Riccardo Muti eröffnete das 31. Ravenna Festival
Kirsten Liese
Ravenna (Weltexpresso) - Wer nichts wagt, der nichts gewinnt, heißt es. Wohl kaum einer könnte beispielhafter dafür stehen als Riccardo Muti, einer der letzten Grandseigneurs unter den Dirigenten einer allmählich dahin scheidenden Generation. Er hat seinen Kopf in künstlerischen Fragen stets unbeirrt durchgesetzt, zog das auch bisweilen einen Skandal nach sich, wenn er einer sinnentleerten Inszenierung wegen aus einer Opernproduktion ausstieg. Die Italiener wissen jedenfalls, was sie an ihrem Maestro haben, er ist ihr Leuchtturm, auch wenn er jüngst bei einem Konzert mit den Wiener Philharmonikern vor zu viel Mundnasenschutz wegen Sauerstoffmangels warnte, den die meisten unter ihnen bereitwillig tragen. Wer, wenn nicht er, könnte diesem gebeutelten Land mit den vielen Corona-Toten wieder Kraft und Zuversicht geben?
Mithin erwachte also die Kultur nach knapp drei Monaten Stillstand zum Leben in Ravenna, jener an Kunstschätzen reichen oberitalienischen Stadt, in der Muti und seine dort geborene Ehefrau Cristina Mazzavillani, Leiterin des Ravenna Festivals, mit ihrer Familie wohnen.
Am Eingang ging es restriktiv zu. Jeder der zugelassenen 300 Zuschauer musste eine chirurgische Maske tragen und seine Körpertemperatur überprüfen lassen. Auf dem Billett wurde darauf hingewiesen, dass Personen, bei denen das Thermometer über 37,5 Grad steigen sollte, der Einlass verweigert würde. Und das, obwohl doch Riccardo Muti das 31. Ravenna Festival, unter freiem Himmel eröffnete.
Wegen hoher Corona-Schutzmaßnahmen hätten mit den Behörden einige Kämpfe ausgestanden werden müssen, ließ Muti verlauten, aber am Ende erwies sich doch die an Kunstschätzen reiche oberitalienische Stadt mit dem in ihr beheimateten Luigi Cherubini Jugendorchester und der Festung als der ideale Ort, um das kulturelle Leben in Italien wieder anzukurbeln.
Musik von Mozart dominierte dieses Konzert mit Aufbruchstimmung und einer trefflichen Solistin. Schlank und schön bis in die höchsten Register hinein leuchtete der warm timbrierte Sopran von Rosa Feola in der Motette „Exsultate jubilate“ und in dem „Et incarnatus est“ aus der c-moll-Messe. Der berühmte Satz „Wir tauchten auf, um noch einmal die Sterne zu sehen“ aus der „Göttlichen Komödie“ des 1321 in Ravenna verstorbenen berühmten Dichters Dante Alighieri, der den Abend als Motto überschrieb, drängte sich da förmlich auf. Dies auch dank des feinsinnig musizierenden Orchesters. Insbesondere im intimen Duett mit dem Sopran ließen die Bläsersolisten den denkbar zärtlichsten Klang vernehmen.
Die Jupiter-Sinfonie profitierte in der Wiedergabe von einer Liebe zum Detail und gemessenen Tempi, die dank der grazilen kleinen Motive und feinziselierte Übergänge hörbar wurden, die oft verloren gehen, wenn Orchester schnell durch die Sätze hasten.
Für das alles reichten unaufwendige, sparsame Zeichen. Nur im ersten Satz hielt Muti die tiefen Streicher mit energischen Bewegungen seines Ellenbogens zu breiteren, kraftvollen Bogenstrichen an.
Die größten Herausforderungen für die Musikerinnen und Musiker hätten die Abstandsregelungen bedeutet, sagte der geniale Dirigent im Anschluss an das Konzert in einem Gespräch mit Pressevertretern. Dass jeder einzeln für sich allein an einem Pult saß, erschwert die Kommunikation und die klangliche Homogenität innerhalb der Sektionen.
Der Höreindruck blieb davon aber unberührt, vielmehr tönte auch Skriabins sechsminütige zarte „Rêverie“ so feinsinnig, dass man dem Orchester international ebenso viel Aufmerksamkeit wünscht wie Daniel Barenboims West Eastern Divan Orchestra. Das Publikum jedenfalls zeigte sich bei diesem ersten Konzert nach dem Lockdown in Italien tief bewegt.
Fotos:
© Sivia Lelli