kir Rysanek KaiserinMeine Lieblingsopern, Teil 4

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Meine Liebe zu diesem Werk entdeckte ich 1975 auf ungewöhnliche Weise, über das Hören von Audiokassetten.

Diese Uralt-Konserven habe ich bis heute aufbewahrt, allerdings lange nicht mehr gehört, die Qualität lässt vermutlich auch zu wünschen übrig. Mein Vater zeichnete sie damals aus dem Radio auf, beschriftete die Kassette feinsäuberlich und schnitt alle wichtigen Daten aus der Fernsehzeitung aus. Es war eine Übertragung von den Salzburger Festspielen unter der Leitung von Karl Böhm in einer bis heute unübertroffenen Traumbesetzung mit Leonie Rysanek (Kaiserin), James King (Kaiser), Ursula Schröder-Feinen (Färberin), Walter Berry (Barak) und Ruth Hesse (Amme) in den Hauptpartien.

In damaligen Zeiten unternahmen meine Eltern mit mir lange Fernreisen mit dem Auto. Da hatte man Zeit, viel Musik zu hören, entweder aus dem Radio oder aus dem eingebauten Kassettenrekorder.  „Die Frau ohne Schatten“  spielten wir neben Wagners „Meistersingern“ besonders oft. Und dachten von Mal zu Mal, wie genial doch diese Musik ist, die sich an manchen Stellen schon an der Grenze zur Tonalität bewegt wie „Elektra“ und „Salome“ und doch mit herrlichsten, berührenden, eingängigen Melodien aufwartet, sei es nun die Falken-Arie des Kaisers, die große Szene des Barak „Mir anvertraut“ oder das Ende mit den Wächtern am Ende des ersten Aufzugs.

Aber allein schon der düster einsetzende erste Akt mit dem Auftritt des Geisterboten, den schwärmerisch-ariosen Melodien des Kaisers und der filigranen Koloratur-Szene der Kaiserin hat sich mir eingebrannt, dass ich zeitweise das Libretto nahezu auswendig konnte.

Nicht viel später hatte ich Gelegenheit, die Oper in ähnlicher Besetzung an der Deutschen Oper Berlin zu erleben. Leonie Rysanek, die in schwindelerregender Höhe glasklar luzide Töne ablieferte, wie ich sie nie wieder hörte, war jedenfalls dabei, ebenso Ursula Schröder-Feinen als Färberin und Ruth Hesse als Amme. Den Barak gab Gerd Feldhoff, an den Interpreten des Kaisers kann ich mich leider nicht mehr erinnern. Die stimmungsvolle Inszenierung besorgte, wenn ich mich richtig erinnere, wie in Salzburg Günter Rennert.

In meinen Kinderzeiten war das Stück für mich seitens der Handlung nur ein faszinierendes Märchen, mit tiefgründigeren Gedanken wäre vermutlich auch eine 12-Jährige überfordert. Erst später fing ich an Fragen zu stellen und mich mit den Frauenbildern näher zu beschäftigen.

Wiewohl ein so genialer Dichter wie Hugo von Hofmannsthal das Libretto schrieb, dessen so kluge, zeitlose, geistreiche Libretti zum  „Rosenkavalier“ und   „Ariadne auf Naxos“  für mich zu den besten überhaupt zählen, kann ich mich mit den Heldinnen in diesem Stück weniger identifizieren. Das liegt vermutlich daran, dass die Mutterschaft hier von so großer Bedeutung erscheint und ein wenig suggeriert wird, ein Paar könne das eheliche Glück erst finden, wenn es Kinder hat. Aber das entspricht natürlich den Vorstellungen der Zeiten, in denen das Stück entstand.

Auf einer höheren Meta-Ebene geht es womöglich genereller um die Menschwerdung überhaupt. Und die schließt für die Protagonistinnen noch mehr ein: wie im „Parsifal“  geht es da etwa auch um Empathie und Mitleid:  Der Kaiserin, die anfangs den Vorschlag ihrer Amme aufgreifen will, der Färberin ihren Schatten abzukaufen, den sie selbst braucht, um ihren Mann von der drohenden Versteinerung zu retten, wird sich bewusst, dass sie damit ein anderes Paar ins Unglück stürzt und nimmt davon Abstand. Die Färberin erkennt, dass sie mit dem Verkauf ihres Schattens ein flüchtiges Glück von Schönheit und Bewunderung erkaufen wollte und wandelt sich zu einer liebevollen Ehefrau in Erwartung des Mutterglücks.

Wenn nun allerdings der grandiose Strauss-Dirigent Christian Thielemann sagt, er würde die Handlung nicht verstehen, will ich mir nicht anmaßen, das Stück vollends erfasst zu haben. Es gibt eben wirklich geheimnisvolle Stücke, die sich nicht auf die eine Interpretation herunterbrechen lassen und vielleicht ist das auch gut so. Jedenfalls waren wir uns einig, dass die Genialität dieses Werks durch die Musik begründet wird.

Vier Neuproduktionen hat Thielemann bislang einstudiert, bis auf eine an der New Yorker Met, habe ich alle gesehen.

Die erste geht auf das Jahr 2005 zurück und leitete das Ende der Ära Thielemann an der Deutschen Oper Berlin ein. Regie führte Philippe Arlaud, der das Stück sehr farbenprächtig umsetzte und dem märchenhaften Charakter der Oper Rechnung trug. Besonders in Erinnerung ist mir der Falke in Gestalt von Fionnula McCarthy in einem fantasievollen vogelähnlichen Kostüm geblieben. Musikalisch war diese  „Frau ohne Schatten“   eine Wucht, insbesondere seitens der großen klanglichen und dynamischen Nuancierungen des von Thielemann geleiteten Opernorchesters. Die Hauptpartien waren mit Deborah Voigt (Kaiserin), Glenn Winslade (Kaiser), Franz Grundheber (Barak), Luana de Vol (Färberin) und Jane Henschel (Amme) höchst respektabel besetzt. Ich nutzte die Gelegenheit, mir diese Produktion nach der Premiere noch mehrfach anzusehen, wobei mir am Beispiel Jane Henschels bewusst wurde, wie sehr mitunter sängerische Leistungen dispositionsbedingt von Aufführung zu Aufführung schwanken können. An zwei Abenden sang sie fulminant, an anderen geriet ihr Alt in der Höhe ziemlich ins Flackern.

Die folgende Produktion, die Thielemann 2011 bei den Salzburger Festspielen leitete, knüpfte musikalisch an diesen Triumph an, wirkte als reines Hörtheater in der Regie von Christoph Loy aber recht fad und unbefriedigend. Mit Stephen Gould als Kaiser und Anne Schwanewilms als Kaiserin waren die zu der Zeit sicherlich besten Kräfte an Bord, vor allem aber war Evelyn Herlitzius in der Rolle von Baraks Frau ungleich besser aufgehoben als in der Partie der Amme, als die sie sich zum 150-jährigen Jubiläum der Wiener Staatsoper im Mai vergangenen Jahres besetzen ließ. Eine Altpartie sollte eben doch auch von einem Alt gesungen werden, sonst fällt die Tiefe etwas dünn aus.

Insgesamt bescherte diese bislang jüngste  „Frau ohne Schatten“  unter Thielemann 2019 zum feierlichen Anlass in Wien gleichwohl Sternstunden. Feine Streichergespinste, durchsetzt von zärtlichen Cello-Soli  und filigrane zärtliche Soli der ersten Violine wurden da hörbar und bescherten über weite Strecken ungemein sensitiv dargebotene Kammermusik. In den Momenten der drohenden Versteinerung des Kaisers baute sich die Musik  monumental auf, und das markerschütternd mit Forteklängen von außergewöhnlicher Kompaktheit.

In der durchaus klugen, wenngleich auch etwas grauen, Inszenierung des langjährigen Chéreau-Assistenten Vincent Huguet unterstrich eine imposante Felsenlandschaft das Motiv der drohenden Versteinerung des Kaisers. Ebenso organisch brachte der Franzose dezent die Entstehungszeit der Oper und damit Anspielungen auf den Ersten Weltkrieg in seine Inszenierung ein. In jenem Moment, in der der Kaiser sich von seiner Frau abwendet, weil „Menschendunst“ an ihr haftet, entdeckt sie, die Kaiserin, in einem zum Schlachtfeld gewordenen Steinbruch ihre Empathie für die Verwundeten und Gefallenen.

Was die von der Presse schier hymnisch gefeierten Sängerinnen und Sänger der Wiener Festproduktion anlangt, geriet ich allerdings nicht ganz so ins Schwärmen wie so manche Kollegen. Mit Leonie Rysanek, der Kaiserin aller Kaiserinnen, konnte es die meines Erachtens in ihren lyrischen Qualitäten überschätzte Camilla Nylund, deren Spitzentönen es an Schönheit fehlt,  nicht aufnehmen. Wolfgang Koch blieb ein musikalisch wie darstellerisch seltsam unscheinbarer Barak Einzig Nina Stimme gab eine den Ambivalenzen der Rolle gerecht werdende, stimmstarke Färberin wie man sie aus früheren Jahren gewohnt war.

Durchaus achtbar erschien mir darüber hinaus 2009 eine Neuproduktion an der Deutschen Oper Berlin, in der Kirsten Harms berührend und mit ansprechenden Bildern und Poesie die Geschichte erzählte. Unter den Sängerinnen und Sängern blieben mir Manuela Uhl, damals mit sicheren Höhen in Topform, und Doris Soffel als furchteinflößende Amme,  in Erinnerung. An den Dirigenten dieser Produktion, es muss Donald Runnicles gewesen sein, gibt mein Gedächtnis nicht mehr allzu viel her. Es war vermutlich wie oft bei diesem Künstler: solide aber ohne Magie.

Zu den schönsten und besten Aufführungen des Werks, die mir in fünf Jahrzehnten vergönnt waren, zählt die aus dem Jahr 1992 an der Bayerischen Staatsoper in München unter Wolfgang Sawallisch, erfreulicherweise als Video konserviert. Es war einer der wenigen Fälle, in denen das Konzept, ein Stück in eine völlig andere Kultur zu übertragen, glaubwürdig aufging. Der Japaner Ennosuke Ichikawa fand in der japanischen Mythen- und Märchenwelt prächtige Kostüme und Bilder, die mit der Geschichte von Strauss und Hofmannsthal eine Einheit bildeten. Ästhetisch und optisch war das Ergebnis eine Wucht. – Peter Seiffert (Kaiser), Luana de Vol (Kaiserin), Alan Titus (Barak) und Janis Martin (Färberin) in den Hauptpartien übrigens auch.

Martha Mödl als Amme und Christa Ludwig als Färberin konnte ich leider nicht mehr erleben.  Aber unvergessen unter den ganz großen Interpretinnen früherer Jahrzehnte, ist Birgit Nilsson, die ich einmal als Färberin an der Wiener Staatsoper Anfang der 1980er Jahre hören und sehen durfte.

Zwar saß ich damals in ausverkauftem Haus auf einem Logenplatz mit eingeschränkter Sicht. Gleichwohl war der Abend sensationell, und das vor allem eben wegen Nilsson, die ihren Part  im Dramatischen wie im Lyrischen mit ganz großer Stimme fulminant meisterte. So habe ich es von keiner  anderen jemals mehr gehört.

Fischer-Dieskau war in dieser Vorstellung leider nicht der Barak, aber die Gesamtaufnahme mit Nilsson und Dieskau ist für mich hinsichtlich des Färberpaars bis heute unübertroffen. Wie sich da insbesondere in dem von Barak eingeleiteten herrlichen Duett „Mir anvertraut“ diese beiden Stimmen mischen – einfach himmlisch!

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