt denn der alte Unternehmer sich?: 'Die nächsten 20 Jahre investiere ich nicht mehr richtig, ich trage die Schulden ab, so dass der Junge das Unternehmen ohne Schulden kriegt...und tue ihm damit einen Gefallen'.
Nein!, er sagt: 'Ich muss vernünftig investieren, die Verschuldung ist ok, wenn das auch dem Sachvermögen entgegensteht' - und genau so muss der Staat auch Geld nehmen.
Wenn der Staat nach dem Modell der Hausfrau agiert, dann hat er das Problem, dass er
Chancen, die sich ihm bieten, nicht nutzt und das ist schlecht für unseren Wohlstand...und das ist schlecht für alle.
Wir nutzen [dann] nicht die Potentiale für neue Investitionen und wir haben das Problem
- und das wird immer schlimmer -, dass wir [auch] immer weniger Zinsen für die Ersparnisse bekommen.
Wenn noch weniger Staatsanleihen da sind, dann schlagen sich die Leute noch mehr um diese Staatsanleihen und die Zinsen werden noch niedriger [ist bei Staatsanleihen so].
Man muss das auch im Kontext der Altersvorsorge sehen.
Linnemann: Bei einem Unternehmen [gilt]: wenn ich mich verschulde, steht ein Wert dagegen [z.B. Grundstücke, Anlagegüter,]
Bofinger: Beim Staat auch.
Und wenn Sie die Bilanz des deutschen Staates aufmachen, dann ist der nicht überschuldet.
Wenn Sie das Sachvermögen des deutschen Staates nehmen, das, was der Staat an Geldforderungen hat auf der Aktivseite - die ganze Verschuldung auf der Passivseite-, dann ist keine Überschuldung da.
Moderatorin: Sie sagen jetzt, dass die Überschuldung des deutschen Staates überhaupt kein Problem ist?
Bofinger: Der deutsche Staat ist nicht überschuldet, wenn Sie die Bilanz aufmachen – können Sie gern beim Statistischen Bundesamt nachsehen.
Moderatorin: Warum dann [aber die] Schwarze Null und die Auflage, die europäischen Staaten sollten sich nicht so verschulden? Ist das dann eine falsche Politik?
Bofinger: Es kommt auf die Dosis an, auf die konkreten Verhältnisse. Der deutsche Staat ist nicht so stark verschuldet.
Man kann nicht alles über einen Kamm scheren. Italien ist sehr stark verschuldet.
Der deutsche Staat hat überhaupt kein Problem, was wir daran erkennen können, dass die internationalen Investoren fast schon Geld dafür bezahlen, dass sie [unsere] Staatsanleihen bekommen.
Wir haben eine Rendite von 0,65% auf 6/7 Jahre zur Zeit; d.h.: die Leute geben dem Staat das Geld ja umsonst. Die Nachfrage ist enorm.
(Linnemann ist verunsichert)
weiter Bofinger: Allen wäre gedient [mit]: mehr Investieren - mehr Zinsen!
Ich plädiere nicht dafür, Schulden zu machen für Konsumausgaben, ich möchte die Verschuldung für Zukunftsinvestitionen.
Schlußkommentar: man kann in der gegenwärtigen Periode ein fast geheimes psychologisches Strickmuster erkennen:
Im Gerede um die Verschuldung (auch oft mit „Sumpf“ in Beziehung gesetzt) geht es darum, unser gesellschaftliches Ganzes schlechtzureden, um so das Feld für weitere Kürzungen, sprich: Enteignungen (im Lohn- und Daseinsvorsorgebereich) freizumachen und dauerhaft Austerity („Schmalhans“) zu fahren und zu etablieren. Das entspricht dem vorherrschenden Ökonomenkonzept, dem die Politik willig folgt. Informelle, demokratisch nicht legitimierte Entscheidergruppen möchten die Gesellschaft ausdrücklich quälen, sie auf die Streckbank nehmen, um sich am Los und Elend nun fast schon eines Viertels der Gesellschaft zu profilieren. Der Mittelstand ist übrigens auch in Gefahr.
Warum verhält sich die Politik gegenwärtig so passiv, indem sie öffentliche Investitionen nicht als Chance erkennt? Der symbolische Ausdruck ihrer mangelnden Bewegung ist die Schwarze Null. Weil die Politik und die Wirtschaftselite Angst haben, etwas falsch zu machen, machen sie lieber gar nichts oder wenig. Sie sind vielfach konturlos. Das Duo aus Politik und Wirtschaft ist unsicher, hat kein Konzept, keinen Entwurf der Zukunft. Die
Angst drückt aus der großen weiten Welt herein, speziell aus einem unkalkulierbaren Finanzystem. Mit einfach nur Sparen – mit einem Angstreflex verbunden - meint man, immer noch ganz gut klarzukommen. Wie eben im Haushalt des schwäbischen Hausmanns. Aber langt das auf Dauer wirklich? - Womöglich nicht.
Die Angst der politischen Klasse überträgt sich auf die Bevölkerung. Damit wird die Gesellschaft zusätzlich gelähmt. Diese glaubt dann wirklich, dass die augenblickliche Politik, speziell die Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung, alternativlos ist. Dies ist ein tief verankertes Gefühl des sich Ergebenmüssens, sehr verbreitet im deutschen Gemüt.
Durch die Übertragung der Angst auf die große Mehrheit entsteht eine scheinbare Sicherheit, die aber mit einer seelischen Blockade verbunden ist.
Info:
Phoenix-Talk: „Unter den Linden“, 17.11.2014 - Moderation: Michaela Kolster
Gesprächsteilnehmer: Prof. Dr. Peter Bofinger und Carsten Linnemann (CDU),
der eine Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Würzburg und Wirtschaftsweiser im Sachverständigenrat (auf Empfehlung der Gewerkschaften),
der andere Vorsitzender der CDU/CSU-Mittelstandsvereingung und Mitglied des Deutschen Bundestages.
1) nach dem Gedicht „schwierige arbeit“ von Hans Magnus Enzensberger „für theodor w. adorno“, aus dem Gedichtband „Blindenschrift“, Suhrkamp, 1964