Wolf Biermann wird 75 Jahre. Franz Josef Degenhardt stirbt fast achtzigjährig
von Helga Faber
Hamburg (Weltexpresso) – Ein Tod ist nie ironisch, aber daß der alte bundesdeutsche Liedermacher Franz Josef Degenhardt just dann verstirbt, während man sich schon für den 75. Geburtstag des Alt-DDRlers Wolf Biermann bereitschreibt, das ist ein Zufall, der einem dann nicht mehr zufällig erscheint, wenn man weiß, daß beide einerseits und eigentlich für die gleichen Ziele eintraten, wenngleich im innerparteilichen Spektrum in feindlichen Lagern und sich andererseits auch auf die selben Ahnen beriefen. Das sind zuvorderst Francois Villon, Kurt Tucholsky und vor allem Bert Brecht.
Die Hörer und Anhänger Biermanns wie auch Degenhardts konnten in den siebziger und achtziger Jahren alle beide ohne Probleme gemeinsam gut finden und in vielen WGs und Familien sowie Singles gab es die Platten von beiden. Und nicht nur die Platten. Sie wurden auch gespielt und mitgesungen. Fragt man sich von heute, was sozusagen der Unterschied zwischen den Liedern der beiden war, dann ist neben der Selbstverständlichkeit, daß Biermann bis zum 16. November 1976 – und eigentlich darüber hinaus – gegen die DDR und ihre Mißstände anschrieb und sang und Degenhardt die der BRD thematisierte, vor allem der, daß die Spitze bei Wolf Biermann eine eminent politische ist, während Franz Josef Degenhardt gesellschaftliche Unterprivilegiertheit und Ausgrenzung anprangert.
Und mag auch die Zukunft die beiden noch weiter auseinandergetrieben haben und Degenhardt der DKP-Mann und Biermann der Antikommunist geworden sein, so waren sie doch für ihre Gegner, das saturierte Bürgertum und ihre Handlanger das Gleiche geblieben: Schmuddelkinder eben. Ihre Methoden, auch die musikalischen waren dabei sehr unterschiedlich. Der Barde Degenhardt, im Beruf erst einmal Jurist geworden, kam von den erzählenden Liedern her, ein Liedersänger, der rumkommt und in seinen moritatenähnlichen Gebilden von Schmerz und Herz, von zu kurz kommen und übrig bleiben, von der inneren Fäulnis im Kapitalismus balladesk berichtet, sozusagen Lieder eines fahrenden Gesellen, nur ohne Mahler, dafür mit einschmeichelnder Stimme und betörendem Gurren.
Wolf Biermann dagegen war nie der Wolf im Schafspelz, er polterte, er schrie, er schimpfte, er trieb seine Gitarre zu Gänsehaut erzeugenden Geräuschen, aber bei seinen nicht wenigen Liebesliedern oder Erinnerungen an Bert Brecht und andere Vorbilder wurde nicht nur die Komposition harmonisch, die Texte poetisch, sondern auch die Stimme sanft und verführerisch. Wenn Degenhardt hervorstieß: „Zwischentöne sind nur Krampf im Klassenkampf“, hat er sich selbst desavouiert, denn gerade Degenhardts Kunst war es, Zwischentöne zu erzeugen, was Väterchen Franz dann auch tat. Das konnte und kann auch Biermann.
Den juristischen Beistand, den Degenhardt in den Jahren der Unvereinbarkeitsbeschlüsse und des Berufsverbots für junge Menschen in der Bundesrepublik leistete, fiel nicht in die Kompetenz von Biermann. Er war dagegen durch seine Ausbürgerung, moralisch verwerflich, politisch dumm, zu einem Helden geworden, zu dem, der als einzelner „Nein“ sagt, dafür bestraft wird, was seinen Heldenstatus steigert. Ob er will oder nicht. Tragisch war dann, daß Wolf Biermann bei aller Anerkennung und Zuneigung der bundesdeutschen Öffentlichkeit, des schreibenden und des wachenden gesellschaftlichen Gewissens doch niemals politisch die Wirkung im deutschen Westen hatte, die er für die DDR hatte. Tragisch deshalb, weil in dem Moment, wo er alles sagen konnte, was er wollte, seine Worte nicht mehr die Durchschlagskraft hatten, wie in der DDR, wo er verboten war. Das ist nicht auf ihn beschränkt. Beschränkt allerdings auf die ‚linken’ Themen, denn kaum kamen von Biermann andere Töne wie das Einverständnis zum Irak-Krieg oder eine Absage an stärkerer Kritik an Israel, hatte er kurze, wenngleich von seinen alten Anhängern nicht positive öffentliche Resonanz.
Kaum singt Wolf Biermann seine alten Lieder, kaum krächzt er, jubiliert oder flüstert, sind alle seine Anhänger in derselben, heute oft nostalgischen Stimmung. Einen neuen Biermann braucht’s nicht, denn er ist auch mit 75 Jahren das Bühnentier, das er immer war. Er braucht nur die Klampfe und Resonanz, dann geht die Chose los. Aber wie. Von daher muß man sich zu seinem Geburtstag wünschen, daß er seine Konzerte weiterhin mit der Kraft versieht, auch nach wie vor politischer Grundübereinstimmung übers Wesentliche, wie er es in den vergangenen Jahren hinbekam. Er wiederholt sich nie, obwohl er wiederholt das Selbe singt. Aber er beherrscht die Dialektik, die er verschreibt: „Nur, wer sich ändert, bleibt sich treu.“
Sein neuestes Werk: Wolf Biermann, Fliegen mit fremden Federn. Nachdichtungen und Adaptionen, Hoffmann und Campe 2011