66. IAA vom 17. bis 27. September auf dem Frankfurter Messegelände, Teil 9

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Höhepunkt wird beim Rundgang der Besuch bei VW in Halle 3. Wahrscheinlich wäre das für den Niedersachsen Gabriel auch ansonsten der Dreh- und Angelpunkt gewesen. Aber angesichts des Abgasskandals, will sagen, der gezielten und massenhaft eingesetzten Täuschung von Kunden und staatlichen Behörden auf der ganzen Welt durch den VW Konzern, ist die heutige Anwesenheit von Wirtschaftsminister und Vizekanzler auch ein Signal, wie die Politik darauf reagiert.

 

Denn, das muß man auch ganz deutlich sagen, seit dem Bekanntwerden des Betrugs und der immensen pekuniären Forderung, die bisher nur aus den USA bekannt sind, herrscht politisch Schweigen. Hier muß sich Gabriel äußern. Und er wird es klar und deutlich tun. Zuerst aber – noch vor den Autos – begrüßt er die auf seinem Weg herumstehende Mitarbeiter und macht einen kurzen Plausch. Da ist er in seinem Element und er macht dies weder kumpelhaft noch übertrieben. Er fragt die Leute, woher sie kommen, was sie arbeiten, läßt sich ihr spezielles Handwerk erklären, fast immer ist ein Scherz dabei – und der kommt nicht immer von ihm. Die Leute – alles Männer, wie die gesamte IAA eine Männerausstellung ist, nicht von den Besuchern, sondern von den Herstellern her – sind total entspannt und sie sind, das merkt man deutlich, auch stolz auf das, was sie tun und hier ausstellen.

 

Nun geht es bei VW auch um Elektromotoren und wie ist das? Die stellen während des Fahrens den Strom ab, wodurch 15 Prozent weniger Verbrauch ist? Das kommt davon, wenn man nur jedes eineinhalbte Wort aufschnappt. Zu laut, zu viele Leute. Und man versteht deshalb Bahnhof. Der Minister auf jeden Fall ist vom Fach, er ist Autofachmann, keine Frage. Aber nicht das wollten wir überprüfen, sondern was er zu VW sagt und auch, was die VW Leute zu ihm sagen. Nichts über den Skandal. Denn das wird gerade in Wolfsburg ausgetragen, wo das Aufsichtsratspräsidium tagt. Und auch sonst wäre der Vorstandsvorsitzende Winterkorn nicht beim Rundgang dabei gewesen. Oder doch? Wir gehen an all den Flitzern vorbei, den bunten, sehr bunten Autos, denn die ganze Halle ist voll von den verschiedenen VW-Marken.

 

Um uns herum an den Wänden und großen Tafeln laufen VW-Werbevideos, die Autos gleiten bei Musik dahin oder rasen in ferne Wüsten und Wälder. Ziemlich viel Tempo, denkt man noch und schon ist der nächste dran. Gegliedert ist die Halle durch Podeste, auf denen die verschiedenen Wagentypen stehen und hier erwartet uns eine VW-Mitarbeiterin mit einem Schild PRESSE. Ihr nach also und man steht in einem schmalen Gang vor der Absperrung, hinter der Matthias Wissmann, - endlich kommen wir auch auf ihn zu sprechen, der seinen Minister auf dem Rundgang begleitet, seit 2007 Chef des VDA ist, der die IAA austrägt, und der davor Bundesverkehrsminister war – und sein Gast Sigmar Gabriel nun mit VW-Begleitung verschiedene Modelle gezielter unter die Lupe nehmen. Die Personen sind so weit weg, daß man nichts hören und wenig sehen kann, außer, daß Gabriel immer wieder in Autos einsteigt und aussteigt.

 

Und dann nimmt er ein Mikrophon in die Hand und sagt, er würde gerne über die Zukunft des digitalen Autos sprechen und über ein digitales Parkhaus auch. Jetzt sei aber anderes wichtig. „Für VW sind das schwierige Zeiten“. Den Schaden sieht er besonders zu Lasten der Mitarbeiter – 600 000 auf der ganzen Welt - , er will hier keine Debatte über Volkswagen, über Qualität und die deutsche Autoindustrie führen, fordert aber rückhaltlose Aufklärung und mit ihm die Bundesregierung. Die Täuschung bei VW-Dieselfahrzeugen in den USA sei „völlig inakzeptabel“ , aber „Volkswagen ist für die gesamte deutsche Autoindustrie der Innovationsfaktor.“

 

Dann sind Fragen erlaubt und gleich die erste gilt dem Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn, nämlich, ob dieser zurücktreten solle. „Das muß das Unternehmen entscheiden“, ist die kühle und kurze Antwort. Nein, zu diesem Zeitpunkt war die Meldung vom Rücktritt noch nicht bekannt. Und richtig ist auch, daß Gabriel bei VW die Diskussion eröffnet auf diesem Rundgangs, der bei Halle 11 und BMW begonnen hat und in der Festhalle, wo traditionell Mercedes, also Daimler zu Hause ist, dann enden wird.

