66. IAA vom 17. bis 27. September auf dem Frankfurter Messegelände, Teil 7
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nein, das hat sicher keinen ursächlichen Zusammenhang, ist nur eine zeitliche Koinzidenz, der halb erwartete Rücktritt von Winterkorn mit dem Rundgang des Vizekanzlers Gabriel auf der IAA, dessen Höhepunkt der Stand des mit VW größten Autobauers Europas war, schon deshalb, weil hier der Plausch mit der oberen Etage des jeweiligen Autokonzerns mit dem Mikrophon auch für die Journalisten hörbar war und sogar Fragen gestellt werden konnten.
Dazu gleich mehr. Erst einmal der unmittelbar nach Ende des Rundgangs erfolgte sofortige Rücktritt des VW-Vorstandsboß, während sich Gabriel auf der seit morgens begonnenen Tageskonferenz im Congreß Center weiter mit dem Thema Auto, Umwelt und Zukunft beschäftigte und dort dann auch ein Statement zum Rücktritt abgab.
Gabriel hatte beim Rundgang ab 15 Uhr von sich aus den VW-Skandal angesprochen und klipp und klar erklärt, daß der Vorgang lückenlos aufgeklärt werden müsse und die Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden müssen. Das sieht natürlich jetzt so aus, also ob der Vorstandschef mit seinem Rücktritt daraus die Konsequenzen zieht. Mitnichten, sagte dieser. Denn Martin Winterkorn betont, daß er von den Abgasmanipulationen überhaupt nichts gewußt habe, aber die Verantwortung für die bekannt gewordenen Manipulationen bei Dieselmotoren übernehme.
Heute fand nämlich in Wolfsburg eine Sitzung des Aufsichtsratspräsidiums statt, mit dessen Ende nach über sechs Stunden der um 9 Uhr begonnenen Runde der Rücktritt öffentlich bekanntgegeben wurde.
Am Freitag sollte und wollte Martin Winterkorn für die nächsten Jahre bis 2018 vorzeitig vom Aufsichtsrat als Volkswagenschef bestätigt werden. Nun wird die Sitzung am Freitag einen anderen Vorschlag beraten und beschließen. Da muß man wirklich erst einmal tief Luft holen. Winterkorn hatte als Begründung neben seiner Ahnungslosigkeit geliefert: „Volkswagen braucht einen Neuanfang – auch personell.“
Winterkorn, der seit Januar 2007 Vorstandsvorsitzender von war, fügte hinzu: „Ich bin bestürzt über das, was in den vergangen Tagen geschehen ist. Vor allem bin ich fassungslos, daß Verfehlungen dieser Tragweite im Volkswagenkonzern möglich waren.“ Da wundert es allerdings, daß auf der Vorstandsebene nicht gewußt worden sein soll. Denn der VW-Konzern hatte doch längst zugegeben, daß es um eine systematische Manipulation geht, in der rund elf Millionen Motoren mit einer Software versehen sind, die das Messen des Schadstoffaustoßes manipulieren. Natürlich in die Richtung, die gewollt ist, also weniger Schadstoff als verbraucht wird. Gestern noch hatte Winterkorn in einem Rundumvideo davon gesprochen, daß er sich für den Konzern entschuldige und versichert, daß er alles tun werde, damit die Kunden wieder Vertrauen gewönnen.
Sicher hat der heutige Rücktritt auch etwas mit dem jähen Fall der VW-Aktien zu tun. Nur so kann man den Zeitpunkt, der durch die langfristig für Freitag terminierte Aufsichtsratssitzung, wo also Winterkorn für weitere Jahre verpflichtet werden solle, eine drängende Entscheidung wurde, verstehen, denn er erklärte: Ich tue dies im Interesse des Unternehmens, obwohl ich mir keines Fehlverhaltens bewußt bin.“ Da müssen wir widersprechen, denn es kann nicht angehen, daß eine derartige systematische Manipulation der Abgaswerte von VW-Dieselmotoren - „die besten der Welt!“ - einem Vorstandsvorsitzenden nicht bekannt geworden wären. Auf jeden Fall ist klar, daß jetzt weitere Köpfe rollen werden, denn diese Manipulation ist nur möglich, wenn von Wolfsburg aus Fäden gezogen worden sind.
Die Entdeckung in den USA, die durch Zufall und junge Tüftler in Gang kam, wird zu Milliardenstrafen führen. Die USA haben durch ihre Gesetzgebung sich eine gute zusätzliche Staatseinnahme durch das Brechen von Gesetzen von Wirtschaftsunternehmen und Banken beschert. Nun hat auch die EU angekündigt, daß sie überprüfen wird, ob VW auch hier europäische oder deutsche Standards verletzt habe. Die Bundesregierung hat auf jeden Fall sofort eine Untersuchungskommission in Gang gesetzt.
Auf jeden Fall hat VW erst einmal den Schwarzen Peter und es nutzt wenig, wenn der Interimsaufsichtsratschef Berthold Huber, ehemals IG-Metallvorsitzender, dem Zurückgetretenen nachruft; daß das Präsidium des Aufsichtsrats die Rücktrittsentscheidung von Winterkorn mit „großem Respekt“ entgegengenommen habe. So eng hängen Gipfel und Absturz zusammen. Daß Winterkorn die Flaute, die VW mit voller Wucht erwischt, was Milliarden Euro von Verlusten bedeutet, als Tropfen auf den heißen Stein mit dem eigenen Einkommen von jährlich 18 Millionen Euro lindern wird, ist nicht zu erwarten.
Der Rücktritt von Winterkorn erfolgt in dem Moment, wo er eigentlich als Sieger aus dem langen Machtkampf mit dem VW-Guru und gewesenen Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch hervorgegangen war, der als langjähriger Oberaufseher im Sommer überraschend gegen Winterkorn Front bezogen hatte und im Machtkampf unterlag und ging. In der Gerüchteküche wird jetzt vom potentiellen Nachfolger Matthias Müller gesprochen, der seit den Tagen in Ingolstadt parallel mit Winterkorn Karriere machte, derzeit an der Spitze von Porsche steht, aber seit diesem Jahr auch Vorstandsmitglied beim Mutterkonzern VW ist.
Das Aufsichtsratspräsidium hat auf jeden Fall auch beschlossen, daß VW eine Strafanzeige stellen wird. Das Gremium habe „den Eindruck, daß strafrechtlich relevante Handlungen eine Rolle“ dabei gespielt hätten.
Uns erreichte die Nachricht, als am Ende des Rundgangs in der Mercedeslounge, die versteckt in dieser Wunderhalle, der Festhalle, unterbracht ist, wo das Autospektakel wirklich die Halle zum nicht Wiedererkennen verändert, aber auch zu einem aufsehenerregenden Rundgang zwingt. Die Kommentare der anwesenden Autofachleute war eindeutig: das machen alle. Aber keiner hat Mitleid mit Martin Winterkorn.
In der gegenüberliegenden Congreßhalle wurde Minister Sigmar Gabriel mit der neuen Situation konfrontiert und reagierte gelassen und nach vorne gerichtet, wie schon beim Rundgang selbst. VW werde jetzt rasch die Abgasaffäre aufarbeiten und er habe Respekt gegenüber der Entscheidung von Winterkorn: „Ich finde, die Leistung von Herrn Winterkorn für das Unternehmen ist nach wie vor unbestritten.“ Daß Sigmar Gabriell hier nicht nur als Minister spricht, ist deshalb das Besondere, weil er als Niedersachse das Vorzeigeunternehmen VW so gut kennt wie wenige. Fortsetzung folgt.
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