Christian Gerhaher und Christian Thielemann mit einem Symphoniekonzert in Dresden am 17./18.Mai
Kirsten Liese
Dresden (Weltexpresso) - Was gingen in den vergangenen Wochen nicht für unfassbare Gemeinheiten über Christian Thielemann durch die Presse: Der größte deutsche Dirigent unserer Zeit musste sich nachsagen lassen, als Deutscher und speziell als Berliner nicht der ideale Aspirant als Nachfolger Simon Rattles bei den Berliner Philharmonikern zu sein, weil das angeblich zu „provinziell“ wirken würde,
ein gewisser Herr Deppendorf von der ARD, eigentlich ein Laie im Bereich der klassischen Musik, fühlte sich noch bemüßigt, in diese Leier einzustimmen, dieser Dirigent sei ihm „zu deutsch“.
Solche Äußerungen befremden umso mehr, als doch kaum eine andere Nation so vehement gegen jedweden Rassismus ankämpft. Man stelle sich nur vor, derselbe Schreiberling hätte Daniel Barenboim mit der Begründung abgelehnt, dass er ein Jude sei. Er hätte für einen riesigen Aufschrei gesorgt und vermutlich seinen Job verloren. Sobald sich der Rassismus aber gegen Deutsche richtet, schreit seltsamerweise niemand mehr auf. Das gibt sehr zu denken!
Abgesehen davon, dass andere Nationen, allen voran die Österreicher und Franzosen ihre eigenen Leuchttürme stolz feiern, dort würde man sich mit einem vergleichbaren Spitzendirigenten aus den eigenen Reihen wohl eher brüsten.
Zum Glück steht Christian Thielemann darüber, in die Knie zwingen lässt er sich nicht, und das ist gut so.
Zugleich hatte er beim 9. Symphoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle in dem Bariton Christian Gerhaher nicht nur einen der besten Sänger unserer Zeit zur Seite, sondern eine starke Persönlichkeit, die sich zu gewissen Reizthemen eine kritische unpopuläre Meinung erlaubt. In einem im Programmheft veröffentlichten Interview redet Gerhaher Klartext über all die Unsinnigkeiten im Klassik- und vor allem im Opernbetrieb, dem zwanghaften Aktualisierungswahn und dem Regietheater, das die Kunst und die Urheber immer mehr aus den Augen verliert. „Museal ist zu einem Schimpfwort in der Klassik geworden“, sagt er, „und ich frage mich warum. Vielleicht, weil wir verlernt haben, den Menschen als historisch empfindendes Wesen zu begreifen“. Und er schließt mit dem Wunsch: „Warum können wir uns nicht darüber freuen, Wagner oder Schubert in ihren Kontexten auf die Bühne zu bringen und zu interpretieren?“
Endlich spricht das einmal ein großer, beliebter Künstler aus!
Gerhaher empfiehlt sich an diesem Abend als einer der letzten Sänger, denen das Wort „deutsch“, das bei Wagner des öfteren vorkommt, ohne einen Anflug von Scham über die Lippen geht.
Was haben sich pseudointellektuelle Gemüter nicht schon über das „Was deutsch und echt“ in den „Meistersingern“ erhitzt, als hätten sie die Nazis erfunden, die ja nichts anderes getan haben, als dieses Stück gnadenlos zu missbrauchen. Der Satz, an dem soviel Anstoß genommen wurde, war vielleicht noch nie so aktuell wie heute, wo sich viele Deutsche offenbar doch so schwer tun mit ihrer deutschen Identität, und wo das Deutsche von Grund auf als etwas Suspektes gilt, als reduziere sich deutsche Geschichte auf die Jahre 1939 bis 1945, als hätte es unsere großen deutschen Lyriker von Eichendorff über Goethe bis Heine und Rilke nie gegeben.
In Dresden vernehmen wir die Verse der Wolfram „So viel der Helden tapfer, deutsch und weise/ein stolzer Eichwald herrlich, frisch und grün“. Interessanterweise wählte Gerhaher eben diesen Monolog und nicht die lyrische Arie „O Du mein holder Abendstern“.
Man könnte daraus das Bekenntnis zu einer deutschen Tradition und Kultur herauslesen, die in diesen Tagen aus übereifriger politischer Korrektheit ins Abseits gerät hinter all den Aktivitäten für ein „buntes, weltoffenes Dresden“.
Gerhaher sang diese Verse ungemein kultiviert, ausdrucksinnig und textverständlich wie derzeit kein Anderer.
Großartig dann auch sein Vortrag des Fliedermonologs aus den „Meistersingern“, der dank des beseelten Vortrags erahnen ließ, was für ein exquisiter Hans Sachs mit diesem Sänger zur Verfügung steht. Schon viele Aufführungen scheiterten an einer adäquaten Besetzung dieser anspruchsvollen, gewaltigen Partie. Gerhaher nimmt einen mit der Poesie und der Nachdenklichkeit seines Vortrags schon nach wenigen Takten so gefangen, dass man ihm gerne noch viel länger mit weiteren Auszügen aus dieser Oper gelauscht hätte.
Stattdessen gab es noch zwei Arien aus der nahezu unbekannten Oper „Alfonso und Estrella“ von Franz Schubert („Der Jäger ruhte hingegossen“, „Sei mir gegrüßt, o Sonne“), schlichte, stimmungsvolle Gesänge. Sie zählen nicht zu Schuberts stärksten Werken, da gehen vor allem seine Lieder in ihrer Schwermütigkeit emotional noch viel tiefer, kommen auch gegen zwei so zentrale Szenen aus Wagneropern nicht an. Dennoch hat es sich gelohnt, sie einmal zu hören, spricht doch auch aus ihnen ganz der Geist der von Naturverbundenheit und Waldesgrün bestimmten Romantik. Christian Gerhaher tauchte in diese vergangene Welt ganz ein, die mal sehr zarten, mal auch leicht heroisierenden Empfindungen trefflich heraufbeschwörend.
Den Hauptblock des Abends bildete freilich eine schier überwältigende Bruckners Vierte. Christian Thielemann hat in den vergangenen Jahren an verschiedenen Orten mit seiner Sächsischen Staatskapelle „gebrucknert“, um mit dem unvergesslichen Celibidache zu reden, ein herrlicher altdeutscher eingedunkelter Klang ist darunter noch immer wärmer und runder geworden.
Die Sächsische Staatskapelle verfügt über eine sehr starke Streichersektion, vor allem spielen die Violinen und Celli ihre lyrischen, elegischen Themen beseelter und sensitiver als die technisch perfekten Berliner Philharmoniker, die offenbar untereinander so uneins sind, dass sie sich bislang auf keinen neuen Chefdirigenten einigen konnten und ein bisschen Gefahr laufen, ihre Weltrangstellung zu verlieren.
Jedenfalls befindet sich die Sächsische Kapelle schon auf der Überholspur, nur die Blechbläser, allen voran die Hörner können mit den Berlinern noch nicht mithalten, da fehlt – vor allem in den Anfangstakten und im Scherzo – noch eine vergleichbare Makellosigkeit und Brillanz.
Ansonsten aber wirkte diese Wiedergabe bis in kleinste Nuancen der Übergänge und filigraner Nebenmotive architektonisch wie abgezirkelt, dass auch Celibidache seine Freude daran gehabt hätte. Von wegen „zu deutsch“, Bruckners Musik ist im besten romantischen Sinne deutsch, so muss es klingen!