 

Der mitlaufende VDA-Chef Wissmann wird nicht befragt, aber sein Verband hatte schon längst Stellung bezogen, die Manipulationen zutiefst bedauert und seine Betroffenheit erklärt „über die bei einem Unternehmen in den USA festgestellten Verstöße bei Abgabetests.“

 

Der Rundgang war gut geeignet, die technischen Hintergründe des Skandals verstehen zu lernen. Es geht darum, daß die Software, die dazu dient, beim Fahren die realen Abgase zu messen, so manipuliert wurde, daß beim Stehen, also beim Testen des Autos und seines Motors auf einer Bühne beispielsweise, jeweils Harnstoff automatisch hinzugefügt wird, der die Werte nach unten drückt. Daß dies nun die allerhöchste Ingenieurskunst sei, so etwas möglich zu machen, war dann ein satirischer Scherz, der zwar stimmt, aber niemandem hilft. Denn die Autobauer haben wie andere Industriezweige davor Angst, daß MADE IN GERMANY eine negative Kennzeichnung werde.

 

Auch hier hatte der Minister Trost bereit. Er griff in die Geschichte zurück und sprach – völlig zutreffend – davon, wie die Engländer im 19. Jahrhundert den Deutschen eine reinwürgen wollten und ihre Produkte als minderwertig kennzeichnen wollten, in dem sie sie zwangen, 'made in Germany' auf in Deutschland gefertigte Waren zu schreiben, einzugravieren, zu malen. Es wurde das Gegenteil daraus, nämlich der Ausdruck von Qualität.

 

Noch einmal legte Gabriel los, spricht von 'inakzeptabel' und dringender Aufklärung. Und davon, daß der gute Ruf zu verteidigen wäre und die Mitarbeiter zu schützen seien. „Der Schaden, den einige Leute für das Unternehmen und die Mitarbeiter verursacht haben, ist riesig.“ Der Konzern habe schon Strafanzeige gestellt, jetzt sei die Staatsanwaltschaft dran. Man müsse einen kühlen Kopf bewahren. Und bei Daimler in der Festhalle verabschiedet er sich dann, geht rüber in das Congreß Center, kommt an, hält eine Ansprache – und dann wird der Rücktritt von Martin Winterkorn bekannt, woraufhin Sigmar Gabriel das alles noch mal sagen muß.

 

P.S. Natürlich war der Rundgang für unsereinen auch eine Fortbildung. So hatte ich erst jetzt die gezielte Täuschung bei den Abgaswerten durch diese Dieselsoftware verstanden. Diese Sofware wurde nämlich so schlau gemacht, daß sie bemerkt, ob das Diesel-Auto fährt oder steht. Und wenn es steht, dann kommen diese Einspritzungen von Harnstoff, die die Eigenschaft haben, die Werte zu senken. Und dieses Merken und Reagieren auf das stehende Fahrzeug, das ist die durch VW-Ingenieure unternommene Manipulation, die als Folge genau den in den USA geforderten Abgaswerten entspricht. Aber eben nicht stimmt, sondern rund vierfach höher ist.

 

Mit dieser Software für Dieselfahrzeuge hat VW aber nicht nur die in die USA gelieferten VW-Diesel-Modelle ausgerüstet, sondern weltweit rund 11 Millionen Fahrzeuge. Das wäre nicht nötig gewesen, weil die Abgaswerte in anderen Ländern durch den echten Ausstoß nicht tangiert sind, auf jeden Fall nichts überschritten haben.

 

Wovon wir auch keine Ahnung hatten, das ist, daß dieses DENOTRONIC genannte Abgassystem vom Zulieferer Bosch stammt, die sich um spritsparende Dieseltechniken genauso kümmern wie um die Steuerungen in den Dieselfahrzeugen, die Bosch herstellt. Bosch ist ein wichtiger Zulieferer und Bosch ist auch stolz darauf, VW zu seinen Kunden zu zählen. Die Manipulationen aber, die sind erst danach bei VW unternommen worden, indem die Software 'nachbehandelt' wurde, erklären einem die Boschleute.

 

Übrigens: die VW-Aktie stürzt derart ab, daß Volkswagen derzeit rund 15 Milliarden an Börsenwert verliert. Experten sprechen von einer 40 Milliardenstrafe, die allein in den USA drohe und sogar das Gespenst einer dreistelligen Milliardenstrafe geht um. Die Koinzidenz mit der als tollsten Leistungsschau der Automobilindustrie gedachten IAA 2015 mit Besucherrekorden und Rekordabschlüssen und dem Desaster durch die Abgasmanipulationen ist schon wie in einem griechischen Drama.

 

 

Foto: Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie und Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) © IAA