Serie: Die Kommunale Kürzungspolitik ist durch Bund und Land vorgegeben, Teil 1

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das Diktat des Sparens ist im Land des deutschen Michels und der schwäbischen Hausfrau zur Ersatzreligion geworden, die einem Dogma gleicht. Sie hat sich durch Entscheidungen auf höchster Ebene wie ein Virus in die Gesellschaft verteilt.

 

Obwohl sie volkswirtschaftlich widersinnig ist, weil sie Chancen vereitelt, wird sie dennoch, nicht ohne eine Spur Sadomasochismus, wie ein Mehltau übers Land gelegt und lähmt es.

Dadurch bedingt besteht eine Kluft zwischen der hohen Politik einer Partei im Bund und den trivialen Auswirkungen für deren KanalarbeiterInnen in der Politik der Kommunen.

 

Ein politisch-gesellschaftliches Konsortium lud in Frankfurt am Main ein zum Vortrag, zur Diskussion und zum Workshop. Gestellt war das Thema: 'Kommunale Kürzungspolitik in Frankfurt/Rhein-Main'. Es betrifft den Kern des laufenden Modells, das diese Gesellschaft bestimmt und in Bande hält.

 

 

Im Zeichen der 'Austerität'

 

Wie kam es zum 'politischen Projekt Austerität', das in den Zeiten des Fordimus und des Deficit Spending – beide waren auf Anregung des Wirtschaftsprozesses hin angelegt – bis in die erste Hälfte der Siebziger Jahre noch als völlig abwegig erschienen wäre?

 

Die Gesellschaft wurde seit den Siebziger Jahren in eine abgründige Auszehrung unterirdischer Art hinabgeführt. Seit 1974 gibt es die Sockelarbeitslosigkeit, der zu keiner Zeit mehr gegengehalten wurde, obwohl die Potentiale in der Gesellschaft bereitliegen, die die Wiederaufnahme eines im Prinzip erfolgreichen Modells – in abgewandelter Form - sinnvoll erscheinen lassen. Die öffentliche Verschuldung wird als der Sündenfall schlechthin angeprangert, aber sie ist nur die Kehrseite der Absenkung, Kürzung und gigantischen Umverteilung, die über die Jahre vorangetrieben wurde – die die Politik nicht nur mitgemacht, sondern ausdrücklich gesponsort hat.

 

Nicht die Finanzkrise habe ihren wesentlichen Anteil an der Krise, nein, die überbezahlte Arbeit und die verschwenderische Ausgabenpolitik auf den verschiedenen Ebenen bis hinein in die Kommunen habe die Hauptschuld auf sich geladen, so lautet der Tenor. Janine Wissler, Fraktionsvorsitzende von Die Linke im Hessischen Landtag, beginnt ihre Eröffnungsrede mit dem Verweis auf das Abbau-Programm für den 'Rückbau des Sozialstaates', gepaart mit der 'Entdemokratisierung der Gesellschaft', wie übrigens kürzlich auch an anderer Stelle bestätigt: 'Demokratie als Auslaufmodell', 'Konzerne bauen systematisch ihre Macht aus' mit „Corporate Capture“...die Übernahme von öffentlichen Aufgaben und Prozessen...' (FR 21.10.2015)

 

Im Zentrum steht programmatisch das gesellschaftspolitische Projekt 'Austerität'. Es bedeutet 'Klassenpolitik von oben'. Mit Leiharbeit, Niedriglohn, Minijobs und Hartz IV wurde eine Konkurrenz von oben nach unten in Gang gesetzt, die über die Hälfte der Gesellschaft teilenteignet und ein Viertel marginalisiert hat. Durch die Liberalisierung des Arbeitsmarkts befinden sich rund 40 Prozent der abhängig Beschäftigten in sogenannten atypischen Beschäftigungsformen wie Leiharbeit oder Teilzeitarbeit (FR 28.10.2015). Die Krise des Kapitalismus wird seit den Siebzigern, seit mehr als 30 Jahren, auf die Mehrheit der Bevölkerung verlagert, auch wenn die angebliche Mitte sich zum Teil noch Illusionen hinzugeben bereit ist. Durch rigide Sparpolitik werden Möglichkeiten der Gestaltung minimiert. Im Hintergrund arbeitet eine 'Schockdoktrin', die auch 'an Osteuropa' exerziert wurde und jetzt in Europa die Zerwürfnisse verstärkt. Sie gehört zum Handlungsmuster des IWF, des Internationalen Währungsfonds. Das Heil wird im dogmatischen Sparen gesucht.

 

Seit dem Helmut Schmidt der mittleren Siebziger Jahre wurde 'sparsame Haushaltspolitik' und Lohnzurückhaltung zur durchgängigen Predigt, von einer Analyse der prinzipiellen Widersprüche aber wurde abgesehen, z.B. von der Tatsache einer systemischen Schwierigkeit: 'Massenarbeitslosigkeit ...ist dabei kein neues Phänomen. Bereits Karl Marx beschrieb...den Prozess der Herausbildung einer industriellen Reservearmee, der in Gang kommt, weil die Produktivitätsfortschritte größer sind als das wirtschaftliche Wachstum. Marktprozesse führen eben nicht im Selbstlauf zu einer Gleichgewichtssituation mit Vollbeschäftigung'. (Wilfried Kurtzke, Arm in einem reichen Land', BIG Business Crime 3-2015) Die Politik der Agenda 2010 hat den systemischen Widerspruch noch gesteigert durch eine Politik der konsequenten faktischen Teilenteignung der arbeitenden Bevölkerung.. Wer aber schuf seit frühesten Zeiten die Werte und Überschüsse? Es war immer die große Mehrheit der Arbeitenden.

 

Die unterfinanzierten 'Kommunen am unteren Ende' der Stufenleiter schleppen sich dahin, die Folgen von Lohn-, Sozial- und Steuerdumping werden beständig nach unten durchgereicht, und: 'die Finanzkrise hat die Durchsetzung verstärkt'. 10 Prozent der Schwimmbäder wurden in Hessen seit 2002 geschlossen (FR 22.10.2015). Die hessische Schuldenbremse, ein ausgesucht exotisches Elaborat, mit dem sich die Politik Hessens in Extramanier zusätzlich ausbremst, kam hinzu. Diese Maßnahme ist eine der vermeintlichen Medizinen, die nicht helfen, sondern den Abstieg verstärken. Bedenkt man die Abwegigkeit dieser Art Politik, so darf vermutet werden, dass ohne eine deftige Psychoanalyse jede Erklärung hinkt. Dieser Ansatz wird später noch einmal aufgegriffen, ist aber nur ein Vorschlag für eine mögliche Erklärung.

Foto: (c) Heinz Markert

 

Info:

Kommunale Kürzungspolitik in Frankfurt/Rhein-Main. Veranstalter: Rosa-Luxemburg-Stiftung Hessen, AK Kritische Geographie Frankfurt, attac AG Kommunen, GEW Bezirk Frankfurt, Fraktion Die Linke. im Römer Frankfurt, Fraktion Die Linke. im MainTaunusKreis

Bürgerhaus Frankfurt-Bockenheim, Schwälmer Straße 28, Samstag, 17.10.2015

 

Teil 2: 'Hessen – ein Land unter Schuldenbremse und Schutzschirm